Fest steht: Google wird auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) sein selbstfahrendes Fahrzeug vorstellen. Tesla hat angekündigt, noch im September mit der Auslieferung des im Jahr 2012 angekündigten Model X zu beginnen. Der auf Elektromobilität spezialisierte Automobilanbieter aus Amerika kommt damit zwar drei Jahre später als angekündigt, aber auch diese Verspätung haben die etablierten Automobilhersteller nicht genutzt, um dem Angriff etwas entgegenzusetzen.
Da wirkt es fast beruhigend, wenn von Apple zu seinen iCar Aktivitäten noch wenig Konkretes zu hören ist. Denn wenn man unlängst veröffentlichten Befragungen von iPhone-Nutzern Glauben schenken mag, würden 50 Prozent von ihnen ein iCar kaufen. Angesichts von über fünf Millionen iPhone-Nutzern allein in Deutschland ist das eine erschreckende Zahl für die etablierten Automobilhersteller.
Warum fällt Veränderung so schwer?
Der heutige Erfolg dieser Unternehmen beruht auf jahrelanger, harter Arbeit für immer bessere, innovativere und zuverlässigere Produkte und Serviceangebote. Und der Erfolg gibt den Herstellern derzeit Recht. Es fällt schwer, an völlig neue Antriebs-, Mobilitäts- und Nutzungskonzepte zu glauben, wenn man mit den etablierten Konzepten zu den Marktführern auf allen Kontinenten gehört.
Eine ebenso große Rolle wie der momentane Erfolg spielt für die Schwerfälligkeit bei dieser Art Veränderung die eigene Identität, das eigene Wertesystem und das, woran man über Jahrzehnte gebaut hat: All das kumuliert in der eigenen Marke. Sie kann im Veränderungsprozess zum größten Bremsblock werden, wenn sie nicht aktiv für den Wandel genutzt wird. Denn wie soll man sich zum führenden Mobilitätskonzern entwickeln, wenn durch den Claim „Das Auto“ die eigene Positionierung zementiert ist?
Im Wandel Stabilität und Agilität fördern!
Die Aufgabe der etablierten Automobilmarken wird in den nächsten Jahren nicht nur darin liegen, noch innovativer, schneller und unverwechselbarer zu werden sowie neue Geschäftsmodelle zu entwerfen und auszuprobieren. Zusätzlich müssen sie ihre Marken, also ihre wertvollsten Assets, zukunftsfähig aufstellen.
Dazu können Marken gleichzeitig als Stabilitäts- und Agilitätsbooster genutzt werden. Stabilität, weil Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden und nicht zuletzt Investoren diesen Marken vertrauen. Und Agilität, wenn sie in Innovationsprozessen richtig eingesetzt wird und Mitarbeiter zur Entwicklung innovativer Produkte, Serviceleistungen und ganzer Ökosysteme inspiriert. Die Aufgabe der Führungsmannschaft wird es sein, den Mitarbeitern ein Zukunftsbild zu zeigen, wofür die Marke in Zukunft stehen soll, und welche Rolle sie dabei spielt.
Was etablierte Marken von Nokia lernen können
Wer hätte gedacht, dass der Marktführer Nokia im Jahr 2010 innerhalb nur eines Jahres vom Herausforderer Apple als größter Hersteller von Mobiltelefonen abgelöst wird? Nokia hatte zu wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wie sich der Markt für Mobiltelefone zu einem Ökosystem für mobile Anwendungen in einer vernetzten Welt wandeln würde, und welche Rolle Nokia dort spielen könnte. Und das, obwohl Mobiltelefone von Nokia zu Beginn des Handyzeitalters gerade deshalb so begehrt waren, weil man sich mit anderen Nokia-Nutzern in seiner Umgebung direkt verbinden konnte – gerne für gemeinsames Gaming auf dem Handy. Sie waren der Vorläufer der vernetzten Mobilgeräte von heute.
Für die Automobilhersteller – auch die heute starken Marken – geht es also nicht nur darum zu innovieren, sondern sich selbst neu zu erfinden, um auf den „neuen“ Märkten eine ebenso klare und starke Position einzunehmen, wie sie sie auf den traditionellen Automobilmärkten inne haben.
Über den Autor: Jürgen Gietl ist Managing Partner von Brand Trust mit langjähriger Erfahrung im operativen und strategischen Management von Marken. Seine Sachkenntnis nutzen namhafte mittelständische Unternehmen und globale Konzerne. Gietl ist ein gefragter Dozent auf zahlreichen Kongressen und an Hochschulen.