Ein Gastbeitrag von Willms Buhse
In meinen Workshops zu Digitaler Transformation höre ich von den Teilnehmern immer wieder das gleiche Erfolgsbeispiel aus Deutschland: Axel Springer. Das allgemeine Narrativ dieses Best Practice geht so: Verlagshaus erkennt, dass das alte Geschäftsmodell mit gedruckten Zeitungen und Kleinanzeigen nicht mehr lange gut geht, und leitet aus eigener Kraft den Wandel ein. Man transformiert sich innerhalb weniger Jahre in das größte digitale Medienhaus Europas, das sogar in den USA längst ein ernstzunehmender Player ist. Damit sehen sich die Berliner als ein Paradebeispiel für gelungene digitale Transformation.
Das sehe ich anders.
Grundsätzlich gibt es für Unternehmen zwei Möglichkeiten, sich dem digitalen Wandel anzupassen. Entweder löst man die Herausforderung über eine Portfolio-Bereinigung. Heißt: Man stößt die Teile eines Konzerns ab, die nicht mehr zu dem geplanten neuaufgestellten Unternehmen passen. Oder aber ein Betrieb versucht sich aus sich selbst heraus zu wandeln – sich also zu transformieren. Betrachtet man nur die Zahlen, so ist der Wandel vom traditionellen Druck- und Verlagshaus, dessen wirtschaftliches Rückgrat für viele Jahrzehnte millionenfach verkaufte Zeitungen und Zeitschriften wie Bild oder Hörzu sowie das Geschäft mit gedruckten Kleinanzeigen waren, zum Medienhaus eine starke Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2010 lag der Konzernumsatz bei knapp 2,9 Milliarden Euro. Der Mediendienst MEEDIA analysierte damals: „Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner setzt darum auf eine Doppel-Strategie: Die Profitabilität des sinkenden Kerngeschäfts wird immer weiter verbessert und optimiert. Gleichzeitig wird massiv in internationales und digitales Geschäft investiert. Bisher zahlt sich diese Strategie mehr als aus. Das Digitalgeschäft macht jetzt schon einen Umsatzanteil von fast 25 Prozent.“
Strategie geht auf
Der Konzern hat längst einen gänzlich anderen Digitalisierungslevel erreicht. In der derzeit aktuellsten Bilanz der ersten neun Monate heißt es, dass der Umsatz mittlerweile zu 69 Prozent aus digitalen Geschäftsfeldern erzielt wird. Der Jahres-Umsatz der Berliner liegt mittlerweile gar bei über 3,5 Milliarden Euro. Man erkennt genau, was Axel Springer strategisch getan hat und noch immer tut: Sie optimieren und kaufen zu. Das ist stimmig und schlau, aber eben keine Transformation. Denn betrachtet man den Wandel bei Springer aus der Sicht der Angestellten, zeigt sich, dass die Berliner oftmals die Mitarbeiter nicht mitgenommen haben. In den Redaktionen, im Vertrieb und an vielen anderen Stellen waren sie kein Teil des Wandels, sie wurden ersetzt. Das Management um den CEO Mathias Döpfner transformierte den Verlag nicht, indem sie ihn wandelten, sondern indem sie extern zukauften. Springer übernahm Stepstone und Immobilien-Portale, BusinessInsider und eMarketer. Übrigens mit großer finanzieller Hilfe einer Investmentgesellschaft. Gleichzeitig baut man aber auch seit Jahren Personal in den alten Geschäftsbereichen ab. In den klassischen Verlagsbereichen arbeiten heute weniger. Das ist so, als wenn Mercedes-Benz Tesla mit Hilfe einer Heuschrecke übernimmt und zeitgleich anfängt, die alten Fabriken abzureißen und die Mitarbeiter zu entlassen.
Mit Abstrichen stellt sich das in einigen Redaktionen wie bei der Bild oder auch der Welt etwas anders da. Auch bei den Print-Flaggschiffen mussten viele ältere Kollegen in den vergangenen Jahren gehen. Gleichzeitig gab sich das Medienhaus durchaus große Mühe alle Redakteure mitzunehmen und fit für die digitale Zukunft zu machen. Für mittelständische Unternehmen, vor allem jene, die auch noch im Familienbesitz sind, ist dieses Vorgehen meist keine Option. In diesen Familienunternehmen spielen Nachhaltigkeit und lange Betriebszugehörigkeit noch eine andere Rolle – natürlich oft auch aus der Not heraus, weil sich durch ländliche Lagen kaum alternative Arbeitsplätze bzw. Mitarbeiter anbieten.
Klarer Fokus auf die Selbstorganisation bei Bosch
Wenn man auf der Suche nach einer deutschen Erfolgsgeschichte für digitale Transformation ist, empfehle ich tatsächlich eher den Blick auf Unternehmen wie Otto oder Bosch zu richten. Diese Firmen zeigen seit Jahren, wie man mit intelligenten internen Programmen die Belegschaft davon überzeugen kann, aktiv am Wandel eines Traditionsunternehmens mitzuarbeiten und eher organisch durch digitale Innovationen zu wachsen. Bei einem solchen Vorgehen kommt den Führungskräften eine besondere Verantwortung zu. Sie müssen dafür sorgen, dass die Mitarbeiter nicht einfach nur als Unternehmensbewohner gesehen werden, sondern tatsächlich die Chance haben, am Unternehmen und seiner Entwicklung aktiv mitzuwirken und sich so selbst auch fit für die digitale Zukunft zu machen. Bei Bosch wurde beispielsweise ein klarer Fokus auf die Selbstorganisation gelegt. „Wo immer es sinnvoll erscheint, organisieren sich Team selbst und nehmen im Kollektiv die Verantwortung für die Ergebnisse ihrer Arbeit wahr“, heißt es hierzu in den Bosch Social Business Principles, eine Art Regelbuch für die digitale Transformation beim Tech-Konzern aus schwäbischen Gerlingen. Grundsätzlich erinnert das Vorgehen von Bosch an die positive Fehlerkultur von Netflix – jenes Unternehmens, das den Mitarbeitern in seinen Leitlinien regelrecht dazu animiert, „clevere Risiken einzugehen“.
Eine Transformation zu einer modernen Unternehmenskultur muss so gestaltet sein, dass sie allen Mitarbeitern genügend Raum für Vernetzung lässt, dass sie Offenheit und Transparenz vorlebt und allen Angestellten erlaubt zu partizipieren (VOPA-Modell). Solche Ansätze finden sich bei Springer nur teilweise. Auch deshalb taugt der Wandel des Verlagshauses nur bedingt als Vorbild für die meisten Familienunternehmen. Diese müssen die Transformation noch immer aus eigener Kraft schaffen.
Über den Autor:
Willms Buhse ist Gründer und CEO der Hamburger Managementberatung doubleYUU sowie des Weiterbildungspartners d-cademy und bringt die Innovationen des Silicon Valleys in die deutschen Führungsetagen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und viele Top-Manager zählen zu seinen Kunden. Er hält Vorträge in Harvard, am MIT und an deutschen Elite-Universitäten und bloggt für die Wirtschaftswoche. Sein letzter Bestseller „Management by Internet – neue Führungsmodelle für Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation“ wurde vom Harvard Business Manager als Top 10 Managementbuch ausgezeichnet.