Die Negativschlagzeilen rund um VW nehmen kein Ende: Mal sollen Kunden in USA bessergestellt werden als im Heimatmarkt Deutschland, mal lässt VW Chef Matthias Müller ein Interview mit wichtigen US-Pressvertretern neu aufzeichnen, weil er beim ersten Versuch meint, VW habe gar nicht geschummelt. Der Einbruch der Verkaufszahlen in den USA ist die Quittung – und ein immenser Vertrauensverlust.
Marken müssen Versprechen nicht nur machen, sondern auch halten
„Es geht um mehr als ein Auto, es geht darum, Versprechen zu halten“. Mit dieser Botschaft geht VW nun in Print-Motiven in die Offensive. Im Fachjargon würde man das „weakness claiming“ nennen. Das heißt, man wirbt mit den Attributen, mit denen man bei Kunden gerade nicht in Verbindung gebracht wird. Marketingstudenten im ersten Semester lernen allerdings, dass dies in der Regel nicht hilfreich ist. Wenig professionell wirkt dieser Ansatz, zumal alle Welt weiß, dass VW aktuell genau in diesem Punkt sein größtes Manko hat.
Um Vertrauen kann man nicht werben
VW möchte sich mit seiner neuen Europakampagne neu positionieren und um Vertrauen werben. Wie entsteht eigentlich Vertrauen? Sicher nicht durch das werbliche Versprechen eines Versprechens. Wenn zwischen Menschen Vertrauen entstehen soll, braucht es drei Dinge: Kompetenz, Wohlwollen und Integrität.
Wenn man das auf die Marke VW überträgt, wird deutlich, wo die Probleme bei VW derzeit wirklich liegen. Die Kompetenz, zuverlässige und hochqualitative Automobile für das Volk zu produzieren, hat VW sicherlich nach wie vor. So manch einer zieht vermutlich den Hut vor dem Einfallsreichtum der VW-Ingenieure, um den Schummel überhaupt möglich zu machen.
Wohlwollend behandelt fühlen sich Kunden eher nicht, wenn man sieht, wie wenig kundenorientiert VW den Skandal bearbeitet. Es wird nur das aufgeklärt, was rechtlich wirklich gefordert wird, nicht das, was Kunden wirklich wünschen. Das größte Problem hat VW jedoch mit eigenen Integrität: mit dem Handeln und Kommunizieren in einem festgelegten Werterahmen in Bezug zu einer klaren Position.
Ohne Positionierung, Vision und Haltung keine Werbewirkung
VW will laut Jürgen Stackmann, Mitglied des VW Markenvorstands, weg vom Image des reinen Autobauers. Was völlig fehlt, ist die Aussage: Wo will VW hin, wofür will VW in Zukunft stehen und mit Hilfe welcher Geschäftsmodelle und Spitzenleistungen will VW das erreichen? Die einzige Aussage dazu: Man will sich wieder auf das starke Band zwischen Kunde und Marke konzentrieren. Das habe die Marke in der Vergangenheit ausgemacht.
Stellt sich die Frage, welche begehrte Marke eigentlich kein starkes Band zwischen Kunden und Marke hat. Solange also die Unternehmensleitung nicht in der Lage ist, für den Konzern mit seiner Mehrmarkenarchitektur sowie für die Kernmarke VW eine eindeutige Zukunftspositionierung, eine zukunftsträchtige Geschäfts- und Markenstrategie mit den dahinterliegenden Geschäftsmodellen zu definieren und zu artikulieren, so lange werden die teuren Werbekampagnen wirkungslos bleiben – auch wenn sie mit noch so vielen süßen Kindern, kleinen Hunden und emotionalen Momenten gespickt sind.
Irrweg als Chance?
Man könnte der aktuellen Werbeaktion etwas Gutes abgewinnen. Man will und wird sich wieder stärker um die Kunden kümmern müssen. Welche Bedürfnisse haben diese eigentlich? Wovon fühlen sie sich angezogen? Was schreckt sie ab? Und wie entwickelt sich ihr Mobilitätsverhalten in der Zukunft: weg von der verkaufsoptimierten Produkt- hin zur kundenzentrierten Servicedenke. Dazu werden die neuen Wettbewerber aus dem Silicon Valley sie ohnehin zwingen.
Über den Autor: Jürgen Gietl ist Managing Partner von Brand Trust mit langjähriger Erfahrung im operativen und strategischen Management von Marken. Seine Sachkenntnis nutzen namhafte mittelständische Unternehmen und globale Konzerne. Gietl ist ein gefragter Dozent auf zahlreichen Kongressen und an Hochschulen.