Still und heimlich hat Ströer in der vergangenen Woche die Schulfreunde-Community Stayfriends erworben – und mal wieder die Frage aufgeworfen, was Deutschlands größter Anbieter für Außenwerbung eigentlich für einen Plan verfolgt. Die Nachrichten über Zukäufe aus allen Bereichen der digitalen Content- und Vermarktungswelt häufen sich seit geraumer Zeit, zum Nachwuchs zählen etwa das Youtube-Netzwerk Tube One, der Statistikdienstleister Statista sowie Content-Portale wie kino.de. Ihren Höhepunkt erreichten die Übernahmen aber definitiv im vergangenen Jahr, als der Out-of-Home-Spezialist den Contentriesen T-Online samt Digitalvermarkter InteractiveMedia unter sein Dach holte.
Der Digitalbereich macht heute 50 Prozent aus – vor drei Jahren waren es noch fünf Prozent
Und all das, nachdem Geschäftsführer und Ko-Gründer Udo Müller 2010 noch lautstark vermeldete: „Außenwerbung ist womöglich das letzte echte Massenmedium“ – und hinzufügte, bislang sei nur ein Bruchteil der möglichen Flächen im Außenbereich erschlossen. Wer seine Aussage damals als Zeichen für die Besinnung auf bestehende Stärken verstanden hat, wird in den vergangenen Jahren erkannt haben: Es war eine Ankündigung zum Aufbruch. Ströer besteht schon heute zu 50 Prozent aus digitalen Komponenten. Vor drei Jahren waren es noch fünf Prozent.
Konzernchef Udo Müller, der sich 1990 mit Heiner Ströer zur Ströer City Marketing GmbH verband, gilt als gnadenloser Dealmacher. Sein eigener COO Christian Schmalzl scherzte unlängst: „Eine Woche ohne Übernahmen ist für Ströer-CEO Udo Müller eine verlorene Woche.“ Müller dürfte erkannt haben, dass Spezialisierung in Zeiten des technologischen Wandels in etwa so viel Nutzerwert hat wie die aktuellsten Nachrichten in einer Tageszeitung: Sind sie gedruckt, sind sie bereits Schnee von gestern. Wer bestehen will, muss mehr bieten können. Dieses „mehr“ versucht Ströer seit einigen Jahren zu finden.
Den Markt abseits von Facebook und Co. beherrschen
Wer wissen will, wohin das Unternehmen lenkt, muss nur einen Blick in den Geschäftsbericht werfen. Ströer wirbt dort mit einem neuartigen Identitätsclaim, gegenüber Aktionären bezeichnet sich das Unternehmen als „Multi-Channel-Medienhaus.“ Dabei wolle man keineswegs rückläufige Geschäftsentwicklungen mit Digitalumsätzen kompensieren, „im Gegenteil: Wir sind in der Lage, das strukturelle Wachstum des Außenwerbebereichs durch unsere digitalen Aktivitäten zu ergänzen und damit das gesamte Unternehmenswachstum zu beschleunigen.“
Welche tiefere Strategie dahinter steht, erklärte COO Schmalzl in einem viel beachteten Auftritt auf der Bühne der Online Marketing Rockstars vor wenigen Wochen. „Wir suchen uns gezielt Felder, die nicht so angreifbar durch techorientierte US-Firmen wie Google oder Facebook sind. Wir wollen wissen: Wo hören deren Geschäftsmodelle auf und wie kann ich mich daran sinnvoll orientieren?“
Ströer will mitbestimmen statt nur mitzulaufen
Deswegen setze Ströer nach wie vor auf die nationale Vermarktung, auf die Aufbereitung ihrer O-o-H-Struktur und den lokalen Markt, in dem noch immer vor allem kleine und mittelständische Unternehmen die wichtigsten Kunden darstellen. Aquisitionen wie Regional-Marketer Regiohelden zahlen auf diese Strategie ein. „Der größte Wert unserer Firma steckt am Ende dort, wo wir herkommen“, sagte Schmelzl.
Aber Ströer will keineswegs zum regionalen Nischenkönig verkommen. Stattdessen baut sich der Konzern gerade zu einem Allrounder im digitalen Werbereich auf. Mit zahlreichen Akquisitionen im Content-Bereich, von denen T-Online nur eine ist, will sich das Unternehmen mit Wissen für den bevorstehenden Umbruch in Werbung und Vermarktung rüsten. „Wir glauben, dass es bei der Entwicklung von Werbelösungen hilfreich ist, wenn du zumindest in Teilen auch Publisher bist und vermarktest“, sagte Schmalzl. Etwa bei Themen wie Adblocking oder Native Advertising: „Als reiner Drittvermarkter kann es schwer sein, langfristig die richtigen Entscheidungen zu treffen.“
Auch im Tech-Bereich setzen die Kölner auf Eigeninitiative, bauen an eigenen Programmatic-Lösungen, mit denen Werbeinventar in Zukunft automatisch handelbar werden soll. Das oberste Ziel hinter allem scheint zu sein: je autonomer, desto besser. Ströer will vom Wind, der die Werbewelt aufwirbelt, nicht nur getrieben werden. Er will ihn auch selber steuern können.
Kein leichtes Unterfangen, aber Ströer hat zumindest teilweise schon mal auf die richtigen Karten gesetzt. Allein mit dem T-Online-Deal konnte die Hamburger Tochter Ströer-Digital auf einen Schlag eine Reichweite von etwa 78 Prozent der deutschen Unique User gewinnen und ließ damit direkte Wettbewerber wir Axel Springer Media Impact, Seven-One Media oder Tomorrow Focus hinter sich. Und die Content-Erweiterungen liefern nicht nur zusätzliche Vermarktungsmöglichkeiten, sie ermöglichen Ströer zudem Synergien für den Out-of-Home-Bereich: Inhalte für Public-Video-Screens in Bahnhöfen, Einkaufszentren und Flughafen kann das Unternehmen jetzt selbst liefern und muss sie nicht von Agenturen oder regionalen Medien einkaufen.
Strukturelle Anarchie
Der Zukauf der Schulfreunde-Community Stayfriends wird aus Fachkreisen derweil mit der umfangreichen Datenbank begründet, die das Portal mitliefert: Allein in Deutschland verzeichnet es 15 Millionen Nutzerprofile plus weitere 17 Millionen in Ländern wie Frankreich, Schweden, Österreich und der Schweiz. Und Daten, das weiß auch Ströer, sind der Schlüssel zu jedem möglichen Erfolg im digitalen Werbekosmos.
Ob der allzu rasche Identitätswandel auf lange Sicht zu Erfolg oder doch zu einem Kollaps führt, bleibt abzuwarten. Der Konzern findet sich noch, sowohl nach außen als auch nach innen, das räumte auch COO Schmelzl ein. Deswegen tritt der Konzern nach außen hin auch nach wie vor als das auf, wofür ihn seine Kunden und Branchenkollegen kennen: als Spezialist für Außenwerbung. Alles weitere müsse sich noch finden, so Schmalzl. Solange sei man bisweilen etwas „anarchisch“ unterwegs.
Dem Kapitalmarkt scheint das bisher nicht zu stören: Der Aktienwert wächst seit 2014 mehr oder weniger konstant, im vergangenen Jahr hat er einen wahren Aufwind erfahren. Aktuell liegt er bei 55,12 Euro, im Juli 2014 waren es noch weniger als ein Drittel davon. Und auch für den Fall, dass es doch noch zur Vollbremsung kommt, hatte Schmelzl die richtigen Worte dabei: „On the long run we are all dead. Da machen wir wenigsten ordentlich Rabatz und schauen, was möglich ist.“