Schlafender Riese

Innovativ war Voelkel schon immer. Fans lieben die Marke wegen ihrer Qualität und dem Engagement für faire Landwirtschaft. Jetzt merkt das Familienunternehmen, wieviel es durch Markenkommunikation erreichen kann.
Das Voelkel Pflanzmobil
Voelkel-Säfte gibt es mittlerweile nicht mehr nur im Bioladen und im Reformhaus, sondern auch bei Edeka, Hit oder bei dm. (© Voelkel)

Es ist wieder mal so ein Coup, mit dem keiner gerechnet hatte. Für Wacken Open Air, das legendäre Metal-Festival in Schleswig-Holstein, presst Voelkel dieses Jahr exklusiv einen Ingwershot, mit einer Extraladung Chili. „Ideal für den kräftigen Kick am Morgen nach einer kurzen Nacht im Zelt“, bewirbt die Safterei das Produkt. Welcher coole Headbanger macht da nicht vier Euro fürs 0,28-Liter-Fläschchen locker?  

Wacken und Voelkel, das passt auch sonst: Wacken ist Kult, Voelkel womöglich auf dem Weg dorthin. Mit Zuwachsraten von zwölf Prozent und mehr schlägt das kleine Unternehmen aus dem Wendland regelmäßig den Markt – und ist mit 350 Mitarbeiter*innen und einem Umsatz von 117 Millionen Euro im Jahr gar nicht mehr so klein, gemessen an Marktführer Eckes-Granini mit 917 Millionen Euro. Während vielen Verbraucher*innen Saftmarken als so austauschbar gelten, dass sie diejenigen im Sonderangebot kaufen, hat Voelkel eingeschworene Fans, die sogar zur Betriebsstätte in Pevestorf pilgern, ein 100-Einwohner-Dorf im niedersächsischen Nirgendwo.  

Authentische Tradition, modern interpretiert 

Was bringt den Erfolg? Darauf gibt es zwei Antworten. Die eine liegt in der Vergangenheit des in vierter Generation geführten Familienbetriebs. Die Gründer*innen Karl und Margret Voelkel waren Pioniere der Demeter-Bewegung, Anhänger der anthroposophisch inspirierten Idee einer biodynamischen Landwirtschaft, getrieben vom Stolz aufs Produkt und der Freude an Innovation. Es ist diese Tradition, die dem Unternehmen seine Authentizität verleiht. Der gegenwärtige CEO Stefan Voelkel und die drei Söhne Boris, Jacob und Jurek haben die Familienwerte modern interpretiert. „Wir wollen ja Beispiele setzen“, sagt Stefan Voelkel. 

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Stefan Voelkel ist seit 1980 der Geschäftsführer des Unternehmens. ©Voelkel

Voelkel bilanziert nach den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie und baut zur Energieversorgung ein Biomasseheizkraftwerk, für sieben Millionen Euro. Seit 2011 sorgt ein Stiftungsmodell dafür, dass 90 Prozent der Gewinne zurück ins Unternehmen fließen und die restlichen zehn Prozent in gemeinnützige Projekte. Landwirte und Obstbauern betrachtet die Familie als Partner und zahlt, wenn deren Kosten steigen, auch mal mehr als den Marktpreis.

Quartalswachstum von 30 Prozent 

Preislich sind Voelkels Säfte Luxus, aber „Konsequenz wird belohnt“, weiß Jens Lönneker, Geschäftsführer des rheingold salon in Köln und Präsident der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens. „Die Marke schafft bei den Kund*innen eine starke emotionale Bindung.“ Nicht nur um Saft geht es bei Voelkel, sondern auch um die Sehnsucht nach einer besseren Welt. Doch das authentische Fundament ist nicht alles. Voelkel wächst – im ersten Quartal dieses Jahres um satte 30 Prozent – auch wegen einer Marketingoffensive. Ein Novum in der Unternehmensgeschichte. Darin liegt die zweite Antwort für den Erfolg. 

Marketing interpretierte die Familie lange als Auftrag zur Innovation – das Sortiment umfasst heute mehr als 200 Produkte. Die Markenkommunikation beschränke sich „auf ein paar Kistenstecker“, räumte Jurek Voelkel Anfang 2021 gegenüber der absatzwirtschaft ein. Doch war der Wandel damals schon eingeläutet in Person von Jannis Meseke, einem Marketer, der von Volkswagen kam und sich daran machte, den – wie er es nennt – „schlafenden Riesen“ Voelkel zu wecken. Mit der ebenso einfachen wie komplizierten Frage: „Wofür wollen wir als Marke stehen?“  

Erster Brand Key der Unternehmensgeschichte 

Wie viele Mittelständler, die klein beginnen und mit dem Erfolg ihres Produkts groß werden, hatten sich die Voelkels auf ihre DNA verlassen, auf ihr Gespür, die jahrzehntelange Erfahrung. Der Außenauftritt war bodenständig; man verließ sich darauf, dass die Kund*innen die Qualität der Produkte würden zu schätzen wissen. Mit Meseke wurde das anders: Erstmals wurde ein Brand Key entwickelt. Der Hamburger Markenstratege Geoffrey Hildbrand beriet das Unternehmen – „einer der schönsten Jobs, die ich je machen durfte“, sagt er. „Das Markenbild war organisch gewachsen.“ Ein Schatz, der nur darauf wartete, gehoben zu werden. 

Heute gibt es einen Claim („Pioniere für ein besseres Leben“), vier Kampagnen im Jahr, eine lebhafte Instagram-Präsenz und YouTube-Interviews mit Vater und Söhnen. Die B2C-Kampagnenreichweite, früher auf wenige Bio-Printtitel beschränkt, ist auf 750 Millionen Bruttokontakte gestiegen (alle Medienkanäle außer TV). Das kultige Wendland wird als Markenbühne genutzt. „Diese Verortung ist neu für uns“, sagt Meseke. Früher hatte man geglaubt, das von Lebenskünstler*innen geschätzte Rückzugsgebiet sei zu wenig bekannt, um damit werben zu können. Jetzt agieren „local heroes“ wie die Sängerin Wilhelmine als Markenbotschafter für Voelkel.  

Öl-Business misslungen, Laune trotzdem gut 

Zugleich wird die Marke gedehnt und neu platziert. Mit Smoothies, Haferdrinks und Speiseöl in der Pfandflasche wagten sich die Voelkels auch auf zuvor unbekanntes Terrain und blieben gelassen, wenn mal etwas floppte, wie das Mehrweg-Speiseöl. Auch die Vertriebswege wurden erweitert: Voelkel-Säfte gibt es nicht mehr nur im Bioladen und im Reformhaus, sondern auch bei Edeka, Hit oder bei dm. Mit den hauseigenen BioZisch-Limonaden schaffte es Voelkel in die Automaten von IntercityHotels und in den Speisewagen der Deutschen Bahn. Die Offensive kommt zur richtigen Zeit: Saftanbieter hätten es schon wegen steigender Rohstoffpreise generell nicht leicht, findet Experte Lönneker. „Neue Produkte, Narrative und Zielgruppen sind unerlässlich, um Marktanteile nicht nur zu halten, sondern auch auszubauen.“ 

Eins bleibt gleich: Voelkels Vorliebe für Inhouse-Lösungen, nicht nur bei der Saftherstellung, sondern auch im Marketing. Mesekes Team macht fast alles selbst, 24 Leute sind es jetzt, das Budget hat sich innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Für den Marketingleiter erst der Anfang, „wir sind noch lange nicht fertig“.  

Raus aus der Nische, rein ins Massengeschäft – verträgt die Marke das? Ja, glaubt Meseke. „Wir machen das gleiche wie vor 80 Jahren. Aber es hat für die Verbraucher*innen mehr Relevanz.“ Soll heißen: Voelkel bleibt seinen Wurzeln treu. Nur die Zeiten haben sich geändert. 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.