Der Wunsch, aus der Masse herauszustechen, hat Menschen schon immer angetrieben. Was ist heute anders?
Der Wunsch nach Einzigartigkeit ist deutlich stärker geworden. Wir können das feststellen, so lange es Studien gibt, etwa seit den 1950er Jahren. Es ist ein Mega-Trend. Wir finden ihn auch außerhalb unserer eigenen Kultur, etwa im asiatischen Raum. Die Menschen definieren sich weniger über Gruppen.
Haben es Unternehmen schwerer, wenn sie auf individuelle Kunden eingehen müssen?
Wenn man Trends kennt, kann man auch auf sie reagieren. Insofern würde ich nicht sagen, dass das Geschäft schwieriger wird. Es wird anders.
Wie stelle ich fest, wie individualistisch mein Kunde ist?
Im direkten Kontakt mit einer Person lässt sich das an bestimmten Merkmalen ablesen, etwa an einer besonderen Art sich auszudrücken. Leute mit einem hohen Bedürfnis nach Einzigartigkeit tragen auch eher außergewöhnliche Kleidung oder machen an ungewöhnlichen Orten Urlaub. Sie sind bereit, abweichende Meinungen zu vertreten, und nehmen weniger Rücksicht auf andere.
Wie kann Marketing darauf reagieren?
Ich würde den Umgang mit diesem Kunden so ausrichten, dass er besonders individuell ist. Und ich würde Merkmale meines Produkts oder meiner Dienstleistung in den Vordergrund stellen, die diesem Wunsch entsprechen. Das geht nicht bei jedem Produkt. Bei einer Versicherung beispielsweise wäre eine Limited Edition kein Verkaufsargument, im Gegenteil. Aber bei einem ausgefallenen Kleidungs- oder Schmuckstück sollten Sie besser nicht sagen, dass Sie es hunderttausend Mal verkauft haben. Unternehmen, und auch Verkäufer, machen das oft richtig, häufig aus Intuition.
Kommen Plattformen wie Etsy oder Dawanda auch deshalb so gut an, weil sie Nonkonformität signalisieren?
Auf jeden Fall. Schon in den 1980er Jahren hat sich die Wissenschaft Gedanken darüber gemacht, wie ein Einkaufserlebnis Individualisten ansprechen kann. Das Außergewöhnliche, Maßgeschneiderte im Standardkaufhaus anzubieten, funktioniert nicht gut bei dieser Zielgruppe. Das Produkt ist zwar individualisiert, aber der Vorgang des Kaufens nicht.
Nicht jeder hat das Bedürfnis nach Einzigartigkeit.
Es gibt auch Leute, die verstecken sich gern ein bisschen, die suchen das, was sich bewährt hat, die wollen keine Risiken eingehen. Also kaufen sie lieber ein Produkt, von dem sie wissen, die anderen haben das auch, damit fällt man nicht auf.
Aber dieser Anteil der Konsumenten schrumpft. Wohin führt uns das, gesellschaftlich gesehen?
Der Egoismus nimmt zu, der Narzissmus auch. Das wurde in vielen Studien festgestellt.
Macht Sie das besorgt?
Ja, wenn es in Richtung Narzissmus geht. Aber man muss sich auch sorgen, wenn eine Gesellschaft zu kollektivistisch ist. Schauen Sie in die deutsche Geschichte.
Heute hilft Big Data, den Wunsch nach Individualität zu befriedigen.
Ja, das passt sehr gut zusammen. Wer auf Individualität Wert legt, und zwar nicht nur in der kleinen Boutique nebenan, sondern wer auch von großen Unternehmen in seiner Einzigartigkeit angesprochen werden möchte, wird das mit entsprechenden Daten ermöglichen. Das ist auch eine Generationenfrage. Die Älteren, zu denen auch ich mich zähle, sind eher vorsichtig: Wenn ich weiß, mein Auto zeichnet auf, wie schnell ich fahre, macht mich das schon nervös. Viele junge Leute hingegen sind sehr großzügig mit ihren persönlichen Daten.
Unternehmen, die Datenzugang haben möchten, argumentieren also am besten mit individualisierter Ansprache?
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