Die „Herr der Ringe“-Bücher verschlingt Stefan Rösch regelrecht – fasziniert von Tolkiens Beschreibungen von Mittelerde. Voller Aufregung geht er Jahre später ins Kino und ist begeistert. „Die Kombination aus fantastischen Schauplätzen und der spannenden Geschichte hat mich direkt gepackt“, so der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer der Centouris, eines Tourismus-Marktforschungs- und Marketinginstituts an der Universität Passau.
Kurz nach der Veröffentlichung des ersten Teils liest Rösch einen Artikel über Menschen, die Tausende von Dollar ausgeben, um nach Neuseeland zu reisen und sich die Schauplätze von „Herr der Ringe“ anzuschauen. Für Rösch erst unvorstellbar: „Schließlich ist an diesen Orten nichts zu sehen außer weite Landschaften mit Bergen und Seen – Filmkulissen findet man dort nicht mehr“. Doch das Thema lässt ihn nicht mehr los. Was bewegt Filminteressierte, an solche Orte zu reisen? Was erwarten sie von ehemaligen Drehorten? Diese Fragestellung war die Initialzündung für Rösch, sich dem Thema anzunehmen. Damals suchte er nach einem Promotionsthema und fand es. Also bewarb er sich an der University of Otago, auf der Südinsel von Neuseeland in Dunedin, bekam ein Stipendium und zog für die Promotion nach „Mittelerde“. Drei Jahre blieb er, erforschte Drehorte, interviewte und begleitete Drehorttouristen und versuchte herauszufinden, was für eine Motivation hinter der Filmreise steckt. „Seitdem habe ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht und berate Tourismusorganisationen und Film Commissions zur touristischen Vermarktung von Filmen und TV-Serien rund um den Globus. Oft soll ich auch Drehbücher lesen und mit meinem Hintergrundwissen und Blickwinkel darauf schauen, wie Schauplätze noch besser herausgearbeitet werden können.“
Was verbinden Filmfans mit einem Drehort?
Nur ein erfolgreicher Film lässt auch einen Drehort erfolgreich werden. Schauplätzen kann nur eine Priorität eingeräumt werden, wenn Tourismusverbund und Filmproduktionsfirma zusammenarbeiten, so Röschs These.
Da der Erfolg eines Films auch davon abhängt, wie authentisch Schauplätze sind, muss es das Ziel der regionalen Tourismusbehörde sein, den Ort des Geschehens zu promoten, erklärt Andrea David, professionelle Setjetterin, im Gespräch. Sie recherchiert Drehorte, reist an Schauplätze auf der ganzen Welt und schreibt auf ihrem Blog Filmtourismus.de darüber und berät heute touristische Unternehmen bei der Entwicklung filmtouristischer Produkte. Die studierte Tourismusmanagerin schrieb ihre Diplomarbeit über Location-Placement und Filmtourismus. Sie ging der Frage nach: Wie schaffen es fiktive Geschichten in die reale Reisewelt eines Fans? Andrea Davids erste große Filmreise ging nach North Carolina. „Damals war ich großer Fan von ‚Dawsons Creek‘ und die Serie wurde genau dort gedreht.“ Also besuchte sie einige Orte, an denen Szenen entstanden, und fand heraus, dass in North Carolina auch Szenen aus Filmen wie „Dirty Dancing“ und „Forrest Gump“ gedreht wurden. Bis heute hat die Filmaffine über 1000 Drehorte weltweit besucht.
Kein Rezept für erfolgreichen Drehort-Tourismus
Es könnte so einfach sein: Tourismusforscher haben nachgewiesen, dass langfristige filmtouristische Effekte erst zum Tragen kommen, wenn die Crew den Drehort längst verlassen hat. Nach Ausstrahlung des entsprechenden Films gibt es dann massive Besucherzuwächse in den Ortschaften. Gerade Neuseeland zeigt, wie Filmtourismus ein ganzes Land beliebt machen kann. Sie haben es wie kein anderes Land verstanden, eine Marketingstrategie erfolgreich für ein ganzes Land umzusetzen: „Reisen Sie nach Mittelerde“ – so der Slogan zu „Herr der Ringe“-Zeiten.
Selbst Air New Zealand promotete den Film und das Land. So beklebte die Fluggesellschaft das ganze Flugzeug im Hobbit-Look: Zum Filmstart von „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ ließ Air New Zealand eine Boeing-777-Maschine mit Motiven und Charakteren aus dem Film bemalen. Und selbst im Sicherheitsvideo nach Mittelerde erklären bekannte Figuren aus Peter Jacksons Tolkien-Verfilmung, wie man den Sicherheitsgurt anlegt oder wie die Sauerstoffmaske funktioniert. So kann man in Neuseeland auch 14 Jahre nach dem Erscheinen des ersten „Herr der Ringe“-Films (2001) noch immer eine Drehortstour unternehmen oder das Filmset von Hobbingen besuchen. Neuseelands Regierung hat der Produktionsfirma von „Herr der Ringe“ ein 150-Millionen-Paket angeboten, damit die Produktion dort stattfindet – eine lohnenswerte Investition.
Die europäischen Vorreiter: Visit Britain
Doch nicht immer schaffen es Tourismusbehörde und Filmproduktion, ein erfolgreiches Marketingkonzept um einen Film zu bauen. „Da spielen ja immer so viele Faktoren mit. Die touristische Zielgruppe ist immer anders, die Landschaften und Schauplätze verschieden, und manchmal passt es aus geldtechnischen Gründen auch nicht“, erklärt Rösch das Problem der Behörden. Laut Andrea David haben einige Destinationen den Dreh noch nicht raus. „Selbst bei Drehorten von populären Filmen und Serien ist häufig noch wenig oder gar keine Information online zu finden.“
Ein gutes Beispiel in Europa, wie Filmtourismus funktionieren sollte, ist „Visit Britain“ – die britische Fremdenverkehrszentale. Im United Kingdom geben zehn Prozent der Touristen an , aufgrund einer Serie oder eines Films in ein Land zu reisen. Genug für die Tourismus-Behörde, um sich dem Filmbusiness anzunehmen, Highlights herauszupicken und sie gut zu promoten. Das gelang auch beim Film „Paddington“. Hier gehen die Promotion und das Marketing eines Films Hand in Hand. Rund um die Geschichte um den Teddybären baute Visit Britain eine Kampagne auf: Seit April kann man über den Visit-Britain-Shop eine Stadtrundfahrt im Minibus buchen. Um dieses Projekt schnell voranzutreiben, wurde Stefan Rösch als Berater herangezogen.
Tourismus und Filmproduktion sitzen in einem Boot
Die Tourismusbehörde muss frühzeitig die Rechtslage klären, um zum Beispiel auch Fotos und Filmsequenzen zu Marketingzwecken nutzen zu dürfen. Dafür ist eine Kooperation mit der Filmproduktionsfirma sehr wichtig. Ansonsten darf offiziell nicht mit Filmmaterial geworben werden. Genauso ist es auch Tourism Ireland angegangen und hat mit HBO eine Vereinbarung, um mit der Serie „Game of Thrones“ offiziell werben zu dürfen. Kristina Gauges, Marketing Executive von Tourism Ireland, über „Game of Thrones“ in Irland: „Wir haben eine weltweite Kooperation mit HBO. Gerade das Thema ‚Game of Thrones‘ ist in aller Munde. Wir bemerken anhand der Klickzahlen, dass das Interesse nach Irlandreisen wächst, seitdem dort ‚Game of Thrones‘ gedreht wurde. Auch unsere Partner wie DerTour oder TUI bemerken, dass die Anfragen nach Irlandreisen steigen.“ Auch Dubrovnik kann sich kaum noch retten vor Fans. Denn in der kroatischen Küstenstadt steht der Thron von King‘s Landing, auf Deutsch: Königsmund. Seit drei Jahren wird dort jeweils ein paar Wochen gedreht, das letzte Mal im Oktober 2014.
Malta war Drehort vieler Szenen aus der ersten Staffel „Game of Thrones“. Kein Wunder. Denn an vielen Plätzen auf der Insel hat man das Gefühl in einer anderen Welt zu sein oder auf Zeitreise zu gehen. Auch der Tourismusverband Malta hat das Potenzial für den Tourismus erkannt. Andrea David berät VisitMalta auch aktuell, wie man spezielle Angebote für Filmtouristen schafft. Dazu bietet die Malta Tourism Authority (MTA) auch Film- und TV-Produktionen, die auf Malta drehen und Malta an sich thematisieren möchten, eine finanzielle Unterstützung an. Viele Städte und Länder profitiert von Serien, auch weil eine neue Zielgruppe ihre Leidenschaft für Schauplätze und Drehorte entdeckt hat: Serien-Junkies.
Unterbewusste Länderwerbung ist die beste
Und weil fiktionale Filmproduktionen beim Kunden nicht als direkte Werbung wahrgenommen werden, entsteht hier für die Tourismusbehörde ein neuer Markt. Denn unterbewusste Werbung ist meist die beste – und der PR-Return-on-Investment ist immens. „Schließlich macht so ein Film kostenlos Werbung für meine Region – etwas Besseres kann mir doch gar nicht passieren“, sagt Rösch. Die Chance, sich aktiv als Filmregion zu präsentieren, bleibe vielerorts ungenutzt. Es gibt Schätzungen, nach denen jeder von der Branche in das Destinationsmarketing investierte Betrag das 15- bis 20-Fache an Marketing Advertising Value generiert. Hier stellt sich sicherlich die Frage, warum Destinationsmanager überhaupt in filmtouristisches Marketing investieren sollten, wenn die Aufmerksamkeit für die Destination durch eine Produktion ohnehin garantiert ist. Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass der Effekt einer Produktion besonders nachhaltig ist, wenn die Tourismuswirtschaft auch tatsächliche Produkte schnürt und diese entsprechend bewirbt. Zwei Beispiele: die „Sex and the City“-Touren in New York. Zweimal täglich fährt die Tour zu Orten, die durch die Serie Kult wurden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Auch am Strand von „The Beach“ war Andrea David schon: „Ein wundervoller Strand, der vor 10 Uhr unfassbar ruhig und schön ist, aber nach 10 Uhr ist alles überfüllt von Touristen“. Es handelt sich um Maya Bay auf der Insel Ko Phi Phi Leh in Thailand, die Drehort des Thrillers mit Leonardo DiCaprio war.
Serien haben größeres Potenzial im Filmtourismus
Auch in Deutschland und Österreich profitieren Orte von Serien. Man denke nur an Serien wie „Die Schwarzwaldklinik“, „Der Bulle von Tölz“ oder „Der Bergdoktor“. Was insbesondere bei TV-Serien hinzukommt, ist die Tatsache, dass die Produktionsfirma oftmals für viele Jahre in einer Region bleibt und dadurch entsprechend höhere Ausgaben vor Ort tätigt. Die ersten Staffeln der Serie „Der Bergdoktor“ beispielsweise brachten dem Bundesland Tirol eine Wertschöpfung von 32,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren ein. Für David steht fest: „Bei Serien gibt es einen klaren Vorteil: Sie decken einen längeren Zeitraum ab und eignen sich deshalb sehr für Filmreisen. Und dazu handelt es sich um die Zukunft des Filmtourismus. Denn im Moment ist quasi das goldene Zeitalter der Serien“. Und das könnte dem Tourismus zugutekommen.