In Stellenanzeigen von Unternehmen steht gerne: „Wir suchen Querdenker.“ Damit meinen sie dann meistens Leute, die „irgendwas mit nachhaltig und klimaneutral“ machen. Verrückte Rulebreaker also, die den Hintergrund ihrer Excel-Listen farbig ausfüllen und am Berg auch mal im zweiten Gang anfahren.
Mit echten Querdenkern hat das natürlich nichts zu tun. Deswegen werden sie auch nicht wirklich gesucht. Wer möchte schon in einem auf Effizienz getrimmten Unternehmen Leute haben, die permanent Abläufe hinterfragen und alle anderen mit ihren wirren Ideen nerven?
Die meisten Konzerne wollen Mitarbeiter, die voraussehbar funktionieren, und stellen deshalb lieber Jasager und Anpasser ein. Immerhin wurde der Betrieb ja vergangenes Jahr von McKinsey durchstrukturiert. Alle Arbeit läuft jetzt in Workflows und Prozessbahnen. Jeder Mitarbeiter ist Teil der Wertschöpfungskette. Die Zeit zum Nach-, Vor- und Querdenken ist sozusagen wegoptimiert worden. „Ich will in meinem Leben endlich was bewegen!“, klagt der Querdenker. „Dann werden Sie doch Liftboy“, antwortet der McKinsey-Mann.
Wer nützt der Gruppe: Mitläufer oder Störenfriede?
Das Problem: Kreative Menschen benehmen sich im Allgemeinen nicht sonderlich gut. Sie sind unangepasst, respektlos und alles andere als pflegeleicht. Nach allem, was man von ihm weiß, war Steve Jobs ein ziemlicher Snob, der die meisten Leute für Idioten hielt. Aber vielleicht hat er gerade deswegen auch Apparate gebaut, die problemlos von Idioten bedienbar sind. Doch der größte Vorteil von Jobs war: Er war ein Branchenfremder. Er war kein Ingenieur. Er war auch kein Betriebswirt. Er hatte überhaupt keinen Abschluss. Und er hat seinerseits Querdenkern eine Chance gegeben. Die Idee für das Scrollrad beim iPod kam von einem Mitarbeiter aus dem Marketing.
Eigentlich könnte sich jede Organisation glücklich schätzen, ein paar dieser Störenfriede in ihren Reihen zu haben. Denn wahre Loyalität beweist sich nicht im sturen Einhalten von Regeln, sondern im Widerspruch. Andersdenkende gelten oft als egoistisch und selbstsüchtig. Ich glaube, das Gegenteil ist näher an der Wahrheit: In vielen Situationen nützen Querdenker der Gruppe, während Konformisten und Mitläufer nur sich selbst begünstigen. Querdenker sorgen dafür, dass eine Sache überhaupt ernsthaft geprüft wird. Und selbst, wenn sie dabei falschliegen, ist etwas gewonnen: die Erkenntnis, dass es doch richtig war, das Übliche zu tun.
Veränderung mögen wir nicht
Wir alle lieben den schrulligen Querdenker. Aber erst, wenn er seit mindestens 50 Jahren tot ist. Plötzlich befällt ihn eine Idee und die Realität beginnt sich zu verändern, bis der Betreffende Dinge sieht, die niemand vor ihm sah: gekrümmte Räume, einen Seeweg nach Indien oder den Affen im Menschen. Und über Nacht müssen wir uns alle von lieb gewonnenen Weltbildern verabschieden. Doch das mögen wir nicht. Jede Veränderung, jede große Errungenschaft trägt den Stempel der Ablehnung in sich.
Kreative Menschen auszuhalten ist für das Umfeld sicherlich nie leicht. Schon in der Schule haben es Andersdenker von Anfang an schwerer, sich durchzusetzen. Und oftmals fallen die Brillantesten sogar durchs Raster. Rudolf Diesel hatte vermutlich Recht, als er sagte: Von 100 Genies gehen 99 unentdeckt zugrunde. Doch das dürfen wir nicht zulassen. Wir leben in einer Welt, die unberechenbarer und komplexer wird. Und das Einzige, was wir dagegensetzen können, sind Kreativität und Fantasie. Die größten Talente offenbaren sich oftmals an den Rändern und finden sich an Orten, an denen man nie gesucht hat.
Als Kleinkind fiel Winston Churchill in den elterlichen Gartenteich. Der Gärtner sah das und zog den kleinen Winston in letzter Sekunde heraus. Churchills Vater war seinem Gärtner so dankbar, dass er ihm versprach, seinem Sohn die Ausbildung zu finanzieren. Der Sohn des Gärtners studierte Medizin und erfand das Penicillin. Es war Alexander Fleming.