Kann Neuropsychologie das Marketing verändern?
KATJA BRANDT: Ja, Neuropsychologie hat das Marketing bereits stark beeinflusst. Die Erkenntnisse über neurowissenschaftliche Wirkmechanismen werden schon seit Langem eingesetzt, man denke zum Beispiel an die Gestaltung der Supermarkt-Laufrichtungen oder an die Regalanordnungen oder an die neurowissenschaftlich optimierten Verpackungsgestaltungen. Dort ist der Einfluss von entsprechenden Triggern auf unterbewusste Kaufentscheidungen ein wichtiger Bestandteil. Auch in der Kommunikation sind diese Erkenntnisse hoch relevant, daher haben wir diese bereits seit Jahren in unsere Arbeit integriert.
Und wie kann man unbewusstes Verhalten messen und beeinflussen?
Die Grundlagenforschung arbeitet mit aufwändigen apparativen Verfahren, die im täglichen Business natürlich nur begrenzt einsatzfähig sind. Unternehmen wie Nielsen versuchen jedoch auch das alltagstauglicher zu machen. Auch z.B. Decode und Nymphenburg bieten Messverfahren an, die effizient eingesetzt werden können.
Vizeum setzt aus Effizienzgründen auf Befragungsmethoden mit impliziter Messung. Aktuell testen wir verstärkt digitale Datenquellen Quellen wie Social Media, Surfverhalten oder Web Analytics. Menschen geben durch ihre Gespräche und ihre Bewegungen unbewusstes Verhalten preis, was sie aktiviert, was sie motiviert. Dieses Potenzial wollen wir in Zukunft heben, selbstverständlich ohne dabei einzelne Nutzer ungefragt zu profilieren.
Welchen Beratungsansatz verfolgen Sie?
„Motivations to Connect“ beruht auf wichtigen neurowissenschaftlichen und motivationspsychologischen Erkenntnissen und arbeitet mit der Identifikation und Operationalisierung von unbewussten Motivationen und deren Übersetzung in den gesamten Kommunikationsplanungsprozess. Dahinter steht eine der größten Langzeitstudien Europas (seit 2005 im jährlichen Abstand) zum Thema, mit der wir für 38 Branchen über 140 Touchpoints und mehr als 1.000 Umfelder die Frage beantworten, warum Menschen bestimmte Marken und Medien nutzen und wie wir hier größtmögliche Kongruenz und damit eine bessere Kommunikationsleistung erreichen können. Vor allem war uns die Integration von Marken und Medien in das Modell besonders wichtig, damit Werbungtreibende konkrete Rückschlüsse für ihre Marke ziehen und sich damit von allgemeinem Marketingbauchgefühl zu strategischer Markenführung entwickeln können. Mittlerweile können wir jede relevante Stellschraube in der Markenführung auf eine gesteigerte Kommunikationsleistung durch die Passung zwischen menschlicher Motivation und Marke optimieren.
Und welchen Mehrwert bietet Neuromarketing für Werbetreibende?
Von der Optimierung des Produktes und dessen Positionierung über die Gestaltung der Kommunikationsmaßnahmen bis zur taktischen Mediaplanung können diese wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse die Marketinginvestitionen deutlich zielgerichteter und erfolgreicher gestalten. Allein im TV konnten wir eine gesteigerte Werbewirkung von 18% durch die Nutzung des „Mood Congruency Effect“ nachweisen. Diesen Effekt haben wir in allen Medien. Darüber hinaus korreliert eine klare motivatorische Differenzierung einer Marke deutlich mit der Position im Relevant Set des Verbrauchers, was wir ebenfalls in unseren Studien belegen konnten. Vor allem dienen die Forschungserkenntnisse aus Neuromarketing und Motivationspsychologie als grundlegende Stoßrichtungen für die Markenführung, die Bauchgefühl und Intuition mit Fakten stützen. Diese Richtungen werden in gezielt aufgebauter Forschung dann für die individuelle Marke operationalisiert, unter anderem auch mit unserem Ansatz.
Was können Werbetreibende vom Neuromarketing lernen, besonders im digitalen Bereich?
Auch im Online-Marketing können wir die Wirkung von Kampagnen durch unser motivatorisches Targeting deutlich verbessern. Gerade im digitalen Marketing können wir die Verfassung von Konsumenten anhand digitaler Daten deutlich dynamischer abbilden und in Echtzeit ansprechen. Die Anwendungsfelder unseres Ansatzes gehen aber noch deutlich über Media hinaus und reichen über die Ausgestaltung von Kreation und Content Marketing bis zum UX Design von Website und Shop. Allein die Analyse der Webseitenbesucher anhand des motivatorischen Modells im Abgleich mit Positionierung und Kommunikation der Marke ist beispielsweise ein sehr aufschlussreicher Einstieg für die meisten Werbungtreibenden.
Oft genug wird nach dem Ansatz „Quantität statt Qualität“ verfahren. Aber reicht klassische Werbewirkungsforschung heutzutage überhaupt noch aus?
Wenn sie richtig eingesetzt und gelesen werden, sind auch klassische qualitative oder quantitative Pre- und Posttests weiterhin sehr hilfreich. Klassische Werbetrackings zeigen relevante Messgrößen wie z.B. die Durchsetzungsfähigkeit bzw. Merkfähigkeit einer Botschaft. Auch wenn wir wissen, dass das Unterbewusste alles verarbeitet, mit was es konfrontiert wird, ist es doch weiterhin wichtig, die bewusst verarbeiteten Impulse zu kennen. Die merkfähigen Signale einer Marke sind meist die, die einen nachhaltigeren, stärkeren Effekt erzielen. Denken Sie an den berühmten rauchenden Cowboy von Marlboro. Dieser arbeitet so aktiv auf Freiheit/Abenteuer/Selbstverwirklichung, dass dieser Effekt in klassischen Methoden klar mess- und interpretierbar ist. Bei Vizeum haben wir die Werbewirkungsforschung mit dem Umfeldfit verknüpft, um so den Mood Congruency Effect zu quantifizieren. Dieses Thema wird bei klassischen Tests meist nicht berücksichtigt, aber allein der richtige Kontext kann die Werbewirkung verstärken und diese Stellschraube sollte man nicht vernachlässigen.
Was ist der Vorteil des Einsatzes von Motivationspsychologie?
Die Motivationspsychologie ist ein wichtiger Grundbaustein, um Neuromarketing „einsatzfähig“ zu machen. Letzten Endes reicht es nicht aus, zu wissen, dass Hirnareale aktiviert werden. Man muss wissen, warum sie aktiviert werden. Die Motivationspsychologie ist hier ein Türöffner. Durch die Messung der Motivationen der Menschen wissen wir, wie und wo wir die Marken kommunikativ aufladen müssen.