Möbel Roller setzt auf kanalübergreifende Zusammenarbeit

Wie schon bei DocMorris arbeitet Claus Welther bei Möbel Roller mit Hochdruck daran, die unterschiedlichen Marketing-Kanäle vergleichbar und zentral steuerbar zu machen. Nur so ist für ihn ein ertragsmaximierendes Marketing möglich. Die Zahlen gehen vor Bauchgefühl und Real Time Bidding funktioniert
Für Möbel Roller ist die Trennung zwischen Online-Marketing, TV und Katalog ebenso überkommen wie die zwischen E-Commerce und Filiale

Die Ausgangslage für Möbelhändler im E-Commerce ist schwierig. Große Produkte, bei denen die Haptik eine wichtige Rolle spielt, lassen sich nur begrenzt übers Netz darstellen und teuer im Versand vertreiben. Hohe Retourenquoten drohen. Gleichzeitig prognostizieren aber praktisch alle Experten gute Wachstumschancen für die Branche.

Die Konkurrenz Ikea und Home24

Ikea wird praktisch aus dem Stand 2014 Marktführer und punktet mit ausgefallenen und pfiffigen Kampagnen vor allem in den sozialen Medien. Erfolgreiche Platzhirsche wie Butlers aus Köln punkten durch Technik. Man verkauft Möbel bereits seit geraumer Zeit über Online-Videoberatung, wenngleich die UserExperience an ihre Grenzen kommt, wenn die Beleuchtung im Showroom eine ganz andere ist, als zuhause. Und die Nummer zwei in Deutschland, Home24, baute mit enormem Werbedruck die Marke via TV aus.

Mitten dazwischen rangiert Möbel Roller. Laut Statista erzielte das Unternehmen 2014 einen Umsatz in Höhe von 44,3 Millionen Euro und liegt damit auf dem dritten Platz in Deutschland, deutlich vor gehypten Onlineshops wie Westwing, die ebenfalls mit Mediaspendings auf sich aufmerksam machen. Als Discounter ist Roller allerdings knapp bei Marge. Das Werbebudget muss vor allem eines leisten, es muss verkaufen. Und die spannende Frage im Zeitalter der Digitalisierung lautet: Was ist wichtiger, Real Time Advertising und Retargeting oder doch der klassische gedruckte Handzettel?

Leidenschaftslose Kanalwahl

Vor dieser Frage steht Claus Welther jeden Tag. Der Online-Marketingchef bei Möbel Roller baute vor drei Jahren für Doc Morris einen Ansatz auf, der weitgehende Vergleichbarkeit zwischen den Kanälen erzeugte, zumindest zwischen den Onlinekanälen. „Wir haben einen Key Performance Indikator definiert, an dem sich die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Kanals ablesen läßt“, erklärt Welther. Der Indikator setzt sich zusammen aus einer Vielzahl von Parametern und Teilindikatoren, die nach ihrer Bedeutung gewichtet werden und so mehr oder weniger Ausschlag geben. So kann Welther auch differenzierte ökonomische Ziele wie etwa den Lagerabverkauf oder eben eine aktuelle Kampagne an die Kanäle anlegen und die Wirkkraft der jeweiligen Maßnahme so überprüfen. Auch Branding-Ziele lassen sich bis zu einem gewissen Grad im Indikator abbilden. „Es gibt sehr gute quantitative Methoden um Markeneffekte zu messen. Ein Wert den man dafür verwenden kann ist Engagement,“ so Welther. Ein Ergebnis bei DocMorris war zum Beispiel, dass man Affiliate-Marketing zu stark und Display-Advertising zu schwach gewichtete, gemessen an der Verkaufsleistung.

Auseinandersetzung mit Radio, TV und Print

statista

Bei seinem aktuellen Arbeitgeber Möbel Roller arbeitet Welther nun daran, exakt diesen Ansatz weiter auszubauen. Die Steuerung muss präziser und granularer werden und natürlich gehören auch die analogen Medien in die Bewertungsmatrix. Damit ist Welther nicht allein. Derzeit scheint es en vogue, dass sich gestandene Performance-Marketer wieder stärker mit Radio, TV und Print auseinandersetzen. Mario Szirniks, der Chef von Exactag zeigte sich am Rande der Tracks-Konferenz in Hamburg erstaunt darüber, welche Bedeutung zum Beispiel die Papierkataloge für die Kunden des Büroversenders Schneider haben: „Wir haben die Rolle des Hauptkatalogs in der Customer Journey deutlich unterschätzt“. Sogar noch mehr Potential wittert Szirniks in den thematisch abgegrenzten Spezialkatalogen.

Hintergrund der Analogisierung des Performancemarketing ist zum einen ein besseres Verständnis der Kundenreise, zum anderen aber auch eine deutlich vereinfachte Messbarkeit der Analogmedien. Über dezidierte Landeseiten, Gutscheincodes oder eine Google-Analyse, die vor allem während und nach TV-Spots aufschlussreiche Erkenntnisse liefern kann, sind die Analytiker heute in der Lage die Traffic- und Verkaufseffekte von Katalog und Co. zu belegen. Gewichtet man diese mit den teilweise günstigen Reichweitenpreisen, so ist längst nicht jeder Anbieter an der „Beate-Uhse-Schwelle“ und stampft den traditionsreichen Printkatalog ein. Im Gegenteil: Immer mehr Onliner fangen an zu drucken.

Was kann eigentlich RTB?

Die vollständige Transparenz über die Kanäle hinweg ist Claus Welthers Ziel. Allerdings gibt er offen zu, dass es bis dorthin noch Stück des Weges ist. Zwar kann er viele Wirkungseffekte auch der analogen Medien in seinen Analysewerkzeugen heute schon erkennen, aber sie zu steuern braucht mehr. Welther ist verantwortlich für Online-Marketing und E-Commerce. Katalog und Flyer fallen nicht in sein Kernressort. Es ist also wie immer auch eine Frage der Prozesse, wie tief ein guter Ansatz in der Praxis greifen kann. Ein schwieriges Thema ist etwa die starre Budgetierung, die ja einer dynamischen Selbstoptimierung eines Software-gesteuerten Systems im Weg steht. „Jedes Anhalten und erneutes Anfahren einer Kampagne kostet Effizienz. Wir müssen uns von starren Budgetdeckeln lösen“, fordert er.

Derzeit widmet sich Claus Welther der Optimierung der Online-Kanäle. Und einer der spannendsten Fragen zurzeit ist die nach der Bedeutung von Real Time Advertising und Real Time Bidding. Klar ist, dass theoretisch weniger Streuverluste geschehen und klar ist auch, dass die richtige Botschaft zur richtigen Zeit mehr Wirkung beim Kunden entfalten kann. Doch welche Qualität hat das verfügbare Inventar? Und ist der Steuerungsaufwand letztlich nicht teurer als der Streuverlust? Hier kommen Mario Szirniks und Claus Welther tatsächlich zusammen. Welther nutzt einen Algorithmus, den Exactag entwickelt hat. Die Formel heißt passenderweise „contribution score“ und bildet die Basis für Automatisierung im Real Time Bidding. Welther setzt auf ein neutrales, so genanntes Trading Desk von adlicious. Hier treffen sich die Verhandlungssysteme des Werbungtreibenden (Demand Side) und des Publishers (Supply Side) und handeln in Echtzeit Werbeplätze.

Auch in der Wahl seiner Dienstleister ist Claus Welther pragmatisch und leidenschaftslos. Wer mit ihm auf Dauer zusammenarbeiten will, muss seine Leistungsfähigkeit in Zahlen belegen. Und diese Zahlen veröffentlichte adlicious gerade mit einem Proof of concept. Eine RTB-Schaltung über das adlicious-System wurde mit einer klassischen Buchung bei Ströer verglichen. Grundlage der Buchung war eine dezidierte Whitelist. Rolleranzeigen sollten ausschließlich auf Premiuminventar zu sehen sein. Adlicious lieferte folgende Zahlen an Welther: RTB über das Trading Desk skaliert für Roller derzeit bis zu einer Reichweite von 32 Mio. Nutzern, das entspricht 140 Mio. Bannereinblendungen und erzielt 300 000 Klicks. Im Vergleich zur Ströer-Buchung verzeichnet der RTB-Ansatz eine 11 Prozent höhere Kaufwahrscheinlichkeit aufgrund des sehr dynamischen Targeting. Dieses positive Ergebnis steht drastisch gesunkenen Schaltungskosten gegenüber. Adlicious spricht von 93 Prozent Ersparnis, vermutlich vor Abzug der Dienstleister-Provision.

Fazit

Das veröffentlichte Ergebnis von Roller/adlicious trifft die Media-Agenturen derzeit ins Mark. Sollte das Modell Schule machen, sind Maschinen und deren Software wie zum Beispiel der contribution score, die neuen direkten Wettbewerber. Und auch die Publisher werden mit solchen Leistungsversprechen die Qualität ihrer Zielgruppe nicht nur bewerben sondern auch beweisen können. Das würde längerfristig zu steigenden TKP führen können, bei gleichzeitig sinkenden Kosten in Sachen Agenturprovision. Was das Beispiel Möbel Roller aber auch zeigt ist, das es höchst Zeit wird, emotionslos an eine Kanalbewertung heran zu gehen und das mit allen beteiligten Stakeholdern. Die Trennung zwischen Online-Marketing, TV und Katalog ist ebenso überkommen wie die zwischen E-Commerce und Filiale. Beide Systeme funktionieren nur, wenn die Kanäle Hand in Hand arbeiten. Es soll aber immer noch Baumarkt-Mitarbeiter geben, die Kunden lieber zur Konkurrenz schicken als in den eigenen Onlineshop. Denn wenn die „Online-Filiale“ erfolgreich ist, erhöht das ja den Druck auf die Fläche.