Mehr als Werbung: Wie Reachbird Influencer für Aufklärung nutzt

Reachbird will mit einer neuen Unit das Influencer Marketing verändern: weg von Produkten hin zu gesellschaftlicher Aufklärung. Was steckt dahinter? Wir haben mit Agenturgründer Philipp Martin gesprochen.
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Influencer werben vor allem für Produkte. Können Sie auch die Gesellschaft positiv beeinflussen? (© Unsplash)

Herr Martin, Sie wollen in Ihrer Agentur mehr aufs Infoencing setzen, also Informieren statt Werben mit Influencer*innen. Warum?

Wir haben Reachbird 2015 gestartet, als Instagram und YouTube hauptsächlich für Produktplatzierungen genutzt wurden. Doch mit der Zeit haben sich die Plattformen, Communitys und Influencer*innen weiterentwickelt. Neue Plattformen wie TikTok und LinkedIn kamen hinzu, und es wurden mehr Videoformate genutzt. Die Communitys wurden anspruchsvoller und verlangten nach mehr echten Inhalten, wodurch Influencer*innen Themen wie Steuern, Gesundheit und Ernährung aufgegriffen haben, also auch informative und gesellschaftlich relevante Themen.

Gesellschaftliche Themen ja, Sie wollen aber auch gesellschaftspolitisch relevante Themen nach vorne bringen. Können Sie das näher erläutern?

Gesellschaftlich relevante Themen wie Steuern oder Gesundheit betreffen jede*n und dienen der Information. Politische Themen kommen oft dazu, wenn Unternehmen aktivistischer werden. Ein Beispiel ist Roche, ein Pharmakonzern, der sich mit der Benachteiligung von Frauen in der Medizin auseinandersetzt und mit dem wir zusammengearbeitet haben. Hier fließt eine gesellschaftspolitische Komponente ein, über die diskutiert wird.

Wie gelingt im Influencer Marketing der Spagat zwischen der Vermittlung von Wissen und der Erwartung der Marken, dass Influencer*innen auch den Abverkauf fördern sollen?

Im ersten Schritt muss man mit den Marken darüber sprechen, was die Zielsetzung einer Kampagne ist. Da man nicht alle Ziele miteinander kombinieren kann, muss man unterscheiden, ob es sich um eine reine Kommunikations- oder CSR-Kampagne handelt oder um eine Abverkaufs-Kampagne. Entsprechend wird in der Konzeption unterschiedlich angegangen.

Wie sieht eine erfolgreiche Infoencing-Kampagne aus?

Wir sind kein Künstlermanagement, das Influencer*innen vermarktet. Unsere Kund*innen sind in erster Linie die Unternehmen. Wir analysieren, welche Ziele das Unternehmen verfolgen möchte, konzipieren die Kommunikation und suchen dann die passenden Influencer*innen Dabei nutzen wir eigene und externe Tools, um die geeigneten Influencer*innen aus dem richtigen Bereich zu finden. Das ist unser Ansatz.

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Philipp Martin ist Geschäftsführer und Gründer der Münchner Agentur Reachbird (Credit: Reachbird).

Können Haltung und Marketing zusammengebracht werden?

Ja, das kann funktionieren. Man muss sich in Hinblick auf Marketingaktivitäten jedoch bewusst sein und abwägen, ob eine bestimmte Haltung potenzielle Kund*innen abschrecken könnte. Diese Entscheidung liegt auf Markenebene: Will das Unternehmen generell eine Haltung einnehmen?

Wenn ja…?

Dann sollte diese Haltung auch in Kooperationen eingebracht werden. In den richtigen Communitys kann dies zu einer starken Markenbindung und positiven Markenassoziation führen, obwohl es auch Personen geben könnte, die die Haltung nicht teilen und dadurch nicht positiv reagieren.

Sind Marken offen dafür, Haltung zu zeigen oder bleibt es oft nur bei einem Lippenbekenntnis?

Das hängt stark von der Marke ab. Start-ups haben es leichter, Haltung zu zeigen, da sie weniger zu verlieren haben und oft frischer auf dem Markt sind. Traditionell gewachsene Marken haben es schwerer, da sie eine lange Historie und eine etablierte Reputation haben. Bei großen Konzernen sehe ich zwei Lager: Die einen trauen sich und ziehen es konsequent durch, auch in Influencer-Kooperationen und eigener Social-Media-Kommunikation.

Und die anderen?

Die anderen bleiben neutral und setzen auf klassische Kommunikation. Haltung ist ein relativ neues Thema, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat, besonders durch Social Media und Influencer-Kooperationen. Unternehmen müssen entscheiden, ob und wie sie Haltung zeigen wollen, und das hängt oft auch von aktuellen gesellschaftspolitischen Themen ab.

Welche gesellschaftlichen Themen eignen sich besonders gut für Infoencing-Kampagnen?

Themen wie Finanzen, Gesundheit und Bildung eignen sich besonders gut. Unternehmen sehen es als ihren Auftrag, die Gesellschaft über finanzielle und versicherungstechnische Themen zu informieren, da finanzielle Bildung in Deutschland oft zu kurz kommt. Gesundheit, gesunde Ernährung und gesunde Lebensweisen sind ebenfalls leicht zu kommunizieren und werden positiv aufgenommen. Bildungsthemen, wie von Universitäten und Hochschulen, sind ebenfalls gut geeignet, da sie positiv wahrgenommen werden und einfach zu kommunizieren sind.

Sehen Sie neben Finanzen, Bildung und Gesundheit weitere Themen, wo Infoencing stattfinden kann?

Es gibt immer wieder neue Trendthemen. Eines der aktuellen Nischenthemen ist Künstliche Intelligenz. Viele interessieren sich dafür, was KI für verschiedene Branchen und den Alltag bedeutet. Auf Plattformen wie LinkedIn entstehen viele Infoprofile, die sich mit diesem Thema beschäftigen.

Wie stellen Sie sicher, dass die ausgewählten Influencer*innen authentisch und glaubwürdig sind?

Im ersten Schritt screenen wir jede*n Influencer*in. Quantitativ analysieren wir Daten wie Engagement-Raten und die Aktivität der Community. Ein hohes Engagement und positives Sentiment zeigen eine gewisse Glaubwürdigkeit auf Datenbasis. Qualitativ schauen wir uns die Inhalte der Influencer*innen an, insbesondere bei Themen, bei denen Expertise wichtig ist.

Wie funktioniert dabei die Zusammenarbeit mit Marken?

Wir prüfen die Inhalte oft gemeinsam mit unseren Kunden, die die nötige Fachkenntnis mitbringen. Zudem führen wir Google-Checks durch, um zusätzliche Informationen über die Influencer*innen zu finden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, welche Marken die Influencer*innen in der Vergangenheit beworben haben, um sicherzustellen, dass es keine Widersprüche zu unseren Kommunikationszielen gibt.

Wie gehen Sie mit der Kritik um, dass Marken Influencer*innen für Haltungsmarketing nutzen könnten, ohne wirklich hinter den kommunizierten Werten zu stehen – Stichwort Haltungswashing?

Die Communitys sind sensibel und folgen Influencer*innen, weil sie deren Themen und Haltungen schätzen. Wenn eine Marke versucht, sich ohne echte Überzeugung an die Haltung eines Influencers zu hängen, wird das schnell durchschaut und kann in einem Shitstorm enden. Es funktioniert nur, wenn die Marke transparent und ehrlich ist. Ein Unternehmen muss nicht zu 100 Prozent perfekt sein, um über bestimmte Haltungen zu sprechen. Es kann auch offen zugeben, dass es sich verbessern möchte und auf Feedback der Community gespannt ist. Ehrlichkeit ist hier der Schlüssel. Was nicht funktioniert, ist, sich einfach auf die Haltungen eines Influencers zu stützen und positive Kommunikation zu erwarten, ohne selbst authentisch dahinterzustehen.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.