Jeder, der heute im Marketing tätig ist, kommt nicht mehr an ihr vorbei: alles dreht sich um die Marke. Es gibt zahlreiche Definitionen, unzählige Markenmodelle und hunderte Fachbücher, die sich diesem spannenden Thema angenommen haben. Doch in der Fachliteratur und auch in Diskussionen mit Marketingentscheidern, fällt auf, dass sich nur wenige mit der Historie der zu verantwortenden Marken auseinandersetzen. Das ist verwunderlich, da zahlreiche Studien zeigen, dass nicht Bekanntheitsgrad und Distribution sondern Image und Markenhistorie über den langfristigen Markenwert entscheiden. Grund genug für eine kleine Zeitreise…
18. und 19. Jahrhundert – Die ersten Markenartikel entstehen
Auch wenn man die Historie einiger Marken, vor allem im Biersegment, viele Jahrhunderte zurückverfolgen kann (z.B. Garley bis 1314, Mönchshof bis 1349 oder Franziskaner Weissbier bis 1363), begann die eigentliche Entstehungsgeschichte des Markenartikels nach heutigem Verständnis vor gut 300 Jahren: im 18. und 19. Jahrhundert trugen die wenigsten Produkte einen Markennamen. Die meisten Ladenbesitzer waren noch stolz, von ihren Herstellern und Zwischenhändlern Tee oder Kaffee und andere Produkte ohne Kennzeichnung in Kisten, Fässern und anderen Behältern zu erhalten und daraus selbst eigene „Hausmischungen“ zu bereiten. Um ihren Namen bekannt zu machen und um für ein gelungenes Produkt eine Wiederbestellung zu erhalten, schrieben die Erfinder der ersten industriell hergestellten Konsumartikel ihren Namen auf die Kisten und Fässer. Sie standen so mit ihrem Namen für zuverlässige Qualität und machten sich als Hersteller bekannt, in der Hoffnung Vertrauen und die Grundlage für langfristige Geschäftsbeziehungen zu schaffen. Auf Unverständnis, ja Widerstand bei den Einzelhändlern trafen die ersten Markenartikelunternehmen, als sie anfingen ihre Produkte fertig verpackt zu liefern. Die Händler wurden dadurch in ihrer Macht eingeschränkt und mussten auf gewisse Anteile ihrer bis dato großzügigen Handelsspannen verzichten. Trotzdem waren sie gezwungen, diese ersten Markenartikel in ihr Sortiment aufnehmen – da der Verbraucher aufgrund der produktbegleitenden Werbung auf sie aufmerksam wurde und danach fragte und weil der Konkurrent sie mehr und mehr auch führte. Unternehmen wie Lambertz (Gründung 1688), Johann Maria Farina (Gründung 1709), Porzellan-Manufaktur Meissen (Gründung 1710), Zwilling (Gründung 1731) oder Faber-Castell (Gründung 1761) gehörten zu den ersten, die systematisch fabrikmäßig gefertigte Massenprodukte als Markenerzeugnisse entwickelten und dafür Werbung betrieben.
Die älteste Marke im juristischen Sinne gehört offensichtlich der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen GmbH, die ihr Zeichen (zwei sich kreuzende, schwarze Schwerter mit geschwungenem Griff) am 20.05.1875, dem Jahr in dem das 1. Markenschutzgesetz in Deutschland in Kraft trat, als Bildmarke anmeldete. Farina ist laut eigenen Angaben die älteste Parfum Fabrik der Welt, das Hauptprodukt Original EAU DE COLOGNE machte Köln als Duftstadt weltberühmt und wird nunmehr seit bald 300 Jahren noch heute von Johann Maria Farina, dem Ur-Enkel in der fünften Generation des Gründers hergestellt und vertrieben. 1839 entwickelte schließlich Freiherr und Reichsrat Lothar von Faber den ersten Marken-Bleistift der Welt, einen sechseckigen Bleistift, den er mit A.W. Faber kennzeichnete. Seit 01.10.1879 ist die Bildmarke (Turnier der Bleistiftritter) für Blei-, Farb-, Zeichen-, Patent- und Künstlerstifte, sowie Schiefer- und Gummitafeln beim damaligen Kaiserlichen Patentamt geschützt.
Um 1850 war es, als August Wilhelm Adolph Bullrich in polytechnischen und anderen Gesellschaften mit großem Erfolg für sein „Bullrich-Salz“ warb, das schließlich am 06. September 1895 als Warenzeichen eingetragen wurde. Später wurde Bullrich-Salz mit kreativen Sprüchen wie „Hat Dein Corpus etwas Stauung, Bullrich fördert die Verdauung“ oder „Nach Spickaal, Leberwurst und Schmalz verlangt der Körper Bullrich-Salz“ schnell bekannt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden dann weitere sehr erfolgreiche Markenartikel wie Asche´s Bronchialpastiilen (1875), Hoffmann´s Reisstärke (1876), Sunlight (1884), Coca-Cola (1886), Maggi (1887), Kaiser`s Brustcaramellen (1889), Dr. Oetker Original Backin (1893) oder Wrigley (1893) entwickelt.
Die Jahre vor dem ersten Weltkrieg – Etablierung des Markenartikels
Um die Jahrhundertwende schließlich, bedingt durch den zunehmenden Wohlstand einer breiteren bürgerlichen Schicht, entstand im Konsumbereich eine rege Nachfrage nach gehobenen Gütern des täglichen Bedarfs. Der Markenartikel etablierte sich – und man entdeckte ferner, dass Markenartikel und Werbung zusammengehören. Die Werbung wurde regelmäßig geschaltet, das heisst man inserierte nicht nur einmal, sondern in kürzeren Abständen, die ersten „Mediapläne“ wurden konzipiert. In der Phase der Jahrhundertwende bis zum ersten Weltkrieg entstand somit das klassische Feld der Markenartikel: die Verbrauchsgüter des Konsumgüterbereichs. Das Markenartikelangebot umfasste zunächst einmal die wichtigsten Güter des täglichen Bedarfs, das heisst insbesondere also industriell hergestellte Nahrungs- und Genussmittel, Wasch- und Reinigungsmittel, Körperpflegemittel und pharmazeutische Produkte. Dabei war die abgepackte Ware im Verhältnis zu den lose verkauften Produkten nach wie vor äußerst klein, handelte es sich doch weitgehend um Luxusartikel, die im damaligen bürgerlichen Haushalt die Ausnahme bildeten. Eine Tafel Schokolade oder gar die Pralinenpackung, auch die regelmäßige Tasse Kaffee, der Genuss von Kakao oder Tee, die Seifenpackung oder eine Dose mit Pastillen war keinesfalls eine Selbstverständlichkeit und bedeutete selbst in der gut bürgerlichen Durchschnittsfamilie eine wohltuende Abwechselung vom Alltag, bedeutete Festtag und Feierlichkeit.
Bahlsen – Pionier des Branding
Sobald ein Unternehmen oder ein Produkt erfolgreich war, wurde es gnadenlos kopiert. Einen umfassenden gewerblichen Rechtsschutz im heutigen Sinne gab es nicht. Bahlsen war eines der Unternehmen, die besonders oft nachgeahmt wurden. Die „Hannoversche Cakes-Fabrik“ wurde verfolgt von „Hannover´sche Cakes-Werke“ oder von der „Hannover`sche Cakes-Industrie“. Entnervt entschloss sich Hermann Bahlsen zu einer neuen Firmenbezeichnung „H. Bahlsens Keks-Fabrik Hannover“. Das Wort Cakes ersetzte er 1912 durch Keks, das 1896 als „springende Pferd“ eingetragene Warenzeichen wurde 1903 durch das von dem Graphiker Heinrich Mittag entworfenen TET-Zeichen ersetzt. Friedrich Tewes, ein Hannoveraner Museumsdirektor, brachte von einer Ägyptenreise die Idee mit, das altägyptische Wort TET für die Kekspackungen zu verwenden. Nach anfänglicher Skepsis war Bahlsen schnell angetan, als man ihm erklärte, dass TET „ewig dauernd“ bedeutet. 1904 schließlich kam die erste TET-Packung mit Leibniz-Cakes für 30 Pfg. auf den Markt.
Persil –Klassiker und Vorreiter in der Werbung
Als Beweis dafür, dass Werbung wirkt(e) gilt der Klassiker Persil. So schreibt die Henkel-Chronik „125 Jahre Henkel“ auf Seite 14: „Trotz der hohen Werbekosten für Persil von 800 000 bis 1 000 000 Mark wird im Juli 1908 erstmals ein kleiner Überschuss erzielt.“ Und: „Zu den Werbemaßnahmen gehören auch weiß gekleidete Männer mit Persil Sonnenschirmen, die durch belebte Geschäftsstraßen flanieren“ – weit über ein halbes Jahrhundert bevor der Begriff Eventmarketing entwickelt wurde. Bereits 1912, fünf Jahre nach Einführung der Marke, betrug die Persil Produktion 19 750 Tonnen, knapp 40 Prozent der Gesamtproduktion von Henkel.
Schwarzkopf – Erfinder des Markenartikels in der Haarkosmetik
Wer schön sein wollte, hatte es damals nicht einfach. So benutzte man zum Beispiel zum Waschen des Kopfes und zum Putzen der Wohnungen das gleiche Mittel – Kernseife! Die alkalischen Bestandteile der Seife hatten für das Haar allerdings unerwünschte Begleiterscheinungen: Sie führten zu Kalkablagerungen und Grauschleiern und ließen das Haar strohig, stumpf und „leblos“ erscheinen. Das änderte sich 1903, als Hans Schwarzkopf auf Wunsch einer Kundin, ein Shampoo entwickelte, das schnell an Beliebtheit gewann und zunächst unter dem Namen „Das Shampoo mit dem schwarzen Kopf“ und 1904 als „Shampoon“ auf den Markt kam. Mit einem Preis von 20 Pfennigen wird es in kurzer Zeit zum ersten haarkosmetischen Markenartikel Deutschlands.
Weitere Marken, die in dieser Epoche entwickelt wurden, sind: Erdal (1901), Leukoplast (1901), Vivil (1903), Penaten (1904), Kellogg´s (1906), Chlorodont (1907), Persil (1907), Ohropax (1907), Melitta (1908), Labello (1909), Vim (1911), Nivea (1912).
Die Jahre zwischen den Weltkriegen – Befriedigung von Grundbedürfnissen
Der 1. Weltkrieg hatte neue Produkte und Marken kaum zugelassen. Alle Kräfte in den Unternehmen waren darauf konzentriert, Ersatz für nicht mehr verfügbare Rohstoffe zu schaffen. Angesichts des Verfalls der Währung ging der Zwang, die immer teurer werdenden ausländischen Rohstoffe auszutauschen, bis zum Ende der Inflation weiter. Aber die lange angestaute Kreativität drängte nach dem Krieg doch vielfach zu neuen Artikeln. Lange aufgeschobene einfachste Grundbedürfnisse wie Waschen, Putzen, Wundpflege, Körperhygiene oder aber das Verlangen nach den kleinen Genüssen führten so zur Entwicklung von Marken wie Ata (1920), Hansaplast (1922), Haribo Goldbären (1922), Rama (1924), Hakle (1928), Tempo (1929) oder Salzletten (1935).
Haribo – Erfinder der Goldbären und Treiber des Süßwarenmarktes
Im Dezember 1920 gründete der Bonbonkocher Hans Riegel senior in Bonn eine Firma und nannte sie Haribo – kurz und knapp für Hans Riegel, Bonn. 1922 schließlich erfand Hans Riegel den Gummibären. Der attraktive Bär wurde in mühevollen tage- und nächtelangen Experimenten mit diversen Zutaten und Inhaltsstoffen geboren. Damals noch mit traurigem Blick und herunterhängenden Mundwinkeln (ähnlich wie der Erdal Frosch, der erst 1962 das Lächeln lernte). Die Inspiration zu diesem Produkt bekam Hans Riegel durch die fahrenden Tanzbären, die er schon als Kind beobachtete und die eine Jahrmarkttradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts darstellten. Viele Jahre war das Produkt wenig erfolgreich, bis es schließlich durch den gelungenen Marketingmix aus Rezeptumstellung, der Umbenennung in Goldbären und der neuen Verpackungsform in Tüten 1961 zu einem bis heute andauernden Dauerbrenner und Klassiker der Süßwarenbranche aufstieg.
Die Jahre nach 1946 – Wiederaufstieg und Wirtschaftswunder
Deutschland war zerstört. Die Industrie lag am Boden. Die Ladenregale waren leer. Oberstes Bestreben vieler Unternehmen war zunächst, die bekannten Markenartikel wieder in Vorkriegsqualität zu produzieren und die während des Krieges entstandenen namenlosen Ersatzpräparate auslaufen zu lassen. Mit Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs meldeten sich rasch die bereits bekannten und gelernten Markenartikel zurück. Sie waren über die werbefreie Zeit der Kriegsjahre zu wahren Mythen herangereift. Fewa warb 1949 mit: „Da bin ich wieder“ oder Persil warb am 01.09.1950 mit „ein großer Augenblick! Endlich wieder“. Leere Mägen, verschmutzte Kleidung und sehnsuchtserfüllte Köpfe verliehen Waschpulver, Seife oder Margarine, Kaffee und Kuchen besondere Anziehungskräfte. Die Einführung der D-Mark 1949 kam aus Sicht der Markenartikel wie gerufen und schaffte die notwendige Grundlage für die freie Marktwirtschaft mit Angebot und Nachfrage und damit den notwendigen Nährboden für das weitere Wachstum von Markenartikeln. Das dominierende Medium in der Werbung war immer noch die Plakatwerbung, wenngleich schnell die Printwerbung in Zeitungen und Zeitschriften wie Stern, Spiegel oder Hör Zu (die später selbst zu Markenartikeln werden sollten) dazukam und bald die Plakatwerbung an Bedeutung übertraf. In allen industriell aufstrebenden Ländern (vor allem in den USA) setzten sich Markenartikel mehr und mehr durch, insbesondere nachdem in den entsprechenden Ländern die Nutzung von Marken per Gesetzgebung und Rechtssprechung gegen Nachahmung durch Wettbewerber geschützt wurde.
Fazit und Ausblick
Das 20. Jahrhundert war das erste volle Jahrhundert des Markenartikels. Niemand konnte vorhersehen, dass die Vermarktungsform Marke so stark im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens der heutigen Zeit stehen würde. Heutzutage gibt es kaum etwas, das keine Marke sein könnte: jeder Name, der mit Sinn erfüllt ist und Assoziationen auslöst, ist eine Marke. Selbst die Queen Mary 2, ein Schiff der Carnival Cruise Lines, kann als überaus attraktive Marke bezeichnet werden: für eine Fahrt auf dem neuen Luxusliner kann Carnival fast jeden Preis verlangen – die Kabinen sind dennoch auf Monate ausgebucht. Viele Unternehmen wollen daher, dass ihr Markenname einzigartig ist und in seiner Produktkategorie herausragt. Mit Markennamen wie Hansaplast (Wundpflaster), Tempo (Taschentücher), Aspirin (Schmerzmittel), Ata (Scheuermittel), Labello (Lippenpflegestifte), Pattex (Klebstoffe), Pril (Spülmittel), tesa (Klebebänder) oder ebay (Online Auktionshaus) wurden eindrucksvolle Gattungsbegriffe geschaffen, die zum Synonym für ein komplettes Marktsegment geworden sind. Ein Teil der Marken aus der Gründerzeit wie „Persil“, „Tempo“ oder „Wrigley“ (feiert momentan sein 111. Jubiläum) hat bis heute überlebt und sich bei richtigem Markenmanagement prächtig entwickelt.
Markenbildung wird in vielen Fällen auch in Zukunft die Strategie sein, die zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil führen wird. Non-Profit-Organisationen, Dienstleistungsangebote, Einzelgeschäfte, mittlere Anbieter, Länder und Regionen, Anbieter von Investitionsgütern – jedes Gut, das auf einem Markt gehandelt wird, kann als Marke konzipiert werden. Obwohl es Marken gibt, die älter als 250 Jahre sind (wie zum Beispiel Farina), hat ihre große Zeit gerade erst begonnnen. Marken, die vor 50 Jahren kaum in der Phantasie ihrer Erfinder existierten (wie zum Beispiel McDonald`s, Microsoft oder Nike) verfügen über einen materiellen Wert und eine globale Präsenz, von der man früher nicht einmal zu träumen wagte. Die Marke ebay ist bereits neun Jahre nach ihrer Gründung nach der im Juli veröffentlichten neuen Rangliste des Markenberatungsunternehmens Interbrand (www.interbrand.com) mit einem Markenwert von 4,7 Milliarden US Dollar auf Platz 60 der wertvollsten Marken der Welt. Ein weiteres Zeichen dafür, dass gerade heute die Marke mehr denn je und zu Recht das Megathema schlechthin ist.
Autor: Michael Paul ist Inhaber des Beratungsunternehmens Marketing Pilots und Gründer des ersten virtuellen Markenmuseums. Er verfügt über mehr als fünfzehn Jahre Marketingerfahrung und arbeitete unter anderem für Masterfoods, Axel Springer, Gerolsteiner, Kühne und Daimler Chrysler.