„Kwitt“ durch Artifical Intelligence: Sparkassen-Muskelmann als Inkasso-Bot für die Generation Z

Besiegeln Künstliche Intelligenz, Bots und Voice Recognition das Ende der App-Economy? Diesen Fragen gingen Linh Nyguyen (Kisura), Sven Krüger (T-Systems), Silke Lehm (Deutscher Sparkassen- und Giroverband) und Christoph Linß (Otto Group) beim 44. Deutschen Marketing Tag in Frankfurt auf den Grund. Einhellige Überzeugung der Runde: Bots und der automatisierten Kundenansprache gehört die Zukunft.

„Digitalisierung ist wie ein ICE, der mit 300 km/h auf uns zurast. Sie wird massive Veränderungen mit sich bringen“, leitet Sven Krüger, Leiter Marketing beim international operierenden Dienstleister für Informations- und Kommunikationstechnologie T-Systems, in seinen Vortrag ein. In naher Zukunft werde vor allem Artificial Intelligence Veränderungen mit sich bringen.

Auf Nutzerseite würden wir Artifical Narrow Intelligence/ANI (siehe Grafik) bereits täglich erleben, zum Beispiel, wenn wir auf unserem Smartphone das nächste Uber Taxi suchen. Im Marketing spiele vor allem Programmatic Advertising eine bedeutende Rolle, da man mit dem programmatischen Mediaeinkauf  zielgruppenspezifische Werbung intelligenter ausspielen könne. „Wahnsinnig smart“, sei das aber noch nicht, stellt Krüger fest. Was bereits viel besser funktioniere, seien Botsvon denen Krüger glaubt, dass sie sich mittelfristig in nahezu jedem Unternehmen als das Kommunikationsmittel erster Wahl durchsetzen werden.

Generation Z – wer sie erreichen will, braucht Chatbots

Warum? Weil die „jungen Leute und damit die neuen Zielgruppen genau diese Art der Kommunikation fordern“, so Krüger. Dabei spielt er vor allem auf die Jahrgänge nach 2000 an. Eine Generation, die vorzugsweise online kommuniziere, in der Mediennutzung sehr ungeduldig sei und somit  möglichst schnell und unmittelbar Content abrufen wolle. „Für sie sind Chatbots das perfekt Pendant: Denn die antworten zielgruppenspezifisch rund um die Uhr, immer freundlich und kompetent„, sagt Krüger, der sogar prophezeit, dass künftig jeder Erstkontakt mit einem Unternehmen über einen Bot erfolgen werde. „In ein paar Jahren sei es durchaus real, dass der Flughafen mich als Kunden erkennt, weiß wo ich hin will und per Mimikerkennung erahnen kann, wie ich gelaunt bin.“ Aufgrund dieser umfangreichen Nutzerkenntnis der Bots sieht Krüger das „Ende der Welt, wie wir sie kennen, nahen“. Natürlich meint er damit nicht den Weltuntergang, sondern das Verständnis von Privatssphäre und Freiheit, die aufgrund der technologischen Veränderungen rechtlich neu definiert werden müssten.

 Sparkasse setzt auf Hulk-Bot

Wie automatisierte Kundeninteraktion bereits jetzt Anwendung finden kann, zeigte Silke Lehm, Leiterin Marketing-Kommunikation beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Bei der Sparkasse nämlich gibt es seit kurzem einen „Storytelling Chatbot“ in Form eines muskelbepackten Sparkassengeldbotens, der das Produkt Kwitt verkörpert, mit dem man ähnlich wie bei Paypal Geld schnell und einfach von Handy zu Handy schicken kann. Die User können Christians Dienste per Facebook-Messenger „buchen“, indem sie mit ihm individuelle „Drohvideos“ erstellen und es mit einem Facebook-Freund (in diesem Falls dem Schuldner) teilen. Der Muskelprotz erinnert den Freund im Video an seine offene Schulden.

https://www.youtube.com/watch?v=ANe45E5e8LM

„Mit dieser Kampagne, deren Herzstück der Bot ist, wollten wir bei der Sparkassen ein gravierendes Problem angehen, nämlich, dass wir bei den Jüngeren nicht als progressiv und fortschrittlich und somit als unattraktiv angesehen werden“, erklärt Lehm. Insgesamt erzielte die Sparkasse mit ihrem Droh-Bot 9,5 Millionen Videoraufrufe mit einer Verweildauer von drei Minuten. Ingesamt wurden von den Usern 135.000 personalisierte Videos erstellt und innerhalb von sechs Wochen stieg Kwitt-Nutzung um 22 Prozent. „Die Kombination aus Technik, Kreation und Strategie hat uns zum Erfolg geführt“, zieht Lehm ihr Fazit.

Automatisierte Modeberatung – geht das?

Beratung mit Technologie verheiraten, das will Linh Nguyen, die vor vier Jahren gemeinsam mit Tanja Bogumil Deutschlands erste persönliche Online-Shopping-Plattform für Frauen, Kisura, gründete, wo sie jetzt zuständig für die Bereiche Finanzen und Operation ist. Mit ihrer Plattform wollen sie Frauen dabei unterstützen, ihre individuelle Schönheit mit passender Kleidung zu finden. Jede Kundin werde dabei persönlich betreut. Und genau darum ging es auch in ihrem Vortrag: Um das optimale Individualisierungsniveau der 1:1 Kunden-Interaktion. Bei Kisura legt eine Kundin ein Profil an, in dem sie – nahezu – alles über sich verrät, von Lieblingsfarbe bis hin zu Problemzonen. Für sie erstellen die Kisura-Stylisten dann ein Outfit. „Dadurch, dass wir das Outfit auf die Kundin zuschneiden, ist unser durchschnittlich gekaufter Warenkorb mit 150 Euro deutlich höher als der von gängigen Onlineshops wie Zalando oder Asos. Unser Vorteil ist ganz klar unser Zugang zu den Kundendaten“, hält Nguyen fest. 

Die Entscheidung der Stylistin – noch eine Black Box

In den kommenden 18 Monaten will das Modeunternehmen die bisher manuell getriebenen Prozesse zu digitalisieren und hat sich dafür extra Data Scientists ins Haus geholt. Bisher erlebe jede Kundin den Kisura Auftritt noch gleich, das soll sich in Q1 nächsten Jahres ändern. Ab da soll  jede Kundin individuell angesprochen werden und kann auch mit der Stylistin reden beziehungsweise chatten können. In Schritt 2 sollen die Daten aus der Konversation zwischen Kundin und Stylistin gesammelt und ausgewertet werden. „Unser Ziel ist ein Matchin-Algorithmus, an dem wir bereits jetzt arbeiten“, so die junge Gründerin. Allerdings bewege man sich in vielen Bereichen noch in einer Black Box. Es sei nämlich gar nicht so einfach, die Kunden- und Produktdaten zu matchen, um dann geeignete Outfit-Empfehlungen zu erhalten. „Es gibt auf der einen Seite zu viele Variablen wie Persönlichkeitsnunancen oder Stilvorlieben sowie auf der anderen Seite zu viele und schlecht standardisierte Produktvariablen. So heiße eine dunkelblaue Hose der Marke A „dunkelbaue Jeans“, die der Marke B „navy blue stonedwshed Jeans. Hier sind wir zwar schon auf einem guten Lösungsweg, doch vor der dritten Komponente, der automatisierten Umsetzung der Entscheidung, die die Stylistin letztlich doch mit ihrer eigenen subjektiven Sichtweise trifft, stehen wir noch ratlos“, gibt Nguyen zu.