Frau Crepaz, die Definitionen von Content Marketing streuen derzeit noch sehr breit: Wie verstehen und betreiben Sie Content Marketing?
GABRIELE CREPAZ: Klar, wir alle haben diese verschiedenen Definitionen im Kopf. Ich komme ursprünglich aus dem Journalismus. Für mich steht beim Content Marketing der Content an erster Stelle. Erstklassiger Content, der Ausdruck des Wertekanons eines Unternehmens ist, und für den Menschen sich interessieren, weil er wertvolle, auch nützliche Informationen und Sichtweisen vermittelt, nach denen Menschen suchen. Dieser Aspekt des Suchens und Findens erscheint mir sehr wichtig. Erst dann hat man ja das Gefühl, nicht von Werbung umworben zu sein. Auch wenn wir nachhelfen, um gefunden zu werden… Gutes und ernst gemeintes Content Marketing ist für mich die ehrlichste Art, auf sich, seine Marke und seine Produkte aufmerksam zu machen.
Hat es das vorher nicht gegeben? Was ist an Content Marketing neu?
Doch, große Marken, die ein sehr klares Profil haben, haben das immer schon gemacht. Sie haben eine zentrale Story, die jeder kennt. Ich denke an Chanel, an Coca Cola, an Apple etc. Und diese verlassen sie nie, egal, welche Richtung irgendwelche Trends nehmen. Sie verbiegen sich nicht für einen Trend, sie folgen einem Wert, den sie für sich definiert haben. Für viele Unternehmen – habe ich den Eindruck – ist das neu. Dass man die gesamte Kette von der Produktentwicklung über den Vertrieb bis zur Kommunikation nicht mehr vom Produkt her denkt, sondern von den Werten, die im Unternehmen gelebt werden, und dem Sinn, den das Unternehmen stiften kann. Das heißt, Content Marketing beginnt bei der Unternehmensführung. Daran müssen viele Unternehmen noch arbeiten.
Aus Ihrer Beobachtung: Wie intensiv setzen Unternehmen schon Content Marketing ein und mit welchem Erfolg?
Ich spüre bei vielen Unternehmen einen großen Willen. Bei riesigen Unternehmen wie bei kleinen. Das Gute daran ist: Gutes Content Marketing hat nicht unbedingt mit großen Budgets zu tun. Entscheidend ist die Haltung, die ein Unternehmen entwickelt. Und da sehe ich, dass nur wenige Unternehmen es wirklich richtig und konsequent machen. Es geht eben nicht darum, irgendeinen coolen oder flapsigen Content zu liefern. Das macht klassische Werbung ja auch. Es geht darum, Menschen wirklich zu berühren. Ein Beispiel, das mich sehr berührt hat, ist das Bloggerprojekt Einblick des Pharmaunternehmens Sanofi Genzyme. Das Projekt hat gerade den Deutschen Content Marketing Preis gewonnen. Zu Recht. Blogger, die selbst Multiple Sklerose haben, erzählen Menschen mit MS und deren Angehörigen, wie sie mit und trotz der Krankheit leben. Das ist so ehrlich und echt und mutig, dass man sich diesen Geschichten gar nicht entziehen kann. Sanofi Genzyme stellt damit die Menschen in den Vordergrund, nicht das Medikament, mit dem Geld verdient wird. Dieser Mehrwert ist wunderbar und unmittelbar spürbar.
Wo sehen Sie Umsetzungsdefizite in der Praxis? Wo sehen Sie Grenzen beim Einsatz von Content Marketing?
Soll ich ehrlich sein? Jeder meint, er macht Content Marketing, wenn er nur einen halbwegs sinnvollen Dreizeiler formuliert und eben nicht gleich mit der Aufforderung herausplatzt: Kauf mich! Ich habe das jetzt zugespitzt, aber: ja, in vielen Fällen beschränkt sich Content Marketing auf zeitlich begrenzte Kampagnen. Und da schielen die Unternehmen auf die schnellen Zahlen. Zu schnell für meinen Geschmack. Wer ernsthaft Content Marketing machen will, muss sehr gut überlegen, welche zentrale Botschaft des Unternehmens bei den Menschen ankommen soll. Und diese Botschaft muss wirklich zum Unternehmen passen. Das ist das Wichtigste. Danach ist ein langer Atem notwendig: wer das Vertrauen der Kunden gewinnen will, sollte nicht ungeduldig sein. Ganz egal, in welchem Kanal er kommuniziert, es muss dauerhaft sein. Erst dann ist ein Unternehmen glaubwürdig.
Wie wichtig sind Medien als Werbeträger (Paid Media) im Mix? Oder wandeln sich die Unternehmen zu eigenen Werbeträgern?
Vielleicht ist Werbeträger nicht das geeignete Wort. Ganz spontan fällt mir die „Bocca della verità“ in Rom ein, dieses Relief, von dem die Legende weiß, dass jedem Lügner, der seine Hand in die Öffnung legt, diese abgebissen wird. Für mich vollzieht sich an den Unternehmen die Lügenprobe. Sie entscheiden, ob sie am Ende als „Lügner“ oder „Wahrredner“ dastehen wollen. Das gilt auch für den bezahlten Einsatz in Drittmedien. In Kombination mit einem echten Content Marketing Ansatz erscheint mir Werbung durch gekennzeichnetes Native Advertising, also einer inhaltsfokussierten Form von Werbung, am stimmigsten und erfolgversprechendsten.
Core Stories arbeitet an der Schnittstelle zwischen Marketing und Journalismus und verbindet damit wesentliche Kenntnisse für erfolgreiches Content Marketing.
Gabriele Crepaz ist auch auf dem Deutschen Marketing Tag 2016 in Leipzig. Dort wird sie beim Roundtable über das Thema „Content Marketing & Storytelling … die Wiederentdeckung einer alten Tugend?“ sprechen.