Von Regine Kalka und Andreas Krämer
Die Ankündigung von NRW-Umweltminister Remmel, personalisierte Preise im Online-Handel bekämpfen zu wollen, führt zu einer neuen Diskussion über das Thema dynamische Preissetzung im Handel. Hier steht unmittelbar auch der Branchenriese Amazon im Fokus. Firmenchef Jeff Bezos hatte schon im Jahr 2000 verkündet, Amazon würde niemals zulassen, die Preise auf Basis von Kundeneigenschaften differenziert anzubieten. Dem Unternehmen war zuvor nachgewiesen worden, seinen Kunden ein und dasselbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen zu verkaufen.
Mit einem Marktanteil am gesamten Online-Handelsumsatz von 25,5 Prozent im Jahre 2015 genießt der E-Commerce Gigant Amazon einen großen Vertrauens- und Leistungsbonus bei den deutschen Online-Kunden. Aber worauf basiert dieser Bonus aus Sicht der Kunden? Im Rahmen einer empirischen Studie der Exeo Strategic Consulting AG in Zusammenarbeit mit der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften (basierend auf einer Verbraucherbefragung durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Rogator und einer Preisbeobachtung) wurde zunächst überprüft, bei welchen Amazon-Leistungsbestandteilen deren Kunden eine vorteilhafte Leistung im Vergleich zur Konkurrenz sehen. Interviewt wurden 500 Personen ab 18 Jahren in Deutschland (Onlinestudie, September 2015).
Auswahl und Service sind wichtiger als der Preis
Als wichtigste Vorteile wurden das breite Sortiment (85 Prozent) und die schnelle Lieferung (80 Prozent) genannt, gefolgt von einem übersichtlichen Kundenkonto (55 Prozent). Erst an vierter Stelle im Ranking der Top-Leistungen erscheint der Faktor „günstiger Preis“ mit 53 Prozent. Den deutschen Verbrauchern scheint es primär nicht darum zu gehen, bei Amazon den günstigsten Preis zu erhalten. Vielmehr wird von den Amazon-Kunden den Serviceelementen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Insbesondere das übersichtliche Kundenkonto, welches dem Nutzer eine hohe Transparenz bezüglich seiner getätigten Bestellungen gibt, erreicht eine hohe Wertschätzung bei den Amazon Kunden.
2015 hatte Amazon für Schlagzeilen gesorgt, weil allein am Valentinstag mehr als eine Million Preisänderungen vorgenommen wurden. Bei einzelnen Produkten schwankten die Preise innerhalb weniger Stunden um bis zu 240 Prozent. Der Grund für diese breite Variation der Preise ist der Algorithmus des „Dynamic Pricing“, der von Amazon entwickelt wurde. Mit diesem Werkzeug wird versucht, Gewinne je nach Marktpreis und wirtschaftlicher Rentabilität zu maximieren.
Über das Smartphone ist die Kaffeemaschine günstiger
Ob und wie stark Amazon seine Preise variiert beziehungsweise welche Formen der Preisdifferenzierung angewendet werden, wurde im Rahmen einer experimentellen Studie überprüft. Dazu wurden für ausgewählte Produkte Preisrecherchen bei Amazon und Wettbewerbern durchgeführt, und zwar zeitgleich über unterschiedliche Gerätetypen. Auf diese Weise sollte untersucht werden, ob beispielsweise Kunden mit iOS-Geräten höhere Preise angeboten werden als Verbrauchern mit anderen Gerätetypen. Für die untersuchten Produkte wurde auch eine Analyse der langfristigen Preisentwicklung von Amazon durchgeführt und dazu die Website www.mein-wunschpreis.com genutzt. Im Ergebnis zeigt sich in der Langfristanalyse eine erhebliche Fluktuation der Preise, etwa um bis zum 300 Euro bei der Kamera Nikon D610 oder auch bei der Kaffeemaschine Krups 3006X Nespresso.
Im Vergleich dazu waren auf Ebene einzelner Verbraucher weniger häufig Preisvariationen erkennbar. So wurde die untersuchte Kaffeemaschine teilweise bei Anfrage über Smartphone mit Betriebssystem iOS günstiger angeboten als bei anderen Gerätetypen (auch Laptop mit iOS). Nachdem der WDR 2015 in einem Test feststellte, dass je nach Anfrage über das Smartphone (App) oder Laptop bei Amazon teilweise unterschiedliche Preise angezeigt wurden, wies das Unternehmen darauf hin, dass der Typ des Endgeräts keinerlei Einfluss auf den bei Amazon ausgewiesenen Preis habe. Ob allerdings das Kundenprofil einen Einfluss hat, bleibt offen.
Im Rahmen der Verbraucherbefragung (Pricing Lab) wurde zusätzlich untersucht, wie die Kunden von Amazon unterschiedliche Formen der Preisdifferenzierung bewerten. Dies bezog sich erstens auf eine Form der dynamischen Preisfestsetzung, bei der der Preis für ein Produkt je nach Nachfrage festgelegt wird, das bedeutet, die Preise für ein und das selbe Produkt variieren und fallen mal höher, mal niedriger aus. Das Urteil der Verbraucher hierzu ist eher indifferent, wobei der Anteil an Zustimmung (25 Prozent top-2 Bewertung auf einer 6er-Skala) geringer ist als der ablehnende Teil der Kunden (34 Prozent). Dies berücksichtigt aber nicht, dass einem Teil der Verbraucher etwaige Preisdifferenzen in der Praxis gar nicht auffallen.
Kundenindividuelle Preise schaden dem Kundenvertrauen
Zweitens wurde eine weitere Form der dynamischen Preisfestsetzung präsentiert, bei der Kunden von Amazon unterschiedliche Preise angezeigt wurden, je nachdem, wie sie suchen und von welchem Gerät aus. Dies trifft bei den Befragten auf eine sehr starke Ablehnung. Nur jeder zehnte Befragte sieht das Thema eher unkritisch. 44 Prozent der Amazon-Kunden sind der Meinung, Amazon könne es sich nicht leisten, seinen Kunden entsprechend ihres Profils unterschiedliche Preise anzubieten. Mehr als 50 Prozent der Amazon-Kunden sind sogar der Meinung, dann nicht mehr beim Online-Händler einzukaufen. Sicherlich können diese Bewertungen nicht unbedingt als Risiko im Sinne einer Nachfragereduktion gesehen werden. Aber es wird deutlich, dass ein dynamisches Pricing mit individuell unterschiedlichen Preisen ein Image-Risiko beinhaltet.
Die Akzeptanz der Preisgestaltung durch die Verbraucher sollte insbesondere für Amazon, dessen Geschäftsmodell auf Wachstum (bei geringer Umsatzrentabilität von < 1 Prozent) sowie Kundenbindung und –vertrauen aufbaut, von elementarer Bedeutung sein. Wie die Analyse zeigt, ist eine dynamische Preisgestaltung basierend auf schnellen Preisanpassungen im Zeitverlauf je nach Nachfrage weniger ein Problem für die Kunden. Eine große Mehrheit der Amazon-Kunden sieht aber mehr Probleme in der dynamischen Preisbildung auf Basis des Kundenprofils. Wenn die Kunden das Gefühl haben, dass ihre persönlichen Daten für die Preisbildung „missbraucht“ werden, kann das Kundenvertrauen als größtes Firmenasset verloren gehen. Der Schaden ist dann weit aus größer als der Nutzen durch ein One-to-One-Pricing.
Regine Kalka ist Professorin für Marketing und Kommunikation an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Andreas Krämer ist Fachdozent für Pricing und Kundenwertmanagement an der Business and Information Technology School (BiTS), Iserlohn, und CEO der Beratungsgesellschaft Exeo Strategic Consulting AG, Bonn.