Hohe Fanzahlen werden gerne kommuniziert, aber letztlich sind sie kein Indikator für den Erfolg von Social Media. Denn eine große Fangemeinde lässt sich durch Gewinnspiele erzeugen oder gar bei einschlägigen Agenturen kaufen. Nur: Was bringen Tausende Fans aus Indien, die nach dem schnellen „Like“ als digitale Karteileichen vor sich hindümpeln? „Die Herausforderung besteht in der Relevanz der Messkriterien für das jeweilige Geschäft. Letztlich muss jedes Unternehmen für sich eine konzeptionelle Brücke von den relevanten Plattform-Metriken zu den im Unternehmen gängigen Performance-Indikatoren schlagen und auf dieser Basis seine Social-Media-Aktivitäten steuern“, meint Albert Brenner, Beirat im Kreis Social Media Excellence.
Das klingt nach Common Sense im Marketing. Doch viele Entscheider sind offensichtlich mit der Steuerung ihrer Webaktivitäten überfordert und erliegen hartnäckigen Vorurteilen. Die absatzwirtschaft hat die gängigsten Irrtümer der Marketer im Umgang mit Social Media zusammengestellt.
„Hört endlich auf, von Social Media zu reden, das ganze Web ist social“, provoziert der französische Marketingberater Gregory Pouy, auch bekannt als Greg from Paris. Tatsächlich erschöpft sich der Blick auf die soziale Dimension des Internets hierzulande gerne auf Facebook und Twitter und vor allem auf klassische Customer-Relationship-Management-Ziele wie Kundenbindung oder Loyalität. Eine Studie der Universität Zürich, gemeinsam mit Lithium erstellt, einem Hersteller einer Software für Social Media Monitoring und Management, kommt zu dem Ergebnis, dass Unternehmen bislang zu wenig in produktiven Kategorien denken. Das ist bei Themen wie Co-Creation oder Crowdsourcing der Fall, und auch der unmittelbare Serviceansatz, der ja in der Lage wäre, die Kosten eines Call-Centers zu senken, wird trotz prominenter Vorbilder eher stiefmütterlich behandelt.
Der Account ist schnell erstellt. Und nun? Die Tatsache, dass die Nutzung von Facebook und Twitter für Unternehmen unmittelbar kein Geld kostet – wie zum Beispiel das Hosting –, verstellt den Blick auf die tatsächlichen Kosten. Die internen Aufwendungen umfassen Personal, Schulung und die Produktionskosten für die Beiträge. Außerdem wären Aktivitäten zur Entwicklung einer Strategie und zur Definition von Prozessen einzukalkulieren, etwa für den Fall, dass ein Shitstorm kommen könnte. Maik Königs, der mit seiner Agentur Elbkind Kunden wie Ritter Sport und die Rügenwalder Mühle betreut, legt den Fokus auf die Marketingkosten: „Was wir unseren Kunden erzählen, ist, dass wir auf Facebook selbst mit den lustigsten, viralsten Dingen keinen Erfolg mehr haben werden, wenn wir nicht Mediadruck dahintergeben.“ Mit regulären Postings erreichen Unternehmen heute nur noch fünf Prozent ihrer Fans.
Tatsächlich werden in der Öffentlichkeit vor allem Publikumsthemen wie „Telekom hilft“ oder große Lovebrands wie Nike und Ikea gelobt, wenn es um Social Media geht. Doch die Fälle, in denen kleine und mittlere Unternehmen erfolgreich von Social Media Gebrauch gemacht haben, sind Legion. Berühmt geworden sind zum Beispiel der Hannoveraner Maler Heyse oder der Verdener Keksproduzent Hans Freitag. Beide haben mit Corporate Blogs nicht nur Bestandskunden informiert, sondern auch Neugeschäft generiert. Die Rügenwalder Mühle hat in einem kleinen Crowdsourcing-Projekt Geschmacksvarianten der Wurstspezialität Schinkenspieker gesucht und gefunden.
Mythos 4: Meine Zielgruppe ist nicht in den sozialen Medien
Das ist vermutlich einer der populärsten Mythen in Sachen Social Media. Für die USA hat eine Studie von Pew Internet Projects herausgefunden, dass 72 Prozent aller erwachsenen Amerikaner soziale Netzwerke nutzen, und selbst in der Zielgruppe über 65 Jahren sind es noch 43 Prozent. Selbst wenn sich also die Zielgruppe nicht direkt zu erkennen geben sollte: Sie ist da. Und nicht zu vergessen sind die indirekten Wirkungen spannender Inhalte auf die Suchergebnisse bei Google. Was das Thema Verkaufen angeht, so muss Social Media sehr differenziert betrachtet werden. Ein einmaliges Angebot, wie eine limitierte Ausgabe des Ford EcoSport SUV, verkaufte sich Anfang dieses Jahres prächtig. Das Auto wurde in einer Auflage von 500 Stück nur über Facebook beworben.
DDB Worldwide hat herausgefunden, dass im Durchschnitt 84 Prozent aller Fans einer Marke schon vorher Bestandskunden waren. Die Marktforscher des L2 Think Tank haben in einer Studie unter 247 Luxusmarken ermittelt, dass die sozialen Netzwerke deutlich unter einem Prozent der Neukunden gewinnen. Die organische Google-Suche, bezahlte Werbung bei Google und E-Mail-Marketing rangieren da weitaus höher. Wer allerdings seine bestehende Zielgruppe zum erneuten Einkaufen bewegen möchte, ist bei Facebook genau richtig. Die CBR Fashion Group erlaubt ihren 170 Cecil-Läden, eigene Facebookseiten zu betreiben und dort unterschiedliche Aktionen auszuprobieren. Für einen Einzelshop sehr erfolgreich war eine Aktion des Cecil-Ladens in Miltenberg. Jedem Like, das einem Produkt gegeben wurde, war ein Rabatt zugeordnet. Insgesamt erreichte der entsprechende Post 13 000 Nutzer, erzielte 176 Likes und verkaufte Produkte im Wert von 1 326,14 Euro. Das Zünglein an der Waage spielte hier wiederum Paid Media. Organisch hätten nur 2 500 User den Beitrag gesehen, die restlichen 10 500 erreichte Cecil über einen Sponsored Post.
Mythos 6: In B2B ist alles anders
Das wohl am häufigsten zitierte Klischee ist, dass Social Media im B2B nicht relevant ist. Zweifellos ist der Beschaffungsprozess ein anderer, und die Zielgruppen sind meistens kleiner, doch die Wirkung spannender Inhalte für die Information oder zum Support sowie die Möglichkeiten des Dialogs sind die gleichen. Mehr noch: Da B2B-Kontakte oftmals bereits stärker verknüpft sind, ist die Dialogbereitschaft der Klientel vermutlich größer. Michael Stenberg, Vice President Digital Marketing bei der Siemens AG, meint dazu: „Soziale Medien als Dialogkanal eignen sich besonders dazu, Mehrwert durch Expertise in laufenden Diskussionen zu liefern und hohes Engagement in direkte Kontakte zu verwandeln. Ergänzend zum klassischen Vertriebsmodell werden durch Social Media Monitoring und „Sphere Conversation“ Gespräche in Leads und Leads in Geschäft konvertiert.“
Vielleicht kann hier ein Blick auf Fortnum und Mason helfen. Das Unternehmen gibt es seit 1707. Man verkauft allerhand Gourmetwaren, von Champagner bis hin zu handverlesenen Teemischungen, aber auch edle Schals und Schmuck. Man startete 2011 zunächst mit einem klassischen Firmenauftritt auf Facebook und zeigte gerade mal ein paar Fotos vom Ladeninterieur. 2012 gab man dann ordentlich Gas und konzentrierte sich auf einzelne Produkte, verbunden mit Verkaufsaktionen. In nur einem Jahr sammelte man auf diesem Weg 12 000 Fans. Inzwischen bespielt das Traditionsunternehmen auch Twitter, Pinterest und Instagram, führt dort Gewinnspiele durch und macht Umfragen. Die Gesamtzahl der Fans übersteigt mittlerweile 80 000.
Mythos 8: Facebook reicht
Facebook ist ein guter Anfang, reicht aber noch lange nicht. Facebook bietet nicht genug Tools für gutes Community-Management. Wer größere Aufgaben mit seinen Fans erledigen möchte, etwa ein Crowdsourcing-Projekt, der benötigt eine eigene Community, wo er auch das Hausrecht genießt. Auf „Frag.Mcdonalds.de“ antwortet der Restaurantriese zum Beispiel auf kritische Fragen zur Zusammensetzung der Burger.
Die Erweiterung der eigenen Social-Media-Kanäle folgt freilich der Suche nach den Bedürfnissen der Zielgruppe. Olaf Kopp von Aufgesang Online Marketing hat in einer Studie herausgefunden, dass Google+ für bestimmte Produktsegmente im E-Commerce längst wichtiger geworden ist als Twitter. Unternehmen wie HRS oder Nivea suchen ihr Heil auf den Bilderplattformen Pinterest und Instagram.
Es ist aber ein weiterer Mythos zu glauben, die eigenen Kanäle wären das Wichtigste, was Social Media ihnen zu bieten hat. Fragen Sie mal bei Audi, Mercedes oder BMW. Vermutlich werden alle Motortalk.de als eine der wichtigsten Plattformen nennen. Dort diskutieren Automobilenthusiasten die neuesten Fahrzeuge und berichten sich gegenseitig von Problemen.
„Nur durch klare Prozesse und Zuständigkeiten ist ein kontrollierter Kontrollverlust möglich. Social Media ist keine Freestyle-Disziplin für kreative Agenturfreaks“, stellt Peter Gentsch, Professor an der Hochschule Aalen und einer der Initiatoren des Social-Media-Excellence-Kreises, fest. Für Alyssa Jade McDonald-Bärtl – kurz Lyss from Blyss – ist die Transparenz Teil ihrer Markenkultur. „Soziale Netwerke erschaffen ihren eigenen Mythos. Denn sie gaukeln uns vor, alles Leben und Arbeiten wäre perfekt und glanzvoll, aber das ist es natürlich nicht. Ich bekomme mehr interessante Reaktionen, wenn ich Fehler zugebe und einfach menschlich bin.“ Lyss produziert hochwertige Schokolade in Ecuador und legt besonderen Wert auf Fair Trade und Nachhaltigkeit.
Social Media ist eben nicht gleich Social Business, aber vermutlich der erste Schritt dahin.