Wie visualisiert man das Metaverse für einen Printtitel? Aus der Erfahrung einer Magazinproduktion kann ich sagen, dass es sich oft so anfühlt, als bliebe einem nur die Wahl zwischen einem Zeichentrick-ähnlichem Strich und einer postapokalyptischen Kombination aus scharfen Kanten und sehr, sehr viel Metall. Kurz: Es ist durchaus eine gestalterische Herausforderung.
Mike Gajer, Senior Art Director bei Grabarz XCT, hat für unser aktuelles Cover eine dritte Option aufgetan und das Thema mit einem Doppelmotiv passend zur Titelzeile „Wahn oder Wahnsinn“ eingefangen. Animiert sieht das dann übrigens so aus:
Keine Berührungsängste
Sich selbst bezeichnet Gajer als offenen und geerdeten Menschen. Und das merkt man im Gespräch mit ihm auch schnell: Er strahlt eine Ruhe aus, bringt eine gewisse Selbstsicherheit mit, die man als Kreative*r zwingend braucht, um etwas Wertvolles schaffen zu können. Er sei selten hektisch oder aufgeregt, sagt Gajer. „Ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Vieles lasse ich deswegen einfach auf mich zukommen. Es gibt keinen Grund, vorab nervös zu werden.“
Dabei hätte er aktuell jeden Grund dazu. Schließlich wartet er auf die Entscheidung der diesjährigen Cannes Young Lions, bei denen er Deutschland vertreten hat. Doch dazu gleich mehr.
Die Pandemie habe seinen Blick auf Social Media verändert. Er sei nun kritischer und teile weniger über die sozialen Netzwerke. „Virtuell ist vieles austauschbar. Während Corona habe ich gemerkt, wie wichtig mir der Kontakt zu anderen Menschen im realen Leben ist. Ich bin einfach ein sehr sozialer Typ.“
Zwischen Faszination und Skepsis
Diese Haltung prägt auch seine Sicht auf das Thema Metaverse. Während der Recherche für die Cover-Gestaltung verstärkt sich dieser Effekt. Ob über interne Schulungen, die in der Agentur angeboten werden, oder im Austausch mit einem Kollegen, der sich für ein Kund*innenprojekt über die vergangenen Monate intensiv mit virtuellen Räumen auseinandergesetzt hat, zur Faszination gesellt sich bei Gajer zunehmend Skepsis. „Das Thema Metaverse ist spannend und schockierend zugleich. Das geht nicht nur mir so, davon bin ich überzeugt. Viele Menschen verspüren diesen Zwiespalt, wenn sie sich näher damit beschäftigen.“
Soziale Interaktionen, dessen ist sich der Senior Art Director sicher, wird die virtuelle Welt für ihn nicht ersetzen. Maximal würde es ihn reizen, Ganzkörperanzüge mit Vibration auszuprobieren, um neue Erfahrungen zu sammeln, die im echten Leben zu gefährlich oder unmöglich wären. Aber selbst darauf, so mein Gefühl, könnte er verzichten.
Auf die Frage, wo er auf einer Skala von 1 bis 10 steht – eher bei Wahn (1) oder bei Wahnsinn (10) – ordnet er sich ohne groß zu überlegen auf einer 3 bis 4 ein. Die Gefahr, sich zu verlieren oder Schäden an der Netzhaut zu riskieren, überwiegen die Neugier auf das digitale Spektakel.
Hier ist eine Auswahl seiner Quellen, die er anderen empfiehlt, die mehr wissen wollen:
- Selbsttest eines Reporters: https://www.youtube.com/watch?v=uBP8gfSR3uM
- Film, der mir sofort in den Sinn kam: Ready Player One https://www.netflix.com/de/title/80211726
- Wie dumm der Hype um das Metaverse ist: https://www.youtube.com/watch?v=B-681TNF9qo
Abwechslungsreiches Agenturleben
Seine Zeit bei Grabarz XCT markiert den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Nach Stationen bei Medialinx, wo er seine Ausbildung als Mediengestalter absolviert, Dworak und Kornmesser, Thjnk, einem kurzen Ausflug auf Kundenseite, Wunderhaus und dann zunächst beim Mutterhaus Grabarz & Partner arbeitet er heute auf Kund*innen wie Congstar x FC St. Pauli, Ikea Family oder Porsche Leipzig.
Die Pandemie habe seine Kreativität schon verändert, gibt er zu. Insbesondere während der ersten Corona-Welle, als Reisen und Museumsbesuche nicht möglich waren, habe er neue Einflüsse vermisst. Durch die Arbeit der Kreativen im Homeoffice hätten sich manche Kund*innen an eine höhere Effizienz gewöhnt. Doch nicht alle kreativen Aufgaben lassen sich in 15 Minuten lösen. Mehr noch: „Die Schnelllebigkeit gerade auf TikTok ist extrem. Jede Woche zwei neue Trends? Das ist verrückt. Was wir dringend benötigen, ist Entschleunigung. Denn Marken können nicht authentisch sein, wenn sie auf jeden beliebigen Trend aufspringen.“
Wenn Gajer von seinem Umgang mit Social Media oder Kund*innen erzählt, fällt wieder seine Ruhe auf. Man will ihm glauben, dass sein Kontra an der richtigen Stelle zu besseren Ergebnissen führt. „Ich liebe die Abwechslung an meinem Job und dass ich immer wieder neue Menschen treffe. Die Woche, in der ich das Cover finalisiert habe, war ich außerdem auf einem Shooting, habe mit Künstler*innen gearbeitet und habe bei den Young Lions teilgenommen.“
Dass er Deutschland im Team mit Luca Weber, Junior Art Director bei Grabarz & Partner, beim internationalen Nachwuchs-Wettbewerb Cannes Young Lions vertreten würde, konnte er anfangs nicht glauben. Er habe erstmal nicht reagiert, als sein Name bei der deutschen Vorentscheidung verkündet wurde, so Gajer. Er habe kurz gebraucht, um es zu realisieren – und dann emotional reagiert und sich gefreut. Seine lebendige Gefühlswelt sieht man ihm an, während er das erzählt. Mattes Hoffmann, seit Anfang 2018 Geschäftsführer Kreation bei Grabarz XCT, habe immer an ihn geglaubt und ihn darin bestärkt, bei den Young Lions teilzunehmen.
Die Young Lions: 24 Stunden für eine Aufgabe
Ihre Chancen beim Wettbewerb, in dem Teams aus 22 Ländern gegeneinander antreten, schätzt er ganz gut ein. Im Team hätten sie konzentriert an der Aufgabe des WWF gearbeitet, das Briefing zunächst akribisch analysiert, und dann recht schnell die Idee gefunden, die sie umsetzen wollten. Nach einer verkürzten Nacht wäre der Endspurt dann so gut gelaufen, dass sie bereits eine halbe Stunde früher hätten abgeben können. Den Button hätten Weber und Gajer gemeinsam gedrückt. „Cannes ist immer noch das Ding. Ich bin zufrieden mit unserem Ergebnis, aber klar, über einen Platz unter den Top 5 würde ich mich sehr freuen.” Ein bisschen muss er sich noch gedulden. Am 15. Juni werden die Ergebnisse veröffentlicht. Wie es nun für den Kreativen weitergeht? Als nächstes steht ein Projekt für Congstar mit dem 1. FC St. Pauli an. Die Kunst am Millerntor zu sehen, darauf freut sich Gajer schon sehr. Im Sommer geht es dann ganz offiziell nach Berlin zu einer neuen Agentur, deren Namen Gajer noch nicht verraten will. Kurz vor seinem 30. Geburtstag im September wird er dann wieder hauptsächlich für eine*n Kund*in tätig sein. Und vielleicht darf er sich dann auch Gewinner der Cannes Young Lions 2022 nennen. Zu gönnen wäre es ihm.