Zwischen KI-Chatbots und Roblox

Der technologische Fortschritt macht auch vor dem Profisport keinen Halt, doch nicht jeder Hype ist relevant. Spielentscheidend ist der Aufbau von Know-how.
Sport-Tech: Rugby, Mann springt
KI und immersive Erlebnisse: Technologie kann zum Gamechanger in der Sportvermarktung werden. (© Getty Images)

Profisportorganisationen gelten in der Regel nicht unbedingt als technologische Innovationsführer. Müssen sie auch nicht, das Kerngeschäft ist schließlich der Sport. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, können neue Technologien jedoch gerade in der Vermarktung eine zentrale Rolle spielen. „Proficlubs und -Verbände sollten sich aktiv mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Und ja, das wird auch Geld kosten. Doch technologisches Know-how führt zu einem strategischen Wettbewerbsvorteil“, sagt Prof. Dr. Sascha L. Schmidt, Lehrstuhlinhaber und akademischer Leiter des Center for Sports and Management (CSM) an der WHU – Otto Beisheim School of Management. 

Schmidt betont dabei, dass Sportorganisationen sich mit dem Gedanken anfreunden sollten, „dass Investitionen in Technologie nicht immer unmittelbar zu Umsätzen führen“. Er hebt stattdessen einen anderen Vorteil hervor: „Durch den Umgang mit neuen Technologien werden Clubs und Verbände beziehungsweise deren Mitarbeitende gewissermaßen ‚future-ready‘.“ Wichtig sei dabei, dass sie sich „ein Urteilsvermögen bilden“, wie sie mit neuen Technologien umgehen wollen. Denn dadurch, dass Profisportorganisationen im öffentlichen Rampenlicht stehen, prasseln tagtäglich unzählige Angebote von Agenturen und Dienstleistern auf sie ein, die häufig aus dem technologischen Umfeld kommen. „Und wie soll ich ,Make or buy‘-Entscheidungen treffen, wenn ich selbst kein spezifisches Know-how und keine Haltung zu neuen Technologien habe?“, fragt Schmidt. 

KI für Effizienz und gegen die Einsamkeit 

Bei der Frage, welche Technologien die Sportvermarktung nachhaltig beeinflussen werden, lautet die erste Antwort eigentlich immer Künstliche Intelligenz (KI). Laut „Allied Market Research“ wird die Marktgröße von KI im Sport von 2,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 auf 29,7 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 ansteigen. Das würde einer jährlichen Wachstumsrate von 30,1 Prozent entsprechen. 

„Wenn wir über KI-Anwendungsfälle in der Vermarktung des Profisports sprechen, fallen in der Regel Schlagworte wie Generative AI, Large Language Models (LLMs) und Machine Learning. Deren Anwendung kann erhebliche Effizienzsteigerungen sowohl in bestehende Vermarktungsprozesse als auch in die Content Creation bringen“, sagt Sebastian Frank, Bereichsleiter Sports Business Solutions beim IT-Dienstleister Adesso. Sascha L. Schmidt hält zudem KI-Chatbots mit virtuellen Versionen von Sportstars für einen spannenden Anwendungsfall. „Das funktioniert außerhalb des Sports beispielsweise bereits in Freundschaft-Apps. Einsamkeit ist ein riesiges Thema, auch bei jungen Menschen. Und der Profisport mit seinen Stars ist ein attraktives Umfeld, in dem schnell emotionale Bindungen aufgebaut werden können“, sagt der WHU-Professor. 

Auch auf der Sport-Technologie-Messe „SportsInnovation“ in der Düsseldorfer Merkur Spiel-Arena kamen die über 1.000 Teilnehmenden Mitte März nicht am Thema KI vorbei. Ein anfassbares Paradebeispiel für den Einsatz im Sport ist die Kooperation zwischen Amazon Web Services (AWS) und der Deutschen Fußball Liga (DFL), die auf dem Event verlängert und ausgebaut wurde. Künftig ist AWS „Offizieller Generative AI-Provider“ der DFL. 

Auf der SportsInnovation stellte die DFL-Tochterfirma Sportec Solutions mit Unterstützung von AWS ebenfalls automatisch generierte Textbausteine zur Beschreibung des Spielgeschehens auf dem Platz vor. Durch generative KI und LLMs werden Echtzeit-Spielkommentare in mehreren Sprachen verfasst. Diese können wiederum als personalisierte Live-Ticker auf die Präferenzen der Nutzer*innen zugeschnitten werden. 

AWS und die DFL arbeiten bereits seit 2020 zusammen und haben seitdem diverse Projekte in den Bereichen KI und Machine Learning umgesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Content-Suche im sogenannten „DFL Media Hub“, dem weltweit größten digitalen Fußball-Bewegtbildarchiv. Um die Suche nach relevanten Inhalten in den über 210.000 Stunden Videomaterial der Bundesliga und 2. Bundesliga effizienter zu gestalten, wird das archivierte Bildmaterial automatisch durch KI-generierte Metadaten ergänzt. 

Grafik-Sport-Tech
Quelle: Allied Market Research

Apple Vision Pro liefert Showcases 

Neben KI könnten auch immersive Technologien zum Gamechanger für die Sportvermarktung werden. Unter der Leitung von Schmidt hat die WHU 2023 über 100 Branchenexpert*innen befragt, inwiefern sie den Profifußball und dessen Geschäftsmodelle bis 2030 verändern könnten. Eine Prognose der zum Teil hochrangigen Manager*innen: Immersive Hardware werde künftig immer stärker in das Unterhaltungsangebot von Fußballclubs integriert werden (Eintrittswahrscheinlichkeit: 76 Prozent).  

Zuletzt mehrten sich bereits Anwendungen von Sportligen für die „Apple Vision Pro“. Den auch dank des Fußballstars Lionel Messi wohl prominentesten Sport-Showcase liefert die Major League Soccer (MLS). Auf der Apple Vision Pro können sich Fans alle MLS-Spiele auf dem „Infinite Canvas“-Display ansehen – und zwar „in einer Umgebung, in der der Bildschirm gefühlt 100 Fuß breit ist; und in 3D Audio für ein noch intensiveres Erlebnis“, wie es Apple beschreibt. 

Aus Sicht von Sebastian Frank haben Datenbrillen in der Zukunft des Sportkonsums ein „längerfristiges Potenzial“. Der Experte von Adesso sieht kurzfristig noch keinen echten Business Case. Er sagt: „Die Apple Vision Pro ist sicher eine der am weitesten entwickelten Technologien in dem Bereich und damit auch gut dafür geeignet, den einen oder anderen eindrucksvollen Showcase zu zeigen. Aktuell werden sich aber wohl eher nur Tech-Freaks eine Brille für über 3.000 US-Dollar kaufen, um im Wohnzimmer neben dem Live-Spiel begleitende Statistiken und zusätzliche Contents zu konsumieren.“ 

Sport goes Roblox 

Nicht nur auf Device-Ebene, sondern im übergeordneten Sinne stellen sich Frank und sein Team bei Adesso eine grundsätzliche Frage, wenn sie an immersive Erlebnisse im Sport denken: „Wie können Sportclubs das reale Erlebnis skalieren und damit zum Beispiel internationalen Fans über einen digitalen Weg noch mehr Nähe ermöglichen?“ 

Die Antwort könnten Metaverse-Plattformen wie Fortnite oder Roblox liefern. Ausgerechnet das traditionsreichste Tennisevent der Welt in Wimbledon zählt hier zu den Vorreitern. Im Juni 2022 verewigten die Veranstalter den altehrwürdigen Centre Court im Südwesten Londons in einem Spiel auf Roblox. Darin können Fans Belohnungen sammeln, die sie im virtuellen Wimbledon-Store einlösen können – beispielsweise für Produkte aus der turniereigenen Ralph-Lauren-Kollektion. Die „Wimble World“ zählt Stand Ende März 2024 mit 15,7 Millionen Visits zu den meistbesuchten offiziellen Sporterlebnisse auf Roblox. Nach Angaben der Veranstalter sind über 80 Prozent der Nutzer*innen unter 24 Jahre alt. Noch mehr Visits als die „Wimble World“ erreichen bei Roblox nur wenige andere im Profisport – die „FIFA World“ des Fußball-Weltverbands etwa zählt bis dato 21,4 Millionen Besucher*innen. 

„Rein faktisch sind Roblox und Fortnite die einzigen immersiven Welten, die im Metaverse bereits wirklich funktionieren“, sagt Schmidt. Der WHU-Professor fügt aber auch einschränkend hinzu: „Mit dem Mindset heranzugehen, wir machen jetzt Roblox, um damit Geld zu verdienen und ein Pre-Invest sofort wieder herauszuholen, wäre für mich der falsche Ansatz. Für Clubs und Verbände sollte vielmehr im Vordergrund stehen, wieviel Know-how sie über Testballons in neuen Technologien generieren können.“ 


Die „Wimble World“ mit 15,7 Millionen Visits und die „FIFA World“ mit 21,4 Millionen Besucher*innen zählen zu den meistbesuchten offiziellen Sporterlebnissen auf Roblox.


Kommt der „Head of Metaverse“? 

Ähnlich sieht es Tech-Experte Frank: „Der Sport ist in dieser frühen Phase der Entwicklung prädestiniert, immersive Technologien anfassbarer zu machen. Sport ist aber häufig nicht die treibende Kraft für Veränderungen im gesellschaftlichen Konsumverhalten, sondern eher in einer Adaptionsrolle. Sollte das Metaverse in fünf bis zehn Jahren mehr Durchdringung erfahren, dann wird es auch für den Sport einfacher, dort ernsthafte Business-Strategien zu verfolgen, die weit über die aktuellen Showcases hinausgehen.“ Dass Fans künftig beispielsweise zu Spieltagen ins virtuelle Stadion pilgern, halten Experten wie Frank für denkbar. Jedoch immer mit der Einschränkung, dass auch ein digitales Erlebnis von der Stimmung eines ausverkauften Stadions lebt. Die virtuelle Realität erweitere damit die begrenzten Stadionkapazitäten und ersetze nicht das reale Erlebnis. „Zudem haben immersive Welten durchaus das Potenzial, in einer Endausbaustufe beispielsweise eine Art virtuelles Vereinsheim zu sein, in dem Fans nicht nur an Spieltagen, sondern die gesamte Woche über unterhalten werden“, sagt er. 

Eine weitere positive Nachricht aus Vermarktungssicht: In der WHU-Zukunftsstudie geht der Großteil der befragten Sportbusiness-Expert*innen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ davon aus, dass Profi-Fußballclubs ihre Marketingkosten bis 2030 signifikant senken können, indem sie immer stärker auf maßgeschneiderte, KI-gestützte Werbeangebote im Metaverse zurückgreifen werden (75 Prozent). Schließlich halten sie es für möglich, dass Profi-Fußballclubs in der nahen Zukunft bereits mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes durch virtuelle Waren und Dienstleistungen generieren werden (60 Prozent). 68 Prozent gehen gar davon aus, dass es künftig auf Clubseiten die Stelle eines „Head of Metaverse“ geben wird. 

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.