Viele Marketing-Fachleute haben den Aufstieg und Fall der New Economy noch in guter – oder besser: in schlechter – Erinnerung. Der Hype, von damals, steckt uns allen noch etwas in den Knochen. Und deshalb ist die leicht zögerliche Hinwendung mit Werbung im Internet aufzutreten, nur allzu verständlich. Seit knapp zwei Jahren jagt ein Geheimtipp den anderen. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ wird hier in Anlehnung an den berühmten historischen Satz hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Und sanfter Druck auf alle die erzeugt, die an die Kraft des „First Movers“ im Marketing glauben.
Mehr noch: Werbe- und Marketing-Fachpresse stürzen sich mit Inbrunst auf alles, was nur im Entferntesten mit Internet zu tun hat: von Web 1.0 zu Web 2.0 und neuerdings sogar Web 3.0 – was immer sich dahinter verbergen mag. Die etwas bedächtigere Wirtschaftspresse registriert diesen Überschwang des Interesses mit kühlen, sachgerichteten Fragen nach Fakten, Zahlen, Wirkungsnachweisen und Zielgruppenanalysen.
Nicht zuletzt die vielen hektischen Mergers & Acquisitions in der Internet-Branche entziehen sich wieder einmal – wie Ende der 90er Jahre – den üblichen Bewertungssätzen der traditionellen Weltwirtschaft. Und sorgen für Verwirrung. Heute kommt allerdings plötzlich eine neue Dimension dazu. Man spürt im eigenen täglichen Leben, wie sehr Internet und digitale Welten bereits konkret in unser berufliches und privates Dasein eingreifen. Und langsam wird der Satz des Leiters einer großen Staatsbibliothek immer wahrer: „Für die junge Generation gilt: was nicht im Internet zu finden ist, existiert überhaupt nicht!“
Ja, wir haben aus dem Dilemma der New Economy gelernt. Ja, wir spüren, dass das Internet eine wachsende Komponente unseres Alltags geworden ist. Und ja, das Zeitbudget, das Menschen heute für den Umgang mit dem Internet aufwenden, ist im Wesentlichen auf Kosten anderer Medien gegangen.
Und – und das ist für Marketing und Werbung die Schlüssel-Erkenntnis: Diese Wanderungsbewegung, die die Menschen vollzogen haben, hat noch nicht ihre Entsprechung in der Verlagerung der Kommunikations-Budgets gefunden.
Und mehr noch: Das Internet wird noch kaum für Markenaufbau und Markenpflege eingesetzt. Es ist noch kein strategischer Baustein der Markenarchitektur geworden. Sondern hält sich im taktischen Bereich von Direktmarketing , Aktionsmarketing, von Response-Denken auf. Online Werbung muss ins Zentrum der Markenführung rücken. Vom „Kinderzimmer“ ins „Wohnzimmer“ des Marken-Hauses. Wer das verstanden hat und praktiziert, schafft sich damit schon heute einen Wettbewerbsvorteil.
Damit nähern wir uns dem entscheidenden Punkt. Hat die zögerliche Budget-Verschiebung gute Gründe? Oder hat hier jemand etwas übersehen?
Wie kann der Marketing-Experte – während das Rennen noch läuft – Sicherheit gewinnen, mit seinen Werbe-Budgets an den besten Plätzen des Internets zu landen?
The answer is Yes. What was the question?
Die Zahl verbindlicher und für die Finanzplanung abgesicherter Antworten auf die Effizienz der Online-Werbung ist zurzeit noch kleiner als die Menge der noch offenen Fragen. Hier sind fünf davon die helfen, den Grad der Ungenauigkeit einzugrenzen:
Frage 1: Markenrelevante Zielgruppe?
Deckt sich die Kernzielgruppe, die die Marke ansprechen will, mit den Internet-Nutzern, die man über die Online-Werbung erreicht? Und liefern dazu die AGOF Reichweitendaten ausreichend verlässliche Fakten? Oder muss man auf die detaillierte demographische oder psychographische Qualifizierung der Zielgruppe noch lange verzichten? Solange es noch heiße Diskussionen zwischen SZM (Skalierbare Zentrale Messverfahren) und den Internet Facts der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung gibt, wird der nächste Schritt wohl auf sich warten lassen.
Frage 2: Valide Messbarkeit?
Welche Messinstrumente stehen bereits verlässlich für die Wirkungsnachweise zur Verfügung? Wie lassen sie sich mit den Meßmethoden anderer Medien vergleichen? Noch hat fast jedes Medium seine eigene Methode für die Wirkungsmessung. Und die daraus sichtbare ‚Währung’ ist noch schwer im Media-Mix miteinander zu vergleichen. Und – ist Targeting teurer als die Steigerung an Effizienz, die man damit erreicht? Natürlich ist das Profil der Nutzer, das in einem Cookie aufgezeichnet wird, der erhoffte Schritt vorwärts: Nicht mehr das thematische Umfeld, sondern der Nutzer selbst ist die „Währung“, mit der geplant wird. Aber um welchen Preis? Und die Frage drängt sich auf: Wie weit erlaubt der Datenschutz überhaupt, das User Tracking als Basis eines verlässlichen „Behavioural Targeting“ voranzutreiben?
Frage 3: Ist „user generated“ ein Wert?
Bietet Web 2.0 mit überwiegend „user generated content“ wirklich neue Einsichten in die Verbraucher-Seele, die die Markenführung verändern? Oder sind Brand Communities die verlässlichere Plattform? Welche Auswirkungen hat Web 2.0 auf den Media-Mix? Und wie viel Geld ist das wirklich wert? On top oder zu Lasten anderer Medien?
Frage 4: Transport von Emotionen
Welche emotionalen Elemente der Markenwelten lassen sich im Internet bei gegebener Technologie heute schon vermitteln? Welche Gefühle können im Internet überhaupt ausgelöst und vertieft werden bei einer Zielgruppe, deren Absicht es ist, schnell schnell schnell an die gesuchten Informationen zu kommen? Wann schlägt Werbung in „Behinderung“ um? Wie viel Inhalte und Zeit darf Online-Werbung dem Nutzer zumuten, um statt Begeisterung nur Verärgerung zu erzeugen?
Frage 5: Wo ist der beste Platz?
Sichern die vorhandenen Search Tools – egal, ob nach SEM (Search Engine Marketing), SEO (Search Engine Optimization) oder Affiliate Marketing -, deren sich die Kunden direkt oder die Media-Agenturen heute schon teilweise bedienen, die Effizienz des Budget-Einsatzes? Oder bleibt der Internet User ein schwer zu ortender „Vagabund“, der sich schneller bewegt, als man ihm folgen kann? Diese Dynamik ist ein Phänomen des Mediums Internet, das uns täglich neue Inhalte, neuen Anreizen und neuen Anlässe überrascht und kaum feste Content-Strukturen offeriert. Und wird deshalb SEO zwangsläufig dauerhaft eine höhere Investitions-Sicherheit erreichen?
I’m still confused but on a higher level
Lassen Sie mich mit einem Beispiel abschließen, das durch die ganze Weltpresse gegangen geworden ist: Google kauft Youtube.
Alle Welt rätselt noch heute, wie man 1,6 MRD $ für ein Youtube-Geschäft bezahlen konnte, das übrigens zurzeit nur etwa 17 Mio. $ Umsatz macht!? Und plötzlich – wenige Wochen später, konnte man die erstaunliche Meldung lesen, dass Google in einer Art Rückwärts-Integration eine Menge Radiostationen in den USA für einige Hundert Mio. $ gekauft hat. Und dann gleich wieder double click. Was will uns diese vermeintlich widersprüchliche Akquisitions-Politik zwischen New Media und Old Media sagen? Eine plausible Erklärung könnte sein: Die Zukunft wird die Vernetzung aller Medien bringen. Mit Betonung auf „aller“! Kein ‚entweder oder’, sondern ein ‚sowohl als auch’. Und das ist die wichtigste Erkenntnis für den gestressten Marketing Direktor, der über die Investition von Budgets im Internet zu entscheiden hat. Eine sorgfältig geplante Vernetzung von „classical“ und „new“ media wird die nächsten Jahre bestimmen. Erst wenn harte, verbindlich kalkulierbare Daten vorliegen, kann Online-Werbung zum Basis-Medium avancieren. Bis dahin gilt: Die Prognose ersetzt den Zufall durch den Irrtum.
Über den Autor: Bernd M. Michael, BMM Büro für Marken-Architektur