Carsharing wird immer beliebter. So waren Anfang dieses Jahres rund 1,7 Millionen Kunden bei den deutschen Carsharing-Anbietern registriert, das sind rund 36 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. „In innenstadtnahen Wohngebieten ersetzt ein Carsharing-Fahrzeug heute bis zu 20 private Pkw. CarSharing befreit Städte also in erheblichem Umfang von überflüssigen Autos. Das ist für uns die eigentliche, verkehrs- und umweltpolitische Bedeutung des Carsharing-Wachstums“, kommentiert Willi Loose, Geschäftsführer des Bundesverbandes Carsharing (BCS), diese Entwicklung.
Umwelthilfe kritisiert Carsharing scharf
Dass stationsunabhängiges, so genanntes Freefloating Carsharing, im Sinne des Umweltschutzes ist, bestreitet der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch: „Freefloating Carsharing bringt keine Entlastung für die Umwelt, im Gegenteil. Dadurch werden unsere Innenstädte mit zehntausenden weiteren Autos geflutet. Diese Form des von der Automobilindustrie finanzierten Carsharings schädigt direkt den ÖPNV in Form von Bahn, Bus und Taxi. Die mit Steuermitteln subventionierten Angebote verführen die Menschen, sich für das Auto zu entscheiden. Und da der am häufigsten eingesetzte Benzin-Smart auch noch das Fahrzeug mit den höchsten giftigen Russpartikelemissionen ist, verpesten diese Fahrzeuge auch noch die Luft in unseren Innenstädten.“ Zudem seien stationsunabhängie Carsharing-Angebote nur aufgrund der Subventionierung der Preise attraktiv für die Verbraucher. „Statt die Subventionierung sogar noch zu intensivieren, sollte die Bundesregierung die hierfür vorgesehenen Mittel in die Modernisierung von Bussen und Bahnen stecken. Auch Taxen dürfen nicht länger vernachlässigt werden. Statt weiterhin Diesel-Taxen freie Fahrt zu geben, ist es längst an der Zeit, auf Umwelt-Taxis mit Erdgas-, Benzinhybrid- oder Elektroantrieb umzustellen“, meint Resch.
Carsharing mit Elektoautos – die Lösung des Problems?
Doch wie steht es um Carsharing mit Elektrofahrzeugen? Beispielsweise bietet DriveNow, das in Deutschland mittlerweile von 600.000 Kunden genutzt wird, in jeder seiner Städte Elektrofahrzeuge in seiner Flotte an, um damit Emissionen zu reduzieren. Resch überzeugen diese Versuche bisher allerdings wenig. Denn die Elektromobile würden nicht im Freefloating Carsharing funktionieren. Unabhängig von den hohen Anschaffungskosten führten Fehlbedienungen regelmäßig zu Störungen bis hin zu Tiefentladungen der Batterie. Da man Elektrofahrzeuge nicht abschleppen, sondern nur mit Kranwagen aufwändig zurückholen kann, scheiden hier Elektrofahrzeuge auf absehbare Zeit aus. Resch fordert daher ein Ende der Subventionierung von Freefloating Carsharing durch die öffentliche Hand und eine Rückbesinnung auf die Vorteile eines funktionierenden ÖPNV. Positiver sieht er hingegen die stationären Carsharing Anbieter: „Die stationären Carsharing-Konzepte, die mit viel Herzblut und Pfiffigkeit betrieben sind, sind im vergangenen Jahr in weiteren 60 Städte und nunmehr in insgesamt 600 Orte verfügbar.“
Bundesverband Carsharing widerspricht Resch
Gunnar Nehrke, Sprecher des BCS, gesteht zwar ein, das alle Studienergebnisse, die dem BSC bisher vorliegen, zeigen, dass die verkehrsentlastende Wirkung von Freefloating Carsharing wie DriveNow geringer ist, als die von stationsbasierten Systemen wie stadtmobil. Allerdings könne man daraus nicht pauschal ableiten, dass Freefloating Carsharing eine negative Wirkung auf den ÖPNV entfaltet oder zu mehr Pkw-Verkehr führt. Denn: „Auch wenn ein Carsharing-Angebot unter dem Gesichtspunkt der Verkehrsentlastung nicht ganz so gut abschneidet, wie ein anderes, könnte es immer noch mehr Verkehrsentlastung bewirken, als gar kein Carsharing“, sagt Nehrke und führt ein Beispiel an: In der Studie WiMobil des Deutsche Zentrums für Luft- und Raumfahrt sagen 48 Prozent der Kunden von DriveNow in München und Berlin, dass sie einmal pro Woche oder öfter einen privaten Pkw nutzen. Beim stationsbasierten Anbieter Flinkster sagen das nur 20 Prozent. „Allerdings zeigt WiMobil auch: In dem soziodemografisch mit DriveNow-Kunden vergleichbaren Teil der Gesamtbevölkerung nutzen 74 Prozent der Befragten einen privaten Pkw einmal pro Woche oder öfter. Das sind 26 Prozent mehr als bei den DriveNow-Kunden. Es kann also durchaus sein, dass der Freefloater DriveNow in Summe Menschen von noch mehr Autokonsum abhält, anstatt sie dazu zu animieren.“ Nähere und genauere Erkenntnisse über die Auswirkungen von Freefloating Carsharing auf Pkw- und ÖPNV-Nutzung würden eine Langzeitbetrachtung von Carsharing-Nutzern und Pkw-Besitzern voraussetzen, die bisher nicht existiere.
Positive Entwicklung im Auge behalten
Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) schließt sich den Kontra-Argumente an und ist der Meinung, dass Freefloating in den Städten gut ist, da es die Entscheidung bestärke, ohne eigenes Auto zu leben. Allerdings fordert der Verband, sich für die positive Entwicklung von Carsharing einzusetzen. Denn auch, wenn es bisher keine Belege dafür gebe, dass das Carsharing die Umwelt belastet, sollten Freefloating-Anbieter mehr Elektroautos in ihre Flotten integrieren. „So kann die E-Mobilität den Menschen nahe gebracht werden“, sagt Pressesprecherin Anja Smetanin.
Auch Ferdinand Dudenhöffer ist der Ansicht, man dürfe es nicht so pauschal sehen wie Herr Resch, sondern müssen vielmehr die Frage danach stellen, wie gut öffentliche Verkehrsmittel in einer Großstadt sind. „Wenn die weniger gut sind, fahren die Leute Taxi. Das Taxi hat in der Regel längere Fahrten (An-Rückfahrt) als das stationslose Carsharing Auto. Hinzu kommt, dass Taxen meistens mit Diesel fahren und das sind oft richtige NOX-Schleudern. Zusätzlich das Bild im Winter, wenn die frierenden Taxifahrer dann ihre Motoren im Stand laufen lassen, um im Auto nicht zu erfrieren. Also – so einfach wie die Deutsche Umwelthilfe darf man sich die Dinge nicht zurecht legen“, so Dudenhöffer.
DriveNow auf Konfrontationskurs
Auch Aurika von Nauman, Head of PR beim Carsharing-Anbieter DriveNow, kann die Sicht von Herrn Resch nicht teilen: „Es gibt sicher den ein- oder anderen Fall, bei dem Menschen auf Carsharing zurückgreifen, statt den ÖPNV oder andere Mobilitätsangebote zu nutzen. Aber es geht nicht um die Summe von solchen Einzelfällen, sondern um die Gesamteffekte, die Carsharing hat“, sagt Naumann. So könnten wissenschaftliche und unabhängige Studien mittlerweile anschaulich belegen, dass Carsharing den Ausschlag gebe beziehungsweise einen wesentlichen Anteil daran habe, dass immer mehr Menschen ein privates Fahrzeug abschaffen, weil sie im Bedarfsfall auf ein Auto zurückgreifen können und ihre individuelle Mobilität behalten. „Die Flexibilität und spontane Nutzungsmöglichkeit von Freefloating trägt dabei einen wesentlichen Anteil. Gerade mit unseren hochwertigen Fahrzeugen der Marken BMW und Mini sprechen wir mit DriveNow darüber hinaus auch noch eine andere, neue Zielgruppe der autoaffinen Menschen an, die als Autobesitzer gern Auto fahren und sich bislang noch nicht über die Abschaffung ihres eigenen Fahrzeugs Gedanken gemacht haben. Auch in dieser Zielgruppe sehen wir ein einsetzendes Umdenken weg vom eigenen Auto – und das ist das Entscheidende an Carsharing.“ Je attraktiver und verfügbarer also ein Mobilitätsmix aus ÖPNV, Taxi, Fahrrad, Carsharing-Angeboten (als automobile Alternative) und anderen Sharing-Angeboten sei, desto mehr Menschen könnten auch ihre gesamte Mobilität anders abbilden als mit dem eigenen Auto, zieht Naumann ihr Fazit.
Car2go schließt sich an
Auch Car2go schließt sich der Argumentation von DriveNow an: „Die Behauptungen von Herrn Resch haben keinerlei Grundlage und sind durch eine Vielzahl von Studien – zuletzt aus Mailand, Wien, München und Kalifornien – wiederlegt worden. Jedes Carsharing-Fahrzeug ersetzt gemäß dieser Studien zwischen vier und elf privaten Fahrzeugen und reduziert so die Staubelastung, Luftverschmutzung und Parkproblematik in Innenstädten. Carsharing-Kunden nutzen das Angebot in Ergänzung zu anderen Mobilitätsangeboten wie Bus oder Bahn. Nutzer des flexiblen Carsharings nutzen öffentliche Verkehrsmittel dabei häufiger als der Durchschnitt der Bevölkerung“, so Car2go-Pressesprecherin Vera Pfister.
Carsharing im B-to-B-Sektor
Doch wie sieht es eigentlich mit dem B-to-B-Sektor und Carsharing-Angeboten in diesem Bereich aus, also Konzepten der Industrie, bei denen Flotten von mehreren Tausend Fahrzeugen durch Sharing-Konzepte intelligenter genutzt werden? Sind sie auch eine Gefährdung für die Umwelt und nutzen nur den Automobilherstellern, indem sie Geld in ihre Kassen spülen? Angeboten werden Lösungen in diesem Bereich unter anderem von Fleester, die sich das Ende der Mobilitäts-Verschwendung großer Fahrzeugflotten zur Aufgabe macht. Denn große Unternehmen verfügen oft über große Fuhrparks. Manchmal stehen hunderte, lediglich stundenweise genutzte Fahrzeuge auf dem Hof. Das ist teuer und bindet Kapital. „Ein hoher Preis für den Wunsch nach Mobilität“, sagt Tim Ruhoff, Geschäftsführer des Unternehmens Fleester. Die Software Fleetster soll daher die Auslastung des Fahrzeugpools optimieren. „In der Praxis lassen sich bis zu 40 Prozent der Mobilitätskosten einsparen. Wie? Durch ein Carsharing-Konzept können Poolfahrzeuge, Geschäftsfahrten, die Nutzung von Privatfahrzeugen, aber auch die Kosten für Taxis und Mietwagen massiv reduziert werden.“ Dabei sei dieses Konzept auch nachhaltig und eben keine Umweltsünde. „Corporate Carsharing für Unternehmen in Städten führt tatsächlich zu einer nachhaltigen Einsparung von Fahrzeugen. Vor allem junge Mitarbeiter haben oft kein Auto und kommen öffentlich zur Arbeit. Nur am Wochenende und am Feierabend gibt es hier einen Mobilitätsbedarf bei PKWs, der gleichzeitig auf einen Überschuss in der Firma trifft, denn hier werden die Poolfahrzeuge am Feierabend und Wochenende nicht gebraucht – eine Win-Win-Situation also und ein Grund auf das eigene Auto zu verzichten.“ Der Vorwurf, Carsharing sei eine reine Umsatz- beziehungsweise Absatzsteigerungsmaßnahme und nutze vor allem den Autoherstellern, treffe daher nicht zu. „Im Gegenteil: weniger Fahrzeuge und weniger Kosten, weniger gebundenes Kapital bei höherer Mobilität und besserer Auslastung der einzelnen Fahrzeuge, ist das Ergebnis beim Einsatz entsprechender Software “, sagt Ruhoff, der bereits als Partner von Unternehmen wie Daimler und BMW deren globale Digitalisierungsstrategie im Bereich Flottenmanagement umsetzt.