Rezession ist kein Begriff aus der Betriebswirtschaft. Darum finden sich etliche Marketers, die ihn als ein Spiel mit einer Unbekannten begreifen eben als Spiel. Man wird schon durchkommen, wenn man nur Mut hat. Die Rezession bezeichnet die Konjunkturphase, in der eine Stagnation bis hin zum Abschwung der Wirtschaft eintritt. Rezession ist, wenn die Wirtschaft „nur“ in zwei aufeinander folgenden Quartalen im Vergleich zu den Vorjahresquartalen nicht wächst oder sogar ein Rückgang zu verzeichnen ist. Ihr Kennzeichen ist also das sinkende Bruttoinlandsprodukt. Bei einer globalen Rezession sinkt das Vertrauen der Konsumenten und sie überdenken auf der ganzen Welt ihre Geldausgaben.
Auf die betroffenen Unternehmen wirkt sich die Rezession mit harten Veränderungen aus: Umsatz- oder Ertragseinbruch, Rückgang der Nachfrage, überfüllte Lager, Abbau von Überstunden und beginnende Kurzarbeit, Streichung von Investitionsvorhaben, teilweise Stilllegung von Produktionsanlagen, stagnierende oder sinkende Preise, Löhne und Zinsen sowie fallende Börsenkurse.
Doch was lesen wir von den Rezeptgurus? Jetzt ist Mut angesagt – Investition in die Massenwerbung, um die Marke zu stärken. Online-Werbung wird propagiert und es finden sich welche, die „gerade jetzt“ die Markenwelten stärken wollen. Dabei kämpfen selbst Hedgefonds um ihr Überleben, Schwellenländer ringen insgesamt mit dem Bankrott, und Unternehmen nehmen sich finanziell zurück. Die Entfremdung zwischen den handelnden Managern, Bankern, Politikern und Konsumenten wird immer größer. Die Krise kriecht zunächst heran, dann trabt sie, letztendlich wird sie zum donnernden Galopp, der viele, zu viele niederreißt.
Mit Durchhalteparolen oder Hinweis auf Einzelmaßnahmen ist es nicht getan. Doch selbst (Marketing-)Manager sind sich nicht einig. Sie bevorzugen nach einer Befragung der Uni St. Gallen in der Rezession folgende Schritte in dieser Reihenfolge: Ausbau der Marketingposition, Kundenfokussierung, Markenführung, Leistungsfokussierung, Vorwärtsstrategie und antizyklisches Marketing, Erfolgsmessung, intensive operative Marktbearbeitung, Kundenservice, Key Account Management, Marktfokussierung, Produktinnovationen, Zentralisierung und Vereinfachung, Kostensenkung durch Re-Dimensionierung, Akquise, Druck auf Mitarbeiter, Neue Marketinglösungen, Kanalfokussierung, Abbau von externen Leistungen, Bessere Auslastung, Kostensenkung durch Personalabbau, Kleinkundenmanagement, Preiserhöhung, Preissenkung. Eigentlich muss man sagen: Sie bevorzugen das, was man sowieso effektiv und effizient bearbeiten sollte.
Stutzig machen dem strategischen Betrachter nur die letzten beiden Punkte: Preiserhöhung und Preissenkung gleichermaßen nebeneinander. Hier verdeutlicht sich, dass die Ausgangslagen der Branchen und der einzelnen Unternehmen sicherlich völlig unterschiedlich sind und darum unterschiedliche Antworten gegeben werden müssen. Rezession ist die hohe Zeit der Strategen, nicht der Träumer. Vertreter von Markenwert- und Marktanteilsgewinnen, von Vorwärtsstrategien in den Rezession gehen davon aus, dass noch genügend Investitionsmasse im Unternehmen ist. Das mag bei einigen der Fall sein. Doch bei der Mehrzahl, bei Renditen von 0,8 (Lebensmittelhandel) bis zu wenigen Prozent, ist das Investitionsgeld in der Rezession schnell aufgebraucht. Regel 1 ist also klar: Alles, was gemacht werden muss muss (a) schnell gemacht werden und sollte (b) im Markt superschnell – also in 2009 – greifen. Zweimal Speed ist für manche Marketing- und Vertriebsorganisation die Königsherausforderung.
Es kommt im Detail aber auf die Branche und die individuelle Situation des Unternehmens an, was Rezessionsmarketing inhaltlich konkret zu tun hat. Regel 2 heißt also: Schnellanalyse und Schnellstrategie. Innerhalb der Strategie kann man nach Wirkungs- und Schnelligkeitsprinzipien bewerten: (1) zunächst die Kundendurchdringung vorantreiben, also die Erfolgskette des Unternehmens von jedem individuellen, vorhandenen Einzelkunden betrachten und von dort Potenzialausschöpfung betreiben. Die Erfolgschance beträgt 80 Prozent. Dann erst folgen (2) neue Marktleistungen, mit 50%iger Erfolgschance, (3) neue Kunden (25%) oder gar Diversifikation (5% Erfolgswahrscheinlichkeit).
Organisatorisch müssen sich Marketing und Vertrieb synchronisieren. Nämlich auf das primäre Ziel, Umsatz und Ertrag von jedem einzelnen Kunden zu generieren. Die Werbung fokussiert nicht auf Image, sondern auf Nutzen-, Leistungs- und Sicherheitselemente des Angebotes.
Wer aber auf seiner Liste „Produktinnovationen“ (siehe oben) hat, die 2009 wirken sollen, der sollte die Kapitalismusregel des großartigen Ökonomen Joseph Schumpeter beherzigen und zusätzlich downgrade-Innovationen angehen: „Königin Elisabeth I besaß seidene Strümpfe. Die kapitalistische Leistung besteht typischerweise nicht darin, noch mehr seidene Strümpfe für Königinnen zu erzeugen, sondern sie in der Bereich der Fabrikmädchen zu bringen… Der Kapitalismus erhöht progressiv den Lebensstandard der Massen“. Die (!) dialektische Aufgabe in der Rezession. Gerade für Marketing.
Über den Autor: Malte W. Wilkes ist Vorstand der Unternehmensberatung und Kommunikationsagentur IFAM in Düsseldorf sowie mehrfacher Buchautor. Brandaktuell: „Gnadenlose Erfolgskette“, 2008. wilkes@ifam.de