Die Internet-Plattformen Facebook, YouTube und Twitter haben ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des NetzDG eine erste Bilanz im Kampf gegen Hass im Netz gezogen. Zur Veröffentlichung der Transparenzberichte sind die betroffenen Unternehmen per Gesetz verpflichtet. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
YouTube
Auf Googles Videoplattform sind laut des ausführlichen Berichtes im ersten Halbjahr 2018 214.827 Inhalte gemeldet worden. Der Großteil der Beschwerden ging zurück auf Hassrede oder politischen Extremismus mit 75.892 Meldungen, Persönlichkeitsrechtsverletzung oder Beleidigung (45.190) und pornografische Inhalte (27.308). Davon mussten die YouTube-Prüfer 27 Prozent (58.297 Inhalte) entfernen, da sie gegen die entsprechende Strafbestände oder die Community-Richtlinien des Videodienstes verstießen. Somit sind rund 73 Prozent der gemeldeten Inhalte nicht gelöscht oder gesperrt worden, da sie weder gegen das Gesetz noch gegen die Richtlinien der Plattform verstoßen haben. Das NetzDG schreibt zudem vor, dass die Beiträge innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden sollen, bei schwieriger zu entscheidenden Fällen soll innerhalb von sieben Tagen dagegen vorgegangen werden. Wer dieser Forderung wiederholt und systematisch nicht nachkommt, dem drohen Geldstrafen in Millionenhöhe. Laut YouTube-Transparenzbericht ist der US-Konzern gegen etwa 93 Prozent der Inhalte innerhalb eines Tages vorgegangen. “Größtenteils wurden die Inhalte aufgrund eines Verstoßes gegen die Community-Richtlinien von YouTube weltweit entfernt und nicht bloß lokal aufgrund eines rechtswidrigen Inhalts nach dem NetzDG gesperrt”, heißt es dort allerdings auch.
Das weltweit größte soziale Netzwerk von CEO Mark Zuckerberg hat seine Ergebnisse in einem neunseitigen Report veröffentlicht. Auffällig ist, dass dort deutlich weniger Inhalte im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 30. Juni von den Nutzern gemeldet wurden. Demnach sind lediglich 886 Beschwerden auf Grundlage des NetzDG eingegangen, die insgesamt 1.704 Inhalte als Verstoß beurteilt haben. Nutzer können in einer Beschwerde mehrere Inhalte melden. Dass die Zahlen sich gegenüber YouTube so stark unterscheiden, führen Kritiker und das Bundesjustizministerium auf den “komplizierten Beschwerdeweg” bei Facebook zurück. Die häufigsten Beschwerdegründe waren folgende: Beleidigung (460), Üble Nachrede (407), Verleumdung (342) und Volksverhetzung (247). Im zum Bericht herausgegebenen Blogpost heißt es: “Es wurden 362 Inhalte infolge einer NetzDG-Beschwerde gelöscht oder gesperrt (ca. 21%). Insgesamt haben 218 NetzDG-Beschwerden dazu geführt, dass Inhalte gelöscht oder gesperrt wurden.” Demnach hat Facebook lediglich 21 Prozent der beanstandeten Inhalte von der Plattform entfernt.
Richard Allan, Vize-Chef für die politische Angelegenheit und europäische Cheflobbyist des Konzerns, erneuerte die Kritik am Netz DG. “Wir halten uns an die Vorgaben des NetzDG in Deutschland. Denn die Frage, ob ein Inhalt rechtswidrig ist, sollte bei Gerichten und nicht bei Unternehmen liegen. Einige öffentlich diskutierten Fälle haben die Komplexität des Gesetzes deutlich gemacht und die Herausforderungen aufgezeigt, vor denen Unternehmen stehen, wenn sie die Rechtswidrigkeit von Inhalten in Grenzfällen beurteilen müssen.” Außerdem schreibt er, dass im ersten Quartal dieses Jahres weltweit etwa 2,5 Millionen Inhalte entfernt werden mussten, die gegen die Facebook-Richtlinien verstoßen haben. “Wir haben uns mit den im deutschen Recht verankerten Werten sorgfältig auseinandergesetzt. Daher sind wir überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Inhalte, die in Deutschland als Hassrede gelten, entfernt würde, wenn man sie auf einen Verstoß gegen unsere Gemeinschaftsstandards überprüft.” Nach diesen Richtlinien hat Facebook laut Unternehmenszahlen im vergangenen Jahr wegen “Hate Speech” monatlich rund 15.000 Inhalte im deutschen Raum gelöscht.
Der Kurznachrichtendienst hat im ersten Halbjahr laut Bericht 264.818 Beschwerden erhalten – damit sogar mehr als YouTube. Grund für die deutlich höhere Zahl als bei Facebook dürfte sein, dass Twitter und Googles Tochter das Formular für NetzDG-Beschwerden in das bisherige Meldesystem integriert haben. Bei Facebook finden die Nutzer zwei Formulare: eines für Beschwerden gegen das NetzDG und ein weiteres für Verstöße gegen die internen Standards. Außerdem müssen Nutzer aus einer langen Liste von 20 Straftatbeständen wählen und ihre Meldung zusätzlich begründen. Die Prüfer von Jack Dorsey, dem Twitter-Gründer, haben jedenfalls 28.645 Inhalte gelöscht oder gesperrt, was einem prozentualen Anteil von 10,8 Prozent entspricht. Die meisten Beschwerden, das listet der zehnseitige Bericht auf, gingen wegen Volksverhetzung ein: 77.499. Dahinter folgen Beleidigung (69.414) und Üble Nachrede (14.911). Wie schon bei YouTube und Facebook fällt auch bei Twitter auf, dass die Prüfer gegen den Großteil der gemeldeten Inhalte, bei denen eine Maßnahme ergriffen werden musste, innerhalb eines Tages vorgegangen sind.
Kritik am Overblocking
Gerd Billen, Staatssekretär im Ministerium, zeigte sich am Freitag zufrieden, dass das Gesetz erste Wirkung zeige: “Dennoch, wir stehen erst ganz am Anfang.” Das NetzDG hatte allerdings auch für Kritik gesorgt. Gegner argumentieren, dass es die Plattformbetreiber dazu verleitet, aus Angst vor Bußgeldern grenzwertige Inhalte eher zu sperren. Das sogenannte “Overblocking” könne zu Zensur führen. “Die Bundesregierung hat mit dem NetzDG private Unternehmen zu Richtern über die Presse- und Informationsfreiheit im Netz gemacht, ohne eine öffentliche Kontrolle des Löschverfahrens sicherzustellen”, kritisiert Christian Mihr, Geschäftsführer bei Reporter ohne Grenzen, in einer Pressemitteilung. “Eine solche unabhängige Prüfinstanz braucht es aber, um ein Overblocking, also das Löschen von rechtlich zulässigen Inhalten, zu erkennen. Die großen Plattformen würden nach eigenen Regeln löschen, “weil sie sich allein als private Unternehmen begreifen und eine Art digitales Hausrecht durchsetzen wollen.” Allerdings seien sie Teil der modernen Öffentlichkeit, wo Menschen alles sagen dürfen müssen, was nicht gegen das Gesetz verstoße, so Mihr. Die NGO kritisiert vor allem, dass die Zahl der auf Basis der Community-Richtlinien gelöschten Inhalte viel höher sein dürfte, obwohl sie nach deutschem Recht zulässig wären.
Reporter ohne Grenzen appelliert in seinem Statement an die Regierung, das NetzDG schnellstmöglich zu korrigieren. “Wir plädieren dafür, eine unabhängige Aufsicht zu schaffen, die über die Löschverfahren der Unternehmen wacht.” Eine entsprechende Ankündigung der Union und SPD, die Nutzungsbedingungen und Richtlinien der Plattformen zu überprüfen, steht auch im Koalitionsvertrag. “Diese muss die Große Koalition nun umsetzen.”