Von Vera Hermes und Thomas Thieme
Herr Professor Staubhaar, was halten Sie von der Fridays for Future-Initiative? Ist das etwas, das schnell wieder verschwindet, oder etwas, das Auswirkungen haben kann?
Thomas Straubhaar: Ob jetzt Fridays for Future schnell wieder verschwindet oder nicht, würde ich offenlassen. Was ich aber als beständig beurteilen würde ist, dass die Politik heutzutage und künftig immer weniger innerhalb von klassischen Parteien betrieben wird. Fridays for Future ist ähnlich wie die Brexit-Bewegung in Großbritannien, wie die Trump-Bewegung in den USA oder wie die „en-marche-Bewegung“ von Macron in Frankreich eine politische Mobilisierung außerhalb traditioneller Parteien. Sie alle sind für mich ein weiterer Beleg dafür, dass die großen Zukunftsthemen nicht innerhalb der alten Volksparteien effektiv angesprochen und gelöst werden, sondern dass das mehr parteiübergreifend eine Frage wird von Betroffenheit und Willen, in den Bereichen etwas zu ändern. Und da denke ich, werden Themen wie Klima und Umwelt ganz weit vorne stehen.
Wieso tun sich die klassischen Volksparteien gerade so schwer?
Ich bin davon überzeugt, dass Volksparteien immer unwichtiger werden, weil es das Volk als homogene Masse so nicht mehr geben wird. Das ist aus meiner Sicht der Hauptgrund, wieso die Union und die SPD sich so schwertun. Nicht, weil Frau Nahles nicht fähig wäre, dies oder jenes zu tun, oder Frau Merkel oder Frau Kramp-Karrenbauer. Sondern weil Einheitlichkeit der (politischen) Ansprüche und Normalität nicht mehr gegeben sein werden. Ich habe größten Respekt vor den Grünen, auch wenn ich längst nicht alle ihre Ideen teile. Es war die erste themenorientierte Bewegung der Nachkriegszeit, aus der eine nachhaltig überlebensfähige Parteigründung hervorging. Volkspartei-übergreifend wurde jenseits aller Herkunft und Gesellschaft und alten Abgrenzungen etwas politisch Neues geschaffen. Wir würden heute nicht so umweltbewusst sein, wenn es die Grünen nicht gegeben hätte, die frühzeitig für ökologische Betroffenheit gesorgt haben.
Ihr gerade erschienenes Buch heißt „Die Stunde der Optimisten – so funktioniert die Wirtschaft der Zukunft“. Appellieren Sie darin an die Jüngeren oder an die Älteren, Optimisten zu sein?
Es ist eigentlich gar kein Appell an irgendwen, optimistisch sein zu müssen. Ich sage eher: Wir haben alle Chancen die Welt weiter zu verbessern, auch ohne, dass sie sich alle groß ändern müssen. Auf technische und gesellschaftliche Innovation zu setzen, ist erfolgversprechender als an weiterreichende Verhaltensänderungen zu appellieren. Konkret zu den Älteren sage ich am Schluss meines Buches: Es genügt, wenn wir das Vertrauen haben, dass unsere Kindeskinder ihre eigenen Herausforderungen selber zu bewältigen in der Lage sein werden. In dem Sinne ist es unsere Pflicht, wie es immer die Pflicht von älteren Generationen war, irgendwann die Verantwortung in jüngere Hände zu übertragen.
Sie schreiben auch, dass die breite Mehrheit der Gesellschaft im Moment nicht bereit ist, sich auf komplett veränderte Rahmenbedingungen einzulassen. Und dass es zwei Wege gibt, um das zu ändern: Modernisierung durch eine Krise oder durch Vernunft. Also muss es erst mal noch schlimmer werden, bevor es besser wird?
Nein, deshalb habe ich das Buch ja geschrieben. Um zu sagen, dass es ist nicht alternativlos ist und wir zuerst die Krise haben müssen, um dann vernünftig zu werden. Vernünftig kann man auch ohne Krise werden, wenn man bereit ist, sich auf eine resiliente Wirtschaftspolitik, wie ich sie im Buch ausführlich beschreibe, einzulassen. Es ist in dem Sinne vernünftiger, billiger und effektiver, Zähne zu putzen und damit Karies zu verhindern, als zu sagen: Erst muss man Karies bekommen, um dann später die Zähne zu reparieren.
Es ist höchste Zeit für die Einkehr der Vernunft.
Genau. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Der eine ist: Weil die Probleme nicht einfacher werden. Umwelt, Klima und Sozialpolitik ertragen keinen weiteren Aufschub. Der zweite Punkt: Jeden Tag, den wir warten, verzichten wir auf die Chancen, neue Dinge schon jetzt vorteilhaft umsetzen und uns an den Verbesserungen erfreuen zu können. Der dritte und vielleicht wichtigste Punkt, demokratisch, politisch gedacht: Jeden Tag, den wir warten, verschieben sich in demographisch alternden Demokratien die Machtverhältnisse noch einmal auf Generationen, die in der Tendenz eher beharrend und Status-quo-orientiert sind. Denn für sie wird es ja noch reichen, wenn alles bleibt, wie es ist. Das hat eine gewisse Logik. Und die politische Macht der jüngeren Generationen, die dann wirklich profitieren würden, sinkt mit jedem Tag, rein demographisch. Deshalb lieber früher beginnen. Jetzt sind die Verhältnisse noch nicht so verkrustet, wie sie werden könnten, wenn wir weiterhin zu wenig tun. Es wird nicht einfacher, wenn wir warten, sondern schwieriger.
Ein großes Interview mit dem Wirtschaftsprofessor und Buchautor Thomas Straubhaar finden Sie in unserem neuen Heft, das am 22. Mai erscheint und das Sie hier bestellen können.