Von Roland Karle
Zahl und Umfang der Kreativ-Wettbewerbe, in denen die Agenturen ihre Arbeiten bewerten lassen, haben die Grenzen des Erträglichen erreicht. Dieser Befund lässt sich weiträumig und meinungsstark belegen. Schon lange ist ein Unbehagen über die „Wettbewerberitis“ vernehmbar, in den vergangenen Monaten hat es sich deutlich verstärkt und konkreten Widerstand hervorgerufen. Renommierte und zigfach ausgezeichnete Agenturen wie Jung von Matt, Scholz & Friends und die Design-Agentur Strichpunkt nehmen eine Auszeit bei Wettbewerben.
Strichpunkt-Chef Jochen Rädeker, ehemals Sprecher des Art Directors Club für Deutschland (ADC), kritisiert, dass sich neben einigen wenigen seriösen Contests zunehmend Awards am Markt positionieren, die eine extrem hohe Auszeichnungsquote aufweisen und mit exorbitanten Veröffentlichungsgebühren vor allem die eigene Gewinnmaximierung im Blick haben, statt einen echten Leistungsvergleich abzubilden. „In den daraus resultierenden Kreativrankings stehen zunehmend nicht mehr die tatsächlich Besten eines Jahres vorne, sondern diejenigen mit den größten Wettbewerbsbudgets“, sagt Rädeker. Sein Fazit: Die Branche braucht eine Denkpause.
Kampagnen-Konzepte eigens für Wettbewerbe
Kaum jemand bestreitet, dass die Flut der Wettbewerbe mit ihren vielen Preisen, Kategorien und Unterkategorien zu einer wahren Überschwemmung geführt hat. Das mindert nicht nur die Lust an der Leistungsschau, sondern bindet Schaffenskraft und wirtschaftliche Mittel. Schließlich erfordern die Präsentationen zur Preiseinreichung einen enormen Aufwand, etliche Kampagnen werden eigens für Wettbewerbe konzipiert und umgesetzt.
Der ADC und der Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA) wollen nun einen Damm gegen die Wettbewerbsflut errichten – und haben in der letzten Woche eine gemeinsame Initiative vorgestellt. Danach werden die beiden Verbände künftig eigene Kreativ- und Effektivitätsrankings für Kommunikationsagenturen in Deutschland ermitteln, „um damit dem Markt sehr effizient mehr Orientierung zu geben“, wie es in einer Erklärung heißt.
Aktualisierte Rankings permanent abrufbar
Das ADC-Kreativranking werde mit den Cannes Lions, dem LIAA, der One Show, dem D&AD und dem ADC Deutschland „die fünf renommiertesten internationalen und nationalen Wettbewerbe“ berücksichtigen. Der GWA baut parallel dazu ein Effektivitätsranking auf, das „die Agenturen nach ihren Erfolgen bei den wichtigsten nationalen und internationalen Effektivitätswettbewerben sortiert“. Es sollen die Ergebnisse des GWA-Effie, des Euro- und Global Efffie, der Cannes Creative Effectiveness Awards und der AME Awards des New York Festivals einfließen. Geplant ist, dass beide Rankings gemeinsam publiziert und mehrmals im Jahr aktualisiert werden. Marketingentscheider können auf den Websites von ADC und GWA die Ranglisten permanent aufrufen.
ADC-Präsident Stephan Vogel ist überzeugt, dass „fünf hochklassige Wettbewerbe genügen, um ein Kreativ-Ranking zu erstellen. Das Bild wird weder anders noch schärfer, wenn man noch 30 weitere Wettbewerbe hinzunimmt, wie das andere Rankings tun. Das ADC-Kreativ-Ranking berücksichtigt nur Wettbewerbe, die qualitativ ein AAA-Rating verdienen.“ Sein Pendant auf GWA-Seite, Lothar Leonhard, stellt fest: „Durch die Initiative wird auch gewährleistet, dass Effektivitätspreise wie der Effie nicht mehr in Kreativranking eingehen. Dort haben sie auch nichts zu suchen“.
Dialogmarketing-Verband fordert „neutrale“ Rankings
Das Ziel des Vorpreschens ist löblich: Durch die Neuregelung soll ein verzerrtes Bild der Branche beseitigt werden, das durch kaum miteinander vergleichbare Wettbewerbe entstanden ist. Schwer wiegt auch, dass Agentur bei mindestens 30 Wettbewerben einreichen musste, um sich überhaupt für das finale Ranking zu qualifizieren, was wiederum entsprechende Finanzkraft erfordert und kleinere Anbieter benachteiligt.
Gut gemeint, schlecht gemacht? Auf diesen Nenner lässt sich die vom Deutschen Dialogmarketing Verband (DDV) geäußerte Kritik an den neuen Standards von ADC/GWA bringen. „Irritiert“ verfolge der Verband die neue Wendung in der Diskussion um Kreativrankings. „Die Initiative von ADC und nunmehr GWA, ein eigenes Kreativ- beziehungsweise Effizienzranking ins Leben zu rufen, hält der Verband für falsch. Der DDV spricht sich dafür aus, Rankings auch künftig von neutraler Stelle durchführen zu lassen“, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme.
Den DDV stört, dass die Darstellung der Marktrealität nicht gegeben sei, wenn ausschließlich auf klassische Werbung fokussierte Wettbewerbe Eingang ins Ranking finden, in denen Spezialdisziplinen lediglich als eine Kategorie unter vielen vorkommen. „Zudem muss gewährleistet sein, dass Spezialdisziplinen aufgrund ihrer eigenen Mechanismen auch von ausgewiesenen Fachleuten beurteilt werden.“
Award-Industrie verschleiert Relevanz-Kriterien
Eine nachvollziehbare Kritik in Zeiten, in denen die Kommunikation geradezu atomisiert. Von medienübergreifenden Kampagnen bis zu kreativen Einzelmaßnahmen über spezielle Kanäle reicht das Spektrum. Die Variationsbreite nimmt zu, die Übersichtlichkeit leidet. Je vielfältiger die Kampagnen und je komplexer der Kreativmarkt werden, desto schwerer fällt der Durchblick. Daneben ist eine Award-Industrie entstanden, die es immer schwieriger macht, zwischen Relevanz und Redundanz zu unterscheiden. Allzu verständlich ergibt sich daraus der Wunsch nach „Weniger ist mehr“.
Doch das Eine (weniger Wettbewerbe, mehr Überblick) darf nicht zu Lasten des Anderen (angemessene Berücksichtigung von Klassik und Spezialdisziplinen) gehen. Der DDV betont die Aufgabe eines Rankings, nämlich „den Markt abzubilden“. Wenn Unternehmen ihr Werbebudgets zunehmend aufsplittern, dürfen „Wettbewerbshüter“ und Rankingschmiede darüber nicht hinweggehen. Sonst wird lediglich eine Unwucht von der nächsten abgelöst.