Warum tun uns Sportler dies an? Warum tut „der“ Sport nichts dagegen? Warum fördern Unternehmen Sport auch noch? Beginnen wir mit der Antwort auf die letzte Frage: weil Sportsponsoring wirkt. Für Marken im Wettbewerb stellt es ein effektives Kommunikationsinstrument dar. Hohe Reichweiten sind kaum preiswerter zu haben. Und in keinem anderen Umfeld wird Markenkommunikation so wohlwollend von den Zielgruppen aufgenommen. Diese schenken den Marken, die Sportsponsoring erfolgreich betreiben, mehr Vertrauen, verwandeln sich in zufriedenere Kunden und kaufen sogar mehr. Zuletzt belegte eine wissenschaftliche Studie der Universität Basel diesen für Marken segensreichen Zusammenhang.
Natürlich gibt es Bedingungen für einen derartigen Erfolg, die sich unter dem Titel „professionelles strategisches Sportsponsoring“ zusammenfassen lassen: positive Beziehung zwischen Marke und Gefördertem sowie umfassende und breite Nutzung des Engagements. Und dann zählt noch die positive Beurteilung des Sponsorships durch die angesprochenen Zielgruppen. Hier ansetzend könnte unsere moralische Entrüstung natürlich die Begeisterung der Sponsoren bremsen. Geradezu überstürzte Ausstiege einzelner Sponsoren gibt es ja auch vereinzelt. Generell überwiegt aber die über längere Zeit wohldurchdachte und differenzierte Reaktion. Warum wohl? Weil Sportsponsoring eben so attraktive Wirkungen zeigt, auf die man nicht leichtfertig verzichten möchte und sollte. Im Kern, weil moralische Bestürzung noch längst keine Wirkung in unser aller Verhalten zur Konsequenz hat.
Wir behelfen uns da lieber mit dem Blick auf andere. Der Begriff „Dopingsünder“ weist den bekömmlichsten Ausweg. Der Einzeltäter befreit uns von jeglichem Handlungszwang. Ist der einzelne Sünder geschnappt, können wir uns wieder dem kollektiven Vergnügen zuwenden. Den guten Sportlern widmen wir unsere Aufmerksamkeit und unsere Begeisterung. Und wir tun dies noch immer in wachsender Zahl mit zunehmenden ökonomischen Effekten. Am Stammtisch ist soweit dann wieder alles in Ordnung.
Häufen sich die einzelnen Sündenfälle allerdings in einem Ausmass, dass selbst massivstes Augenzudrücken nicht weiterhilft, dann führen wir die Diskussion in den Talkshows weiter. Der Sportler mutiert verständnisvoll vom Täter zum Opfer. Wir stellen dann die Sportorganisationen an den Pranger. Die tun einfach zu wenig, um uns das Übel wenigstens so weit vom Halse zu halten, dass wir unserem Vergnügen weitgehend ungestört nachgehen können. Sportbürokraten mit ihrer Unfähigkeit oder ihrem Unwillen sind das Problem. Sicher auch eine dankbare Perspektive, weil in der Tat Belege kaum zu finden sind, mit dem sich das Gegenteil ihrer Unfähigkeit oder ihres Unwillens beweisen liesse. Wenig hilft aber auch wenig.
Dann bleibt nur noch der Staat, um uns den Genuss des sauberen Sports auch zukünftig zu ermöglichen. In dieser Therapiephase stecken wir wohl gerade. Erstaunlich ist der Optimismus, mit dem dieser Lösungsweg betrachtet wird. Erstaunlich, weil doch zumindest der eine oder andere Staat selbst längst des systematischen kollektiven Dopings überführt wurde. Alles Geschichte? Alles nur im ehemaligen Ostblock möglich? Sollte wirklich nicht auch der eine oder andere Staat der Meinung sein, dass der Zweck (Sieger im Nationenwettbewerb) das Mittel heiligt und demzufolge leistungsfördernde Mittel als Beitrag zur Sicherung der Fairness im internationalen Wettbewerb wohlwollend duldet? In jedem Fall wird dieser therapeutische Weg spätestens mit der Eröffnung der Olympischen Spiele in China einen dramatischen Härtetest zu durchlaufen haben.
Die Gefahr besteht also, dass wir am Ende wieder bei uns landen. Sind wir denn überhaupt bereit, unsere Begeisterung für den Sport auf dem Altar der moralischen Entrüstung zu opfern? Unsere scheinbar eskalierende Entrüstung über vermeintlich zu hohe Bezahlung von Sportlern heizt offensichtlich eher noch unseren Sportkonsum an. Von der Entrüstung über Gewalt in Sportarenen lassen wir uns auch nicht aufhalten; wir fragen einfach nach Polizeischutz in einem Ausmass, der offensichtlich an dessen Leistungsgrenzen stösst. So müsste jetzt die Stunde schlagen für den letzten verbleibenden Therapievorschlag zum Thema Doping, der von einzelnen Aussenseitern auch hin und wieder, allerdings meist hinter vorgehaltener Hand, vorgebracht wird: „Legalize it!“. Wirkung statt Moral.
Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Häusler ist CEO von Interbrand Zintzmeyer & Lux.