Man weiß nicht genau, ob man in seiner Haut stecken möchte. Rechts sitzt der BVDW, links der OVK und virtuell über ihm schwebt Gerald Böse, der Chef der Köln Messe. Und alle gucken ganz genau hin, was in Deutz gerade passiert. Denn es wissen alle, dass sich die Dmexco bis zum letzten Jahr ein Stück weit „verwachsen“ hat. Zwar wurde an den Ständen Customer Centricity gepredigt, doch von den Veranstaltern häufig nicht gelebt, weder in Richtung Besucher, noch Aussteller. Aber keiner weiß, wo die Entwicklung der Messe-Kongress-Kombination hingeht. Und ob langfristig überhaupt Bedarf an derartigen Mammut-Veranstaltungen besteht.
Er, das ist Dominik Matyka. Er steht für den Aufbruch am Rhein. Matyka ist einer der Gründer vom Werbenetzwerk Plista. Das verkaufte er 2014 an die Group M und lernte kurzzeitig den rauen Agenturalltag kennen. 2016 ging er von Bord, um Ende des letzten Jahres als Chief-Advisor beim Dmexco-Team anzuheuern.
Das Dmexco Board 2018: Christoph Werner, Dominik Matyka und Philipp Hilbig (© Hendrik Lüders)
Das Jahr des Übergangs
Matyka strahlt an diesem Mittwoch in Hamburg alles andere als Stress aus. Konzentriert wirkt er. Er möchte seine Botschaft rüberbringen. Gleichzeitig ist er gut gelaunt, neugierig. Das Projekt ist enorm spannend und sein Risiko – zumindest auf persönlicher Ebene – hält sich in Grenzen.
Neugier, das ist das ausgegebene Motto für die „neue“ Dmexco. „Take CARE“ lautet es und „CARE“ steht für Curiosity, Action, Responsibility und Engagement. Klingt gut, muss man nur auf die Straße bringen. “Die Kölnmesse investiert aktuell Millionen in die Renovierung des Geländes”, erläutert Christoph Werner, und will damit eigentlich sagen, dass mit dem Flaggschiff tunlichst nichts schief gehen sollte. Gerade die Digitalisierung ist es, die das Deutzer Gelände tragen soll. Neben der Dmexco gilt das auch für die Photokina und für das kleine, aber feine Format Digibility. Vorsichtshalber hat man sich mit Samsung einen starken Partner geholt.
Christoph Werner ist der Brückenkopf für Matyka in Köln und gleichzeitig der Chef-Kontrolleur für Gerald Böse. Werner ist ein alter Hase der Kölnmesse. Er gehörte auch die letzten Jahre zum Orga-Team, gemeinsam mit den geschassten Frank Schneider und Christian Muche. Er kennt den mitunter behäbigen Betrieb eines Großveranstalters wie seine Westentasche. Die branchenweit bei den Messegesellschaften spürbare Unsicherheit trägt nicht gerade zur Aufbruchsstimmung bei. „Wir wissen nicht, was unser Betongold in zehn Jahren noch wert sein wird“, sagt er.
Da geben sich Mathias Wahl und Michael Frank schon deutlich optimistischer. Beide freuen sich, dass man im letztjährigen Machtvakuum den Fuß wieder etwas weiter in die Tür bekam und beim neuen Konzept mitreden darf. Das passt auch gut zu Matykas Organisationsstil. Als mehrfacher Startup-Gründer liegen ihm kooperative Ansätze deutlich näher als autoritäre.
„Auch wenn wir ein paar Besucher und Aussteller weniger haben, ist das nicht schlimm“, sagt Mathias Wahl für den BVDW. 40 000 Besucher und 1100 Aussteller wären das Ziel, sekundiert Philip Hilbig. Er ist offiziell der Director der Dmexco, überlässt Matyka an diesem Vormittag aber weitgehend das Feld. Hilbig ist zufrieden, wenn nach all den Turbulenzen die Dmexco das gleiche Resultat bringt wie 2017.
Da schwingt einiges an Unsicherheit mit, denn Tatsache ist, dass der größte Wettbewerber OMR trefflich gewachsen ist. Am Markt kann es also nicht liegen. „Natürlich gibt es Aussteller, die wegfallen, aber das kann in der Branche vielfältige Gründe haben, zum Beispiel bei Firmenübernahmen“, erklärt Hilbig.
Das neue Konzept
Gleichzeitig freut man sich in Köln aber auch darüber, dass neue Aussteller aus Branchen dazukommen, die man nicht zum Kern des Digitalbusiness zählen, wie zum Beispiel Osram. Auf der CES in Las Vegas kann man ein Lied davon singen: Waschmaschinenproduzenten, Staubsaugerhersteller und natürlich die Automobilindustrie geben sich die Klinke in die Hand. Auch die South by Southwest zieht vieles an, was sich im Bereich Digitale Transformation fortbilden und zeigen will. Und natürlich die Rockstars aus Hamburg.
„Philip ist ein langjähriger Freund“. Damit betont Matyka, dass es kein wirkliches Wettbewerbsverhältnis gibt. Gemeint ist Philip Westermeyer, einer der OMR-Gründer. Gleichzeitig hat Matyka aber als Fehler aus der Vergangenheit ausgemacht, dass man sich in Köln zu sehr auf den Lorbeeren ausgeruht und den Kunden nicht gut genug zugehört habe. Matyka zum Hauptunterschied zur OMR: „Auf der dmexco wird hauptsächlich Business gemacht. Die OMR hat hingegen starken Festivalcharakter.“
Matyka stellt sich damit bewusst gegen einen Branchentrend. Dass die reale Begegnung der Menschen aus der Branche einen wichtigen Wert darstellt, der auch langfristig Bedeutung hat, ist unbenommen. Aber fraglich ist, wie wichtig die Plattform für den Wissenstransfer wirklich ist. Landauf, landab sehen nämlich viele Marketer diese Disziplin stärker im Netz wachsen und wünschen sich von den Messegesellschaften eher mehr Kirmes als weniger. „Wenn es mal ein Event im Hyperloop gibt, warum nicht“, verriet Mercedes-Marketer Jens Thiemer der Absatzwirtschaft. Es geht um Neues, um Überraschendes.
Dem will das neue Kölner Team vor allem mit mehr Transparenz begegnen. Der Kongress ist das Sorgenkind. Neue Planungstools, eine neue Website und vor allem eine neue Struktur sollen helfen, damit sich die Besucher besser zurecht finden. Die fünf Disziplinen Marketing, Media, Technologie, Business und Future bilden den Rahmen, in den sich die Vorträge und Sessions eingruppieren.
Die neue Website soll auch die zentrale Anlaufstelle für das ganze Jahr werden. Content Marketing heißt das Zauberwort und darin kennt sich Matyka bestens aus. Eine renommierte PR-Agentur wurde beauftragt, sich um Inhalte zu kümmern. Eine dezidierte Strategie gibt es noch nicht. Learning by doing heißt der Ansatz. Man will empirisch herausfinden, was bei den Nutzern ankommt und was nicht. Aber eins steht fest: Investigativer Journalismus zu Technikthemen wird nicht dazu gehören. Der vorprogrammierte Interessenkonflikt mit der Industrie wäre zu groß. Und das Feld Innovation ist stark durch die Rockstars besetzt. Es wird spannend sein zu beobachten, auf welche Themen sich das Dmexco-Team konzentriert und in welchem Duktus man vorträgt. Der verlängerte Arm der Firmen-PR sollte es wohl lieber nicht sein.
Als Vorbild könnte eventuell die ISPO in Spiel kommen. Dort experimentiert man mit Co-Creation und Crowdsourcing. Interessenten und Firmen werden vernetzt, um gemeinsam Produkte zu testen, zu entwickeln und zu optimieren.
Die neue Website der Dmexco inklusive Ticketing kommt im Juni. Zweieinhalb Monate vor dem Event ist das extrem mutig. „Das Ding wird richtig fett“, lässt Matyka seinen Startup-Spirit durchblitzen. „Wir wollen von der Messe zum Medium werden“, erklärt der Dmexco-Advisor. Im Klartext geht es um effizientes und zielgenaues Matchmaking – keine neue Idee, aber allemal sinnvoll. Man darf für die Kölner hoffen, dass das gelingt, und zwar möglichst schon in diesem Jahr. Auf die Frage nach dem wichtigsten KPI für seine Arbeit antwortet Makyta: „Es geht nur um die Zufriedenheit bei Besuchern und Ausstellern“. Und bei der Kölnmesse, möchte man ergänzen.
P.S. Neben den „normalen“ Tickets für 99 Euro wird es speziell für Studenten wieder vergünstigte Tickets für 29 Euro geben.