Wir suchen die richtige Antwort und stellen die falsche Frage

Der positive Aspekt einer Krise ist, sie erstickt auch Ausreden im Keim. Produkten, Führungskräften und Unternehmen bleibt keine Möglichkeit mehr, sich hinter financial engineering, organisatorischen Beharrungskräften oder Vorgesetzen-Starrsinn zu verstecken. Eine kritische Bestandsaufnahme von Frank Dopheide
Purpose
Die richtige Frage entscheidet: Wenn Sie trotz Fantasie zu keinem der 17 UN-Ziele für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit. einen Beitrag leisten können, dann haben Sie keinen Purpose. (© Unsplash)

Die ungeschminkte Wahrheit kommt unübersehbar ans Licht. Wir erkennen, eine Menge um uns herum wurde nur künstlich am Leben gehalten. Das, was wir Management nannten, war in erster Linie eine lebensverlängernde Maßnahme der nicht Zukunftsfähigen. Heute holt uns die fehlende Vorbeugung mit großer Wucht und großen Schmerzen ein.

Wir wissen, es kann und es wird nicht so weiter gehen wie bisher. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit lassen sich nicht ins neue Jahrzehnt weiterschreiben. Produkte, Führungskräfte und ganze Organisationen brauchen eine neue Perspektive. Einen neuen Blick auf die eigene Zukunft und das daraus abgeleitete eigene Handeln.

Purpose wurde die neue „Verkaufsmasche

Da kommt nun das Wort vom Purpose ins Spiel. Hinter ihm verbirgt sich die simple, aber fundamentale Erkenntnis, dass Unternehmen und Manager noch etwas anderes außer Zahlen produzieren müssen. Wenn nur Profit und Shareholder zählen, aber alle anderen Stakeholder leer ausgehen, geht die Rechnung nicht auf. Procter & Gamble brachte diesen Begriff 2007 in die Welt des Marketings und damit auf meinen Schreibtisch. Dort schlossen sich in loser Reihenfolge zunehmend mehr Produkte und Marken dieser Denke an. Purpose wurde die neue „Verkaufsmasche“. Und das tat ihm nicht gut. 

Simon Sinek holte den Sinn bei seinem Ted Talk auf die Bühne und malte den Golden Circle – Why, How und What – als ultimative Erfolgsformel aufs Flipchart. Sein Video „start with why“ wurde zum Überflieger und dreht seither seine Kreise. Über zwölf Millionen Views auf Youtube und einige Bücher von Simon Sinek später gewinnt das Thema immer weiter an Fahrt. Als Vertriebsmann an vorderster Front sorgte ausgerechnet Blackrock-CEO Larry Fink dafür, dass das Thema auf jedem CEO Schreibtisch landete. Denn Larry erkannte, dass die größte Bedrohung seiner 7.000.000.000.000.000 Dollar Investments nicht China, nicht die Digitalisierung, nicht einmal eine Pandemie ist, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz. 

Das „Warum“ lenkt uns in die falsche Richtung 

Geschäftsmodelle und staatliche Kreditwünsche müssen nicht nur vom Aufsichtsrat abgesegnet werden, sondern auch der Gesellschaft zur Freigabe vorgelegt werden. Insofern kam die Frage nach dem Sinn ganz oben in die Wiedervorlagemappe. Und hier begann der Übersetzungsfehler. Denn das Why haben wir mal kurzerhand in ein „Warum“ transferiert. Error. Denn das „Warum“ lenkt uns in die falsche Richtung. Das „Warum“ sucht den Schuldigen und die rationale Erklärung. Es blickt in den Rückspiegel und will verstehen, wieso und weshalb. Das „Warum“ gibt sich mit einer Erklärung zufrieden, erzeugt aber keine neue Energie. Die Sinnfrage muss in die Zukunft zielen. Sie muss den Zweck erkennbar werden lassen, damit wir zu den richtigen Mitteln greifen. 

Die bessere Frage lautet: Wofür? 

Das Fragewort „Wofür“ impliziert in fünf Buchstaben, dass es ein höheres Ziel gibt. Für jemanden oder für etwas. Die Frage zielt nach vorne – in Richtung Zukunft. Das „Wofür“ bringt sich mit ganzem Herzen ein. Die Emotionalität und persönliche Hinwendung werden unmittelbar spürbar. Aus der alltäglichen Aufgabe wird ein Anliegen. Und damit ist schon viel gewonnen.

Deutschland ist geprägt durch die Romantik, unsere Dichter und Denker – sie haben unsere Sprache und damit auch unser Denken reichhaltiger und trennschärfer gemacht. Wir sollten diesen Wettbewerbsvorteil in unsere Zukunftsstrategie gleich mit einplanen. Legen Sie dafür jedes Wort auf die Goldwaage. Übertragen Sie diese Aufgabe nicht dem Vorstand. Lassen Sie es von Wortkünstlern kreieren und begutachten. Machen Sie es um Gottes willen nicht zur demokratischen Entscheidung, das machen Sie mit Ihrer Budgetplanung ja auch nicht.

Die entscheidende Frage für den Purpose 

Und wenn Sie wissen wollen, ob Sie mit Ihrem Unternehmens-Purpose auf dem richtigen Weg sind – stellen Sie sich die entscheidende Frage. Gucken Sie auf die 17 UN-Ziele für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit. Wenn Sie selbst trotz Fantasie mit Ihrem unternehmerischen Handeln zu keinem der Ziele einen Beitrag leisten können, dann haben Sie keinen Purpose. Sie haben dann immer noch ein Business-Modell. Theoretisch. Denn praktisch sind „sinnvolle“ Unternehmen um 42 Prozent leistungsstärker, wie EY nachgewiesen hat. Besser Sie machen sich jetzt an die Arbeit. Ohne Sinn ist alles zwecklos. Die Zukunft steht schon vor der Tür.

Der Autor: Frank Dopheide

Frank Dopheide startete im Februar 2020 seine neue Agentur human unlimited. Zuvor war er seit 2014 Sprecher der Geschäftsführung des Handelsblatt Media Group. 2011 hatte Dopheide die Deutsche Markenarbeit gegründet, zudem wurde er Chairman von Scholz & Friends in Düsseldorf.