Die Entwicklung des (vor allem digitalen) Marketings ist klassischen Werbern ein Dorn im Auge – auch Jean Remy von Matt, dem Reklame-Gott, wie ihn das Handelsblatt Magazin in seiner morgen erscheinenden Ausgabe bezeichnet. Im Gespräch mit dessen Chefredakteur Thomas Tuma kritisiert von Matt, dessen Unternehmen sich als Kreativ-Agentur weltweit einen Namen gemacht hat, Werbung, die immer schlechter als solche zu erkennen ist und somit nicht mehr ihren Zweck erfülle – nämlich Transparenz zu schaffen. Grund seien bei Werbekunden an Beliebtheit gewinnende Möglichkeiten wie Content Marketing oder Native Advertising, bei denen Werbeinhalte als redaktioneller Content verkleidet werden, und die „im Ergebnis alles Schleichwerbung“ seien.
Unzufrieden zeigt sich von Matt
Während sich Werbung treibende Konzerne auf diese neuen Felder der Kommunikation konzentrieren, schwinde der Einfluss der Kreativagenturen, so von Matt weiter. Schuld daran seien zum einen ein „Absicherungswahn“ und Risikoscheue der Kunden, aber auch die eigene Branche, die „Autorität verspielt hat“. Entwickelt habe sich die Situation aus dem Wettbewerbsdruck, der Agenturen „willfährig“ und weniger mitbestimmend gemacht habe: „Mein Idealbild war immer, dass wir Werber wie der Beifahrer eines Rallye-Piloten unseren Kunden ständig zurufen, wo es langgeht. Inzwischen sitzen wir oft nur noch quengelnd hinten im Kindersitz.“
Unzufrieden zeigt sich von Matt auch mit der Entwicklung in Segmenten, in denen die Agentur selbst mit mischt. Mit Viral-Spots wie „Supergeil“ oder „Heimkommen“ für die Supermarktkette-Edeka erntete die Agentur weltweit Beachtung. Doch dabei handele es sich um „einen gigantischen Selbstbetrug“, weil eine Kampagne nur dann erfolgreich sei, wenn sie millionenfach geteilt und konsumiert worden sei, wobei Kunden möglichst wenig zahlen wollen. „Der Lockruf lautet: Reichweite ohne Mediakosten“, so von Matt. Was dabei allerdings vergessen werde: Es würden „massenhaft“ Virals produziert, „die in Wirklichkeit keine sind, weil sie bei ein paar Tausend Abrufen liegen bleiben.“ Bemerkt werde das aufgrund der Algorithmen in sozialen Netzwerken nicht. Gemessen an diesen Reichweiten würden sich Produktionskosten kaum decken, so der Top-Werber.
„Wir bleiben unzufrieden“
Zwar hat von Matt die Rolle als Vorstandsvorsitzender an Thomas Strerath (von Matt ist noch Mitglied des Vorstandes) abgegeben. Ans Aufhören denkt der Mann, dessen Leitsatz „Wir bleiben unzufrieden“ ist, derzeit aber offensichtlich noch nicht. Auch mache er sich keine Gedanken darüber, wie sein Ausstand stattfinden sollte. Am Schreibtisch mit einem unvollendeten Genie-Claim zu sterben sei eine Idee, die im gefällt. „Und vor dem Abtransport bitte noch den Song ‚School’s Out Forever‘ von Alice Cooper spielen“.