Herr Dr. Fakesch, für Ihre Software brauchen Sie die richtige Hardware. Kommt also die Hardware immer zuerst?
FAKESCH: Richtig. Nintendo hat bei den eigenen Produkten natürlich immer einen Know-how-Vorsprung und entwickelt so die optimale Software für eine neue Hardware. Haben wir die richtigen Software-Titel entwickelt, sind das in der Regel Hardware-Treiber. Uns wird manchmal vorgeworfen, dass sich nur Nintendo-eigene Produkte auf Nintendo-Plattformen verkaufen. Das ist aber nur insofern richtig, als dass man im ersten und zweiten Jahr einer neuen Plattform sicherstellen muss, dass man mit der eigenen Software die Hardware weit nach oben treibt. Nur dann ist es interessant für Publisher, in den Markt mit hineinzugehen.
Hinzu kommt die Entscheidung zwischen PC- und Videospiel?
FAKESCH: Genau, es gibt den Bereich PC-Games und den Bereich Video-Games. Der erste Markt ist seit Jahren rückläufig, obwohl in Deutschland noch relativ groß – der zweitgrößte für PC-Games nach den USA. Die internationalen Publisher haben aber keinen besonders großen Spaß mehr daran, PC-Spiele zu entwickeln, da das Geschäft in anderen großen Leitmärkten fast nicht mehr existent ist. Sie gehen also mehr und mehr auf Videospiele für TV-Konsolen oder Handhelds. Wii ist hier die stärkste TV-Konsole, die der Markt bisher gesehen hat. Noch stärker allerdings ist der DS im Bereich Handheld, stärker sogar als der Gameboy.
Ihr Vorstandschef Satoru Iwata sieht darin „nichts weniger als einen Paradigmenwechsel in der Welt der Videospiele“.
FAKESCH: Das Wort benutzt unser CEO und President, Herr Iwata, sehr gerne. Er ist eine echte Koryphäe, ein absoluter Stratege. Vor vier, fünf Jahren war Nintendo die Kiddy-Company mit Produkten wie Mario, Donkey Kong und Pokémon. Sony hatte es mit der Playstation geschafft, sich mit einem coolen Image und starkem Brand im Markt zu positionieren und quasi von oben auf unsere Zielgruppe herunterzudrücken. Sie ist so noch jünger geworden, und wir waren dadurch in so etwas wie einer Sandwich-Position. Außerdem waren die Geburtenraten rückläufig. Das hat Satoru Iwata erkannt und gefordert: Wir müssen aus diesem Dilemma heraus und einen Paradigmenwechsel einläuten.
Welche Erkenntnis steckte dahinter?
FAKESCH: Die Industrie war bis dahin so geprägt: männlich, jung, Technik-affin. Dies bildet aber nur einen geringen Prozentsatz der Bevölkerung ab. Was ist mit den anderen? Warum spielen die eigentlich nicht? Die Antwort: Die Steuerung war den Leuten zu kompliziert, sie haben nicht die richtigen Spiele für sich gefunden, und sie hatten keine Lust, sich erst stundenlang in irgendwelche Manuals einzulesen und Steuerungsmöglichkeiten auszuprobieren. Und sie hatten auch keine Zeit, sich lange in ein Spiel hereinzufinden. Unsere Konsequenzen lagen auf der Hand: Wir brauchen erstens eine einfache Steuerung. Wir brauchen Spielkonzepte, die einen Mehrwert bieten. Und wir brauchen Spiele, die man einfach nur ein paar Minuten am Tag nutzen kann und in die man immer wieder schnell hineinkommt. Für das Nintendo-Management war klar: Damit kommen wir aus der strategischen Falle heraus. Damit können wir erstmals auch Frauen, überhaupt die Erwachsenen ansprechen, und bauen uns einen komplett neuen Markt auf. Das ist der eigentliche Paradigmenwechsel: Nintendo hat vom Konsumenten her anders gedacht. Der Effekt war – und hier benutzt Herr Iwata gerne den Begriff der „Blue Ocean“-Strategie –, dass wir aus dem Haifischbecken des Core-Gamer-Marktes ausgebrochen sind; bildlich gesprochen in den freien, blauen Ozean. Und dort der Erste waren. Die Kunst ist es nun, unseren Vorsprung mit neuen Spiel-Konzepten und Hardware-Innovationen beizubehalten.
Und darüber kam Nintendo auf das neue Steuerungskonzept, bei dem über Sensoren Körperbewegungen des Spielers übertragen werden?
FAKESCH: Genau. Nach dem portablen Nintendo DS mit Touchscreen und Spracherkennung war der logische Schritt, dass wir uns für die TV-Konsole überlegen, wie man sie einfach bedienen kann. Nicht zuletzt deshalb sind wir aus dem Kreislauf der immer größeren Prozessoren und besseren Grafiken ausgebrochen und haben gefragt, was der Konsument eigentlich will.
Und was will der Konsument beziehungsweise was ergibt sich daraus fürs Produkt?
FAKESCH: Er will vor allem Spielfreude, einen einfachen Einstieg, und viele wünschen sich nicht zu komplexe Spiele. So sind wir auf die bewegungssensitive Steuerung der Wii-Controller gekommen. Der nächste Schritt war das „Balance-Board“ für „Wii-Fit“, bei dem Sie das bewegungssensitive Spielen auf die Füße übertragen. Und der nächste Schritt, den wir gerade auf der Messe E3 in Los Angeles gesehen haben, ist „Wii Motion Plus“. Hier gibt es neben der Bewegungssensorik im Controller zusätzlich eine Winkelmessung, was das Lesen einer dreidimensionalen Bewegung im freien Raum ermöglicht. Für die Zukunft kann ich mir vorstellen, dass beispielsweise bei einem virtuellen Frisbee-Spiel die Frisbee, neben der perfekten Flugbahn, auch zu steil nach oben oder unten fliegen kann. Wir haben also noch einige weitere Schritte vor uns. Wir haben in Los Angeles auch Wii Music gesehen, bei dem Sie ein Schlagzeugsolo spielen können und dabei übers Balance Board mit dem linken und rechten Fuß Ihre Base Drums bedienen und mit dem Controller frei spielen.
Nintendos Kreativdirektor Shigeru Miyamoto gilt als Spielegottheit. Ist er der Garant für gute Ideen und den geschäftlichen Erfolg?
FAKESCH: Shigeru Miyamoto ist anerkanntermaßen in unserer Industrie die absolute Koryphäe. In Japan setzt man ihn mit einem Popstar gleich. Miyamoto treibt bei Nintendo seit 30 Jahren die Innovationen voran. Er hat als Designer unter anderem Mario und Donkey Kong erfunden. Er war auch der Treiber bei der Hunde-Simulation Nintendogs, die sich allein in Deutschland 1,7 Millionen mal verkauft hat. Damit spielt fast jedes zweite Mädchen mit Nintendo DS, und zwar in erster Linie wegen Nintendogs als das Einstiegsprodukt. Shigeru Miyamoto hat es erfunden, und ich erinnere mich noch an das Gobal-Strategy-Meeting in Japan, bei dem er es allen Geschäftsführern vorgestellt hat. Wir waren ziemlich unsicher, wie wir sechsstellige Verkaufserwartungen erfüllen sollten. Dass wir in zweieinhalb Jahren in Deutschland auf fast zwei Millionen Units kommen würden, hätte ich mir damals im Leben nicht erträumt. Das zeigt: Er macht seine Sache sehr clever. Er ist nicht nur Developer, der in sein neues Produkt verliebt ist, sondern er holt sich immer wieder das Feedback von Konsumenten. Er lässt sie spielen, beobachtet sie dabei und passt die Spiele wenn nötig an. Er hat übrigens auch Wii Fit erfunden und ist derzeit stark bei Wii Music beteiligt. Er hat es geschafft, Nintendo in eine neue Sphäre zu bringen. Das Gespräch führte Thorsten Garber
Dr. Bernd Fakesch über …
… Wettbewerber und Marktanteile (3): „Wir sind nicht so Entertainment-affin wie etwa die Briten“