„Jungs, wenn es so weiter geht, sind wir 2017 bei null“. Das war der letzte und lauteste Weckruf, den die Geschäftsleitung von MediaSaturn von ihren Finanzkontrolleuren 2014 zu hören bekam. „Wir waren 2013 noch immer die Nummer 1 am Markt, haben uns aber benommen wie die Nummer 24“, gab Pieter Haas, der CEO von MediaMarktSaturn im Rahmen des Deutschen Handelskongresses in Berlin offen zu. Obwohl man bereits Anfang der 2000er mit einem eigenen Onlineshop in den E-Commerce eingestiegen war und dieser 2008 insgesamt 140 Millionen Euro erwirtschaftete, machte man ihn genau damals zu. „Wir haben es einfach nicht geschafft“, sagt Haas und meint damit das, was heute unter dem großen Schlagwort Digitale Transformation läuft.
Klar: Mit dem logistischen Setup von (damals) MediaSaturn kann jeder einen Onlineshop eröffnen und Versandhandel betreiben, doch das ist eben nichts anderes als MeToo. Es fehlte die Differenzierung, das Besondere. 2012 wurde der Shop wieder eröffnet, mit klarem Fokus auf eine langfristige Vernetzung der Vertriebskanäle. Fünf Jahre ECommerce – ein Onlinehandelsbaby im Vergleich zu 20 Jahren Amazon.
Das Märchen vom dauerhaften Erfolg
Die Geschichte von MediaMarktSaturn sieht wie eine Blaupause für Dinosauriergebaren, Disruption, verlorene Kundenzentrierung und schmerzvolle Transformation aus. Zwar behauptete man in Sachen Stückzahlen und Umsatz die Spitzenposition im Technikhandel auch über die schwierigen Jahre hinweg, doch kannte die Entwicklung bis 2014 nur eine Richtung, die zur oben genannten Warnung führte. Branchenbeobachter und Kunden machten Witze über die mangelnde Kompetenz des Verkaufspersonals auf der Fläche, oder über die Tatsache, dass es leichter ist, im Lotto zu gewinnen, als bei MediaMarkt einen Verkäufer zu finden.
Pieter Haas teilt diese Zeit in drei Phasen. In der ersten Phase steckte man kollektiv den Kopf in den Sand. Er selbst war ab 2008 in der MediaSaturn-Holding und verantwortet einen Gutteil der Fehler mit. „Wir haben geglaubt, dass das nur eine Phase ist, die vorbei geht“. Und das Management hat sich gegenseitig in dieser Fehleinschätzung bestärkt. Die zweite Phase war „Hoffen und Beten“. Ende der ersten Dekade der 2000er sah man die Probleme erstmals deutlicher, ohne in der Lage zu sein, eine Strategie dagegen entwickeln zu können. „Wenn mir damals einer den Stecker gezeigt hätte, wie man das Internet ausschaltet, ich hätte ihn gezogen“, bekennt der charismatische Holländer.
Aber auch die anderen Marktteilnehmer haben die Entwicklung nicht wirklich präzise vorhergesehen. „2010 war online pureplay das Rollenmodell, dem alle nachgeeifert sind. Heute beneidet uns Amazon um die Fläche.“
Warum gibt es uns überhaupt?
Die Krise bis 2014 erzeugte so viel Veränderungsdruck, dass man sich in der Konzernleitung auf den Hosenboden setzte und begann, jeden Stein im Unternehmen umzudrehen. Dabei gelangte man zu einer wichtigen Erkenntnis, die bis heute nicht in jedem Vorstand angekommen ist: Digitale Transformation heißt nicht, die Läden mit Technik vollzukleistern – Haas lacht heute über die ersten Schritte mit Beacons – sondern sich daran anzupassen, wie die Digitalisierung das Leben der Kunden und deren Verhalten ändert.
„Wir haben uns die Frage gestellt: Warum gibt es uns überhaupt“, so Haas. Und die Antwort, die man in Ingolstadt gefunden hat lautet: Der Kunde braucht Partner, die ihm helfen, das digitale Leben zu managen. „Wir haben einen Teil unseres Gehirns in das Smartphone verlagert“, spitzt Pieter Haase zu, „und darin liegt eine riesige Chance für Services“.
Und diese Services hängen der festen Überzeugung von Haas nach an qualifizierten und kundenorientierten Menschen. „Wir sehen gerade die Renaissance des Menschlichen im Handel“. Persönlicher Service, Empathie und Freundlichkeit sind die Grundpfeiler eines positiven Markenerlebnisses und somit der Strategie gegen Amazon und Co. Zwar testet man derzeit in Ingolstadt den Roboter Paula als Kundenschnittstelle. Der sei aber nicht in der Lage, den menschlichen Kontakt zu ersetzen. Auch in naher Zukunft noch nicht.
Beispielhaft sprach Haas von Till und Emre, den Gründern des StartUps Deutsche Technikberatung mit Sitz in Köln. Die bieten Dienstleistungen rund um Technik an wie etwa die WLan-Vernetzung von IoT- oder SmartHome-Geräten. „Wenn in Zukunft der Kühlschrank nicht nachbestellt, kann das am Kühlschrank oder am WLan liegen“, sagt Haas. „Wenn man 30 Geräte im WLan hängen hat, ist man froh über professionelle Unterstützung und auch bereit, dafür zu bezahlen“.