Von Ingo Rütten
In seinem Beitrag stellt Ex-Werber Frank Dopheide dar, was vor ihm bereits TED-Talker Simon Sinek, Blackrock-CEO Larry Fink und die Unternehmensberatung EY herausgefunden haben: Unternehmen mit einem starken Purpose sind erfolgreicher und leistungsstärker. Auch stellt er fest, dass Purpose über die Jahre zur „Verkaufsmasche“ verkam – auch da kann man ihm nur zustimmen. Dass aber deshalb ausgerechnet „Wortkünstler“ den Purpose für Unternehmen „kreieren“ und dieser dann vom CEO möglichst Top-Down durchgedrückt werden soll, ist ein fataler Irrtum.
Der Beitrag von Ingo Rütten ist eine Replik auf einen Gastbeitrag von Frank Dopheide, der zuletzt auf absatzwirtschaft.de erschienen ist:
Wir suchen die richtige Antwort und stellen die falsche Frage
Der positive Aspekt einer Krise ist, sie erstickt auch Ausreden im Keim. Produkten, Führungskräften und Unternehmen bleibt keine Möglichkeit mehr, sich hinter financial engineering, organisatorischen Beharrungskräften oder Vorgesetzen-Starrsinn zu verstecken. Eine kritische Bestandsaufnahme von Frank Dopheide.
Damit der Corporate Purpose tatsächlich zu einer höheren Leistungsfähigkeit eines Unternehmens beiträgt, muss er eben mehr sein als nur ein weiteres CSR-Engagement, bei dem der CEO sich aus den 17 Sustainable Development Goals der UN seine Lieblingsthema rauspickt. Es muss auch mehr sein, als eben genau die inflationären werbegetexteten Mission-, Vision- und Change-Motivations-Statements, die kein Arbeitnehmer mehr im Meetingraum oder seiner Kaffeetasse lesen möchte.
Der Technologieverband VDE zeigt beispielsweise in der Coronakrise ganz praktisch, was er unter gesellschaftlichem Engagement versteht: Kurzerhand hat er sonst kostenpflichtige Normen für Beatmungsgeräte frei zugänglich gemacht, bietet Plausibilitätschecks für Schutzausrüstung an und gibt Studenten der Elektro- und Informationstechnik Tipps für die Karriereplanung in Krisenzeiten.
Reines Storytelling leistet keinen Beitrag zur Performance
Damit Purpose erfolgreich ist, muss er vor allem eins sein: verständlich und glaubwürdig. Nur dann lässt sich auch ein positiver Effekt auf die finanzielle Performance von Unternehmen nachweisen, wie eine Veröffentlichung der Harvard Business School* bereits 2016 nachgewiesen hat. Purpose ist also weit mehr als nettes Storytelling. Die Purpose-Strategie muss vielmehr klare und verständliche Leitplanken geben, damit Führungskräfte diese Haltung in Handlung umsetzen können. Die Harvard-Studie weist nach, dass gerade dem mittleren Management hier eine Schlüsselrolle zukommt, bildet es doch die Schnittstelle zwischen den Strategien des C-Levels und den operativ tätigen Arbeitnehmern.
Zum Autor: Wie Frank Dopheide startete Ingo Rütten seine Karriere bei der Agenturgruppe Grey. Seit 2002 führt er als Inhaber und Geschäftsführer die Strategieberatung Zielwerk in Frankfurt. Anfang 2020 hat er außerdem das Beraternetzwerk Purpose.de ins Leben gerufen.
Top-Down-Ansätze sind nicht mehr zeitgemäß
Um die notwendige Akzeptanz und Glaubwürdigkeit für den Purpose herzustellen und stabil im Unternehmen zu verankern, ist deshalb ein partizipativer Entwicklungsprozess zwingend notwendig. Dopheide dagegen will das Thema „um Gottes willen nicht zur demokratischen Entscheidung“ machen.
Das ist alte Managementdenke, die in Zeiten von New Work und agilen Teams nicht mehr funktioniert – ganz besonders nicht beim Thema Purpose. Denn hier geht es ja genau darum, den Blick auf alle Stakeholder zu weiten und diese einzubeziehen. Nicht nur die Generation Y will sich keine fertige Unternehmenspurpose überstülpen lassen, sondern ihn aktiv mitentwickeln und mitgestalten. In einer von Purpose.de im Frühjahr unter 402 Führungskräften durchgeführten Umfrage betonen sogar 67 Prozent der Befragten, dass Mitarbeiterorientierung zukünftig noch an Bedeutung zunehmen wird.
Purpose ist Haltung plus Handlung
Ein starker Corporate Purpose darf mehr sein als nur ein Statement. Er ist ein strategisches Steuerungsinstrument, das nicht nur die Haltung beschreibt, sondern alle Mitarbeiter dabei unterstützt, diese in konkrete Handlungen umzusetzen. Er muss die Balance bilden aus berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Inhaber, ebenso wie den Wünschen der Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten – und letztendlich auch der Gesellschaft in der das Unternehmen agiert.
Der schwäbische Textilhersteller Trigema ist dafür ein gutes Beispiel, beschränkt er sein Engagement nämlich nicht nur auf nachhaltige und regionale Produktion, sondern sieht seine unternehmerische Verantwortung auch darin, den Kindern seiner Mitarbeiter Arbeits- und Ausbildungsplätze zu garantieren.
Gerade in unruhigen Zeiten die durch die allgemeine „VUCA-Welt“ ebenso geprägt sind, wie durch die aktuelle Coronakrise ist eine gute Purpose-Strategie ein zentraler Zukunftskompass für Organisationen und ihre Mitarbeiter. Überlassen wir seine Entwicklung nicht alleine den Werbern.
* Gartenberg, Claudine, Andrea Prat, and George Serafeim. „Corporate Purpose and Financial Performance.“ Harvard Business School Working Paper, No. 17-023, September 2016.