Bio-Milch, Öko-Strom und bitte kein Plastik: der nachhaltige Konsum ist auf dem Vormarsch und rückt immer weiter in die Mitte der Gesellschaft. Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie „Die grüne Mitte“ des Nachhaltigkeitsportals Utopia. Demnach hat eine beeindruckende Mehrheit in Sachen Nachhaltigkeit die Augen offen: 80 Prozent der Befragten sehen die Lebensgrundlagen in Deutschland durch die Klimakrise bedroht.
Allerdings bleibt die deutsche Bevölkerung nicht bei der Erkenntnis stehen, sondern scheint sich auch proaktiv zu engagieren: 62 Prozent der Deutschen kaufen bestimmte Produkte aus Gründen der Nachhaltigkeit nicht mehr. Bewusstes Konsumverhalten dient dabei nicht nur dem guten Gewissen. 61 Prozent der Befragten möchten mit ihren persönlichen Kaufentscheidungen direkten Einfluss auf Herstellungsbedingungen nehmen – und damit den Status quo verbessern. Wir haben mit Utopia-Geschäftführerin Meike Gebhard über Änderungen im Konsumverhalten gesprochen.
Frau Gebhard, vor gut zwei Jahren, kurz nach Beginn der Corona-Pandemie, haben Sie in einem absatzwirtschaft-Interview gesagt, es entstehe eine „neue Nachdenklichkeit“. Gilt das heute immer noch?
Ja, unbedingt. Wir haben damals gesagt, dass den Menschen immer mehr bewusst wird, dass allein durch Effizienz und neue Produktinnovationen der Klimawandel nicht gestoppt werden wird, sondern dass mit Blick auf den Klimawandel die Menschen immer häufiger sagen: Es wird auch darum gehen, weniger zu konsumieren. Auch Trends, zum Beispiel der Verzicht auf Fleisch, all diese Dinge setzen sich fort.
Man könnte also sagen, dass Nachhaltigkeit Mainstream geworden ist. Wo steht der nachhaltige Konsum jetzt gerade?
Wenn Nachhaltigkeit Mainstream geworden ist, so wie wir unsere Studie genannt haben, dann meinen wir damit vor allen Dingen, dass es inzwischen einen breiten Konsens in der gesamten Gesellschaft gibt, dass wir uns um diese Themen kümmern müssen. Das eine ist ja: wir haben ein hohes Bewusstsein dafür, wie dringend der Klimawandel ist und auch, dass das zur Folge haben wird, dass wir anders konsumieren müssen. Die Anzahl derer, die dann bereit sind, ihrem Wissen auch anderes Verhalten folgen zu lassen, das ist natürlich eine deutlich kleinere Gruppe, aber auch diese Gruppe wächst.
Das hat sich in den letzten Jahren fortgesetzt, nach unseren Erkenntnissen sind das über 40 Prozent der Bevölkerung, die eben nicht nur ein Problembewusstsein haben, sondern auch bereit sind, das in entsprechende Konsumentscheidungen zu übersetzen.
In Ihrer aktuellen Studie präsentieren Sie eine differenzierte Konsument*innen-Typologie. Welche Konsument*innen treiben den nachhaltigen Konsum besonders voran?
Die eine Gruppe, das sind die “Konsequenten”. Das sind also die Menschen, die auch bereit sind, einen Mehraufwand in Kauf zu nehmen und die konsequent über die Ernährung und den einfachen Griff zur Bio-Milch hinaus in vielen Konsumbereichen Nachhaltigkeit leben. Die dann auch entsprechend zu einer nachhaltigen Bank gehen und die natürlich Öko-Strom haben. Die Konsequenten sind so etwas wie die Speerspitze des nachhaltigen Konsums.
Als einen weiteren Treiber beobachten wir die Gruppe der “Gelegentlichen”, die wir hochspannend finden. Wir haben sie früher die „Flexitarier des bewussten Konsums“ genannt, die nicht konsequent und durchgängig nachhaltig leben. Diese Gruppe halten wir einfach deshalb für so wichtig, weil das die größte Gruppe mit einem Anteil von 22 Prozent an der Gesamtbevölkerung ist. Insofern sind sie die wahre Mainstreamisierung des nachhaltigen Konsums, an sie richten sich ja letztlich auch alle Angebote für bewusste Konsument*innen, die wir im konventionellen Einzelhandel finden.
Und die dritte Gruppe, die wir ins Auge fassen, sind die jungen Menschen. Die Anzahl derer, die kein Fleisch mehr essen, ist in der Gruppe der unter 34-Jährigen enorm groß. So sehen wir, dass bei den Jungen die Nachhaltigkeit eine sehr viel höhere Selbstverständlichkeit hat. Unsere Annahme ist, dass mit dem Älterwerden dieser Gruppe die Nachhaltigkeit auch immer mehr zum Common sense in der Gesellschaft wird.
Gerade weil Nachhaltigkeit zum Mainstream wird, sprechen immer mehr Unternehmen darüber. Dabei kommt es immer wieder zu Greenwashing-Vorwürfen. Wie können Unternehmen das Vertrauen zurückgewinnen?
Ich glaube grundsätzlich gilt die Regel: walk your talk. Also: nicht mehr kommunizieren als man tut. Ein großer Beitrag zum Vertrauensverlust ist, wenn man Einzelmaßnahmen überdimensional laut kommuniziert, ohne dass dahinter eine Gesamtstrategie steht. Und das erleben wir ja häufig. Ich glaube das ist eine Gefahr.
Deshalb denke ich: man braucht erstmal eine solide Nachhaltigkeitsgrundlage, dann kann man auf der Basis über Leuchtturmprojekte kommunizieren. Die Lautstärke sollte dem Leistungsniveau angepasst sein. Dieses überdimensionale Bejubeln von Einzelaktivitäten ist nicht förderlich.
Wo lassen Marken bei der Nachhaltigkeitskommunikation noch besonders viel Potenzial liegen?
Im Moment überbieten sich Unternehmen in irgendwelchen Botschaften – 23 Prozent das, so und so viel Prozent recyclingfähig. Es kann keiner einschätzen, ob das gut oder schlecht ist. Aber wahrgenommen wird, dass bei aller Kommunikation, die Unternehmen in Summe machen, die Dinge sich noch nicht hinreichend zum Besseren gewandelt haben.
Das kling jetzt fast pessimistisch.
Nein, so soll das gar nicht gemeint sein. Ganz im Gegenteil! Ich wünsche mir, dass wir Nachhaltigkeit nicht als lästige Pflicht begreifen. Der Wandel, den wir brauchen, der passiert gerade. Nachhaltigkeitsabteilungen sind nicht dazu da, Schlechtes im Nachhinein zu korrigieren. Die Dinge von Grund auf nachhaltiger zu machen, darin liegt aus meiner Sicht die große Chance.