Von Katharina Kunzmann, freie Autorin
Als die Gründer Alex Zhu und Luyu Yang im Jahr 2014 Musical.ly auf den Markt brachten, wollten sie eine Bildungsplattform für junge Leute etablieren. Aber Lernen – klar – das fanden alle doof. Deshalb wurde am Konzept geschraubt und aus der Erlebniswelt Bildung wurde ein Entertainment- Universum. Musik, Kunst, Tanz, Comedy oder Sport – die Social-Media-Plattform kennt für kreative Köpfe keine Grenzen.
Eine App wächst aus den Kinderschuhen
Inzwischen hat die App weltweit über 200 Millionen Nutzer. Ihre Besonderheit: die Lip-Sync- Funktion. Die „Muser“, wie man Musical.ly-User nennt, können ihre kurzen Videos mit Musik unterlegen und per Lippenbewegung synchronisieren. Das macht offensichtlich deutlich mehr Freude als Lernstoff zu pauken und begeistert vor allem eine sehr junge Zielgruppe. Doch nun soll sich Musical.ly verändern und eine Anti-Verjüngungskur verpasst bekommen. Nicht nur die Nutzer, sondern auch das Unternehmen soll aus den Kinderschuhen wachsen. Im Interview verrät Marketingchefin Verena Papik die beiden wichtigsten Punkte für dieses Vorhaben: Musical.ly will verstärkt mit anderen Marken zusammenarbeiten und sich die neuesten, technologischen Entwicklungen zunutze machen.
Welche Zielgruppe tummelt sich aktuell auf der Videoplattform Musical.ly?
In Europa ist die Kernzielgruppe primär weiblich und 13 bis 16 Jahre alt. Aber wir stellen fest, dass die Plattform langsam älter wird. Das liegt zum einen daran, dass unsere „Muser“ der ersten Stunde älter werden. Aber auch daran, dass wir den Content auf der Plattform gezielt verändern. Wir bauen derzeit neue Themen-Schwerpunkte aus, die auch Ältere ansprechen. Dazu gehören vor allem die Bereiche Sport und Beauty.
Strategisch zu altern ist also ein konkretes Ziel?
Wir möchten mit unseren Musern mitwachsen und stets spannend für sie bleiben.
Klingt paradox: Sehr viele Unternehmen versuchen mit aller Kraft eine junge Zielgruppe zu erreichen. Ihr hingegen habt das gegenteilige Problem. Was macht ihr anders?
Wir bieten jungen Menschen die Möglichkeit, sich über ihre Talente und nicht nur über ihre Person auszudrücken. Der Fokus liegt also nicht auf der Selbstdarstellung, sondern den Ausdruck der eigenen Kreativität. So verbinden wir Menschen, die dieselben Interessen haben. Und das ist die Zukunft: Wir müssen weg von der reinen Personifizierung, hin zum Gemeinschaftsgefühl, zu echten Communities, die mehr verbindet als nur die Plattform auf der sie aktiv sind. Klar ist: Wer eine junge Zielgruppe erreichen möchte, muss deren Interessen in den Mittelpunkt stellen – das ist der beste Anknüpfungspunkt für Marken und Unternehmen.
Demzufolge liegt es nahe, dass ihr bald mit Firmen zusammenarbeiten werdet.
Das ist sogar eines unserer Kernziele für die Zukunft. Marken, die auf Influencer-Marketing setzen, müssen sich aktuell selbst auf die Suche machen, um herauszufinden, welche Social-Media-Akteure am besten zu ihnen passen. Diese Aufgabe könnten wir künftig in beratender Funktion übernehmen. Wie dies im Detail abläuft, daran arbeiten wir aktuell noch. Ein wichtiger Schritt, um diesem Ziel näherzukommen, war sicherlich die kürzliche Fusion mit dem Unternehmen Bytedance aus China. Bytedance ist bekannt für künstlicher Intelligenz und hilft uns zu verstehen, was die Muser wirklich interessiert. Davon profitieren in der Folge auch die Brands, die bei uns aktiv sind oder sein möchten.
Können Sie den Vorteil für Marken bitte genauer erklären?
Durch künstliche Intelligenz können wir das größtmögliche Engagement zwischen Marke und Muser erreichen. Wer Hundefutter verkauft, erscheint nur im Feed eines Hundebesitzers – und nirgendwo anders. So stellen wir sicher, dass die richtigen Menschen angesprochen werden. Das ist ja eine der großen Herausforderungen, vor denen Brands und Marketer im Zuge der Digitalisierung stehen. Manche befinden sich da noch auf einem falschen Weg: Aktuell gilt eine hohe Follower- Zahl als höchstes Gut, dabei ist diese Zahl – spätestens seitdem man auf Sozialen Netzwerken Fake-Fans kaufen kann – irrelevant geworden. Ein hohes Engagement in der gewünschten Zielgruppe ist viel wertvoller für Marken und wir werden Unternehmen dabei unterstützen, die Interessen ihrer Kunden besser kennenzulernen, um sie dann zielgerichtet und direkt anzusprechen.
Lukrative Zukunftsmusik: Wie verdient Musical.ly denn schon heute Geld?
Für uns steht aktuell das Wachstum an oberster Stelle. Wir wollen neue Zielgruppen erreichen und dabei helfen unter anderem neue Content-Strategien, die auf künstlicher Intelligenz basieren, und die wir gerade entwickeln.
Mithilfe von künstlicher Intelligenz soll der persönliche Feed nur noch an individuellen Interessen ausgerichtet werden – das klingt nach Filterblase in Reinform.
Nicht unbedingt. Denn wir sind überzeugt, dass es langweilig wird, wenn man nur Videos zu einem Thema vorgesetzt bekommt. Unsere Zielgruppe ist jung, wild, möchte entdecken und inspiriert werden. Daher schlagen wir unseren Musern immer wieder auch Videos vor, die in ihrem Feed noch unterrepräsentiert sind. So stellen wir sicher, dass Communities einerseits wachsen, sich gleichzeitig aber auch nicht komplett von anderen Themen isolieren.
Wie sieht denn ihr eigener Feed aus?
Ich versuche, meine Reisen zu dokumentieren. Deshalb sehe ich wiederum viele Clips aus dem Bereich „Travel“. Unsere Muser sind da deutlich einfallsreicher und innovativer. Luca Pferdmenges wurde zum Beispiel mit seinen Jongliertricks berühmt und Florian Kalusen begeistert mit seinem Können mit dem Fussball.
Innovativ ist ein gutes Stichwort: Social-Media-Plattformen müssen sich ständig weiterentwickeln, sonst gehören sie bald zum alten Eisen. Ihr Unternehmen ist da keine Ausnahme. Ist der ständige Drang nach Innovation in ihren Augen Fluch oder Segen?
Weder noch. Ich halte es für ganz natürlich, dass Menschen nie stehen bleiben. Innovation hat langfristig immer einen Mehrwert für die Menschen, deshalb werden sie immer weiter wollen und Neues schaffen. Online wie offline gleichermaßen.