Ein „wildes, motiviertes Team“, so die Selbstauskunft auf der Website, hat 2019 Wildplastic gegründet. Christian Sigmund, CEO und Mitgründer des Hamburger Start-ups, sagte damals: „Unsere Mission ist es, die Welt von wildem Plastikmüll zu befreien und überall – wo möglich – Post-Consumer-Materialien einzusetzen.“
Das Geschäftsmodell ist schnell erklärt. In Ländern wie Haiti, Nigeria und Ghana, die selbst keine ausreichenden Abfallsysteme haben, lässt Wildplastic wildes Plastik sammeln, das möglichst noch vor Ort recycelt wird. Meistens aber wird der Müll nach Portugal verschifft und dort zu Regranulat verarbeitet. Das wird dann nach Deutschland gebracht, wo Wildplastic daraus neue Produkte herstellt oder direkt mit dem Regranulat handelt. Aktuell macht der Regranulat-Vertrieb rund 50 Prozent der Umsätze aus, die andere Hälfte kommt aus eigenen Produkten, etwa Müllbeuteln, die das Start-up als „Wildbags“ vermarktet. Der Vertrieb der Wildbags läuft je zu einem Drittel über den eigenen Webshop, über Online-Vertriebskanäle sowie den stationären Handel (Edeka und Budni).
Faire Arbeit und fairer Lohn für Müllsammler*innen
Mehr als 150.000 Kilogramm Plastik konnten die Hamburger*innen dadurch bis Ende 2022 aus der Umwelt zurück in den Kreislauf bringen. Und für die Sammler*innen vor Ort versprechen sie Arbeit zu fairen Bedingungen und mit fairer Entlohnung. Im Unternehmenswettbewerb der KfW wurde Wildplastic 2022 für seine „ökologische und soziale Idee“ mit dem Sonderpreis Social Entrepreneurship ausgezeichnet.
So weit, so simpel. Eigentlich. Denn natürlich ist es alles andere als einfach, ein weltweit umspannendes Recyclingmodell für wildes Plastik auf die Beine zu stellen, Kooperationspartner für gemeinsame neue Produkte zu finden und für die eigenen Produkte eine starke Marke und ein breites Vertriebsnetz aufzubauen. Umso beachtlicher, was die Hamburger*innen in knapp vier Jahren geschafft haben. Bislang jedenfalls ist das 17-köpfige Team on track. COO Tim Lampe sagt: „Wir sind nah am Break-even.“ Noch in diesem Jahr wollen die Gründer in die Gewinnzone kommen. Finanziert wird das in sogenanntem Verantwortungseigentum gegründete Start-up unter anderem über Geldgeber*innen ohne Stimmrechtsanteile oder Weiterverkaufsrecht und über Fördergelder. „Außerdem ist unsere Hausbank ein wirklich toller Partner“, sagt Lampe.
Ein wichtiger Treiber für den Erfolg ist die Anfang 2021 geschlossene Kooperation mit der Otto Group, die aus dem Regranulat recycelte Versandtaschen herstellen lässt. Mehrere Millionen Wildplastic-Versandtaschen setzt Otto seither jährlich ein. Karla Jabben, Verpackungsexpertin im Otto-Nachhaltigkeitsteam, sagt: „Unsere Kooperation entwickelt sich sehr zufriedenstellend.“ Zwar hat Otto das seinerzeit öffentlich gesteckte Ziel verfehlt, bis Ende 2022 schon 50 Prozent seiner Versandtaschen auf Wildplastic umzustellen – die schlechte Sicherheitslage in Haiti führte zu massiven Lieferengpässen –, doch inzwischen konnten die Probleme gelöst werden und Otto-Managerin Jabben ist sicher: „Spätestens bis zum Frühsommer sind die 50 Prozent erreicht, wenn nicht überschritten.“ Bis 2030 will Otto klimaneutral sein, da passen die Tüten der Hamburger Plastiksammler*innen natürlich im wahrsten Sinne hervorragend ins Konzept.
Flaschen und Möbel sollen die nächsten Produkte werden
Aber auch für Wildplastic ist Otto ein Glücksgriff. Der Konzern macht – derzeit noch – einen „sehr hohen Umsatzanteil“ des Start-ups aus. Außerdem verschafft er Wildplastic und seiner Mission eine größere Reichweite. Vor allem Letzteres brauchen die Hamburger*innen, um auch mit weiteren eigenen Produkten wachsen zu können. Derzeit laufen Tests für weitere Folienprodukte sowie für Flaschen und Möbel. „Bisher hatten wir alle Hände voll zu tun, genug Material zu bekommen. Dies ändert sich gerade, sodass wir nun auch neuen Anfragen nachgehen können“, sagt COO Lampe. Bis zum Sommer sollen zwei bis drei neue Namen spruchreif sein.
Und was ist für 2023 sonst noch in Planung? Neben dem Break-even und der Stabilisierung der Liefernetze steht der Ausbau von Kommunikation und Vertriebsnetz im Fokus. Denn noch ist Wildplastic hauptsächlich im Norden Deutschlands bekannt. COO Lampe: „Der Schlüssel liegt für uns in einer guten Kommunikation. Wenn die Leute verstehen, warum unsere Rolle Müllbeutel ein bis zwei Euro teurer ist als herkömmliche Müllbeutel, gibt es sehr viele, die sich sehr gerne für Wildplastic entscheiden – trotz Inflation.“ Was ihnen als jungem Start-up dafür aktuell am meisten fehle, seien „die Ressourcen, um mit weiteren Partnern eine Erfolgsgeschichte zu schreiben“.