Von Norbert Dube
In einer europäischen Studie untersuchte TNS Infratest im vergangenen Jahr die Einstellungen der Verbraucher hinsichtlich einer Reihe von Medien und Kontaktpunkten mit Marken. In Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, Großbritannien und Russland wurden jeweils 1 000 Verbraucher online unter anderem dazu befragt, in welchen Medien Werbung besonders „nervt“. Und das – vielleicht nicht einmal sehr überraschende – Ergebnis weist Werbung im Internet als besonders penetrant aus: Der „Nervfaktor“ ist nur bei Telefonanrufen zu Marketingzwecken noch höher, aber Werbung in klassischen Medien wie im Fernsehen oder in Zeitschriften wird als bei Weitem weniger störend empfunden. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Je stärker Werbung in eine bewusst konzentrierte Beschäftigung eingreift, desto größer ist der subjektive Ärger, den sie damit verursacht. Dass Werbung im Fernsehen viel weniger stört, hat auch damit zu tun, dass wir die gewohnten Abläufe kennen, dass wir uns – soweit wir uns den Konsum privater Fernsehkanäle zumuten – dem Werberhythmus anpassen und ihn nutzen: um Dringendes zu erledigen, zum Beispiel.
In der weltweit wohl umfangreichsten Untersuchung zum Verhalten im Internet, „Digital Life“, hat TNS Infratest 48 000 Internetnutzer (User) in 46 Ländern der Erde online befragt. Die Studie repräsentiert 88 Prozent der globalen Internetbevölkerung. Danach kann Werbung im Web in Abhängigkeit von der jeweiligen Aktivität als unerwünscht empfunden werden. Mischen sich Marken etwa ein, während im Internet gespielt wird, empfinden dies 26 Prozent aller Befragten weltweit als sehr störend. Sind sie aber auf Shoppingtour im Internet, fühlen sich nur 15 Prozent genervt.
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass circa jeder Fünfte Markenkommunikation im Internet als störend empfindet. Dies ist von Land zu Land sowie von Region zu Region durchaus verschieden. Die Reaktanzgefahr, dass unterbrechende Werbung also sogar einen negativen Effekt auf die Marke hat, ist in Deutschland jedoch noch einmal klar größer als im globalen Durchschnitt.
An dieser Stelle ergibt sich eine neue Frage für das Marketing und die Marktforschung, nämlich die Ermittlung eines „Reaktionssaldos“ aus positivem und negativem Einf luss (Impact) der Werbung. Diesen Saldo zu ermitteln wäre auch für die klassischen Medien interessant. Im Internet besteht allerdings erstmals die Möglichkeit, uns durch beobachtende (Mess-)Verfahren, die mit Befragungen kombiniert und ergänzt werden, einen Eindruck von dieser Seite der Reaktion auf Werbung machen zu können. Einen solchen Saldo zu ermitteln und damit die Leistung einer Werbekampagne zu beurteilen ist etwas vollkommen Neues und ein höchst spannender Maßstab für die Bewertung der Werbeperformance.
Mit Gegenüberstellungen in die Offensive gehen und punkten: Durch die Onlineplattform www.mineralienrechner.de ermöglicht Gerolsteiner Verbrauchern, Tatsachen bezüglich Inhaltsstoffen ins Auge zu sehen.
Angerichtet haben den beobachteten Imageschaden im Wesentlichen das Banner als „klassische“ Erscheinungsform von Werbung im Internet und seine penetrante Zudringlichkeit, denn es kommt fast durchweg als Störer daher. Von geradezu erstaunlicher Naivität mutet es daher an, dass in einem deutschen Blog (www.web-ideas.de) am 1. Februar 2011 eine sogenannte Infografik veröffentlicht wurde, in der ein Boxkampf zwischen den Medien Fernsehen und Internet ausgetragen wird. Das Internet siegt in drei von vier Runden − in einer Runde deshalb, weil es verschiedenere Werbeformen aufweist als das TV. Gegenüber vier Fernseh- werden neun Internetwerbeformen aufgelistet, von denen mindestens sechs als Störer fungieren. Dazu zählen etwa so grandiose Werbeformen wie das „Trick Banner“: „ein Banner, das eine Fehlermeldung oder Warnung simuliert“. Dass Ärger mit dieser Art von Werbung programmiert ist, bedarf keiner weiteren Diskussion.
Gerne wird darauf hingewiesen, dass Internetwerbung besser wirke, weil durch immer ausgefeiltere Methoden des Targetings nur die Werbung den User erreicht, die für ihn Relevanz besitzt (siehe: „Financial Times Deutschland“, Sonderbeilage vom 12.10.2010, „Siegeszug einer Präzisionsmaschine“). Problematisch daran ist aber, dass nicht prediktive Targetingverfahren zunächst einmal internetspezifische Verfahren der Mediaplanung sind. Zwar haben sie zum Ziel, die Werbewirkung zu erhöhen, weisen dies jedoch nicht nach. Zum Beispiel ist die Relevanz von Autowerbung vor allem von Faktoren wie der aktuellen Kaufabsicht, dem Stand des Entscheidungszyklus und der Marke abhängig, die gerade gefahren wird. Diese Faktoren werden in der Mediaplanung (auch in klassischen Medien) nicht berücksichtigt.
Ein Klick erzählt eben nicht die ganze Geschichte: Einstellungen, Bedürfnisse und Motivationen zu erkennen und zu bewerten wird von entscheidender Wichtigkeit bleiben. Die Möglichkeiten, im Internet festzustellen, welche Anzeige User auf eine bestimmte Seite gebracht haben, sind faszinierend, dienen vornehmlich aber den Interessen der Vermarkter, die − indem Klicks gezählt werden − nun eine Art „rationaler“ Grundlage zur Bewertung des Werbeerfolgs haben. Diese Ermittlung von „Effizienz“ unterliegt der im Mediabereich verbreiteten und wohl schon klassisch zu nennenden Verwechslung von Werbekontakt mit Werbewirkung. Mit anderen Worten: Der Virilität der Internetwerbung, die zweifelsfrei gegeben ist, steht eine Fertilität gegenüber, die weitgehend unbekannt ist.
In diesem Zusammenhang verwundert auch die Tatsache, dass Marketingfachleute oft auf sogenannte Wirkungsstudien der Vermarkter zurückgreifen, um den Erfolg ihrer Onlinewerbeinvestition nachzuweisen. Diese Studien werden von den Vermarktern eigenständig durchgeführt und kostenfrei angeboten. Es erstaunt nicht minder, dass diese „Pro-domo-Untersuchungen“, die häufig einfachste Regeln der Marktforschung nicht beachten, für bare Münze genommen werden. Noch weniger erstaunt allerdings die Tatsache, dass diese Studien stets positive „Wirkungsnachweise“ liefern. Marktforschung tut not, um die Effizienz von Internetwerbung nachzuweisen, sollte aber unabhängig betrieben werden und den Regeln der wissenschaftlichen Zunft folgen. Entsprechende Studien zeichnen in vielen Fällen nämlich ein anderes, weitaus differenzierteres Bild.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Selbstverständlich wirkt Werbung auch im Internet. Es besteht derzeit nur kein Anlass zu glauben, dass der Wirkungsgrad im Internet wesentlich höher ist als in anderen Medien. Überhaupt ist die isolierte Betrachtung einer Kampagnenwirkung immer dann unangebracht, wenn mehr als ein Medium im Spiel ist. Es erscheint bemerkenswert, dass die Diskussion um die
effektive Budgetallokation gerne als Kampf zwischen den Medien inszeniert wird. Offensichtlich hat es sich immer noch nicht hinreichend herumgesprochen, dass Werbekampagnen, die auf mehr als ein Medium setzen, in der Regel einen besseren Wirkungsgrad aufweisen als monomediale Kampagnen. Bereits vor mehr als zehn Jahren konnte eine Studie der Marktforschung des Axel Springer Verlags eindrucksvoll nachweisen, dass „Multiplying-Effekte“ vorliegen, wenn Kampagnen die spezifischen Kommunikationsbedingungen verschiedener Medien kreativ nutzen (siehe hierzu: Der Multiplying-Effekt, Axel Springer Verlag, 1999). Und genau an dieser Stelle erscheint die heutige Internetwerbung noch weit entfernt von ihren Möglichkeiten.
Notwendig sind Werbemittel, die das Internet in seinen spezifischen Möglichkeiten nutzen. Um ein positives Beispiel
zu nennen: Die aktuelle Kampagne der Mineralwassermarke Gerolsteiner dekliniert die Kernaussage, Gerolsteiner sei das beste Mineralwasser, in den eingesetzten Medien Fernsehen, Print, Plakat und Internet durch. TV wird dabei als Basismedium verstanden, das vornehmlich eine Einstimmung auf die Marke und eine entsprechende Emotionalisierung leistet, Print und Plakat ergänzen diese Botschaft durch relevante Informationen zum Thema Mineralisierung sowie Geschmack und zeigen, warum es auf die richtigen Mineralien ankommt. Das Internet übernimmt nun die kompetitive Seite der Kampagne: Durch Bewegtbildteaser werden die Nutzer auf die Seite www.mineralienrechner.de geführt, auf der alle in Deutschland erhältlichen Mineralwässer verglichen werden können. So ergänzen und vervollständigen die eingesetzten Medien die Kernbotschaft der Marke und übernehmen jeweils die Aufgabe, die sie am besten können.
Bislang nicht hinreichend untersucht sind die Multiplying- Effekte, die sich aus dem Zusammenspiel klassischer Medien und dem Internet ergeben. Diesen Effekten nehmen wir uns in der Marktforschung derzeit an, sodass recht bald mit aussagekräftigen Ergebnissen zu rechnen sein sollte, die den Beitrag von Internetwerbung in ihrer Interaktion mit TV und Print genauer bestimmen. Es scheint jedoch, als müsse „Netzkreativität“ von den kreativen Werbern erst noch entdeckt werden. Welches Licht wirft es denn auf den gelobten Werbeträger, wenn man ihn zum Großteil mit Werbung bestückt, die für die Stärken anderer Werbeträger konzipiert sind?
In keinem Land der Welt wird Markenwerbung im Internet so stark abgelehnt wie in Indien. Der „Digital Life“-Studie zufolge verschmähen im Schnitt mehr als 60 Prozent der Inder eine Begegnung mit Marken. Selbst wenn sie im Netz shoppen, akzeptieren nur 20 Prozent der Inder Werbung, während 42 Prozent sie ablehnen. Gleichwohl gilt auch hier: Nutzt eine Kampagne das Internet richtig, schöpft sie seine Möglichkeiten aus, kommt es zu erfolgreicher Markenkommunikation. Gillette wandte sich mit der Kampagne „Shave India Movement“ an Frauen und erreichte einen überwältigenden Erfolg. Der Kampagne gelang es, Agendasetting zu betreiben. Im Internet stimmten die indischen Frauen folglich darüber ab, ob es für den indischen Mann wichtig ist, rasiert zu sein: Der Absatz des Rasierers stieg um 38 Prozent. „Gewusst wie“ − darum geht es.
Die „Stars“ unter den Internetkampagnen kennt jeder, aber für die Masse sind Erfolg und Effizienz erst einmal nachzuweisen. Hierzu bedarf es eines ausgefeilten Marktforschungsinstrumentariums, das in Teilen vorhanden ist, aber noch verfeinert werden muss. Die Reichweiten der Websites können keinen Vergleich mit den klassischen Medien aufnehmen (siehe AGOF, Internetfacts, Dezember 2010). Das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht grundlegend ändern, doch lässt sich das Problem mit intelligenten Methoden des Targetings zum Teil auffangen.
Praxistipp: 1. Reaktanzen im Netz vorbeugen: Schalten Sie Werbung im Internet eher bei Shopping- als bei Spieleportalen. 2. Kontakt bedeutet keine Wirkung: Verlängern Sie TV- oder Printkampagnen nicht unverändert ins Netz. 3. „Netzkreativität“ ist gefragt: Interagieren Sie medial mit Kunden. 4. Reaktanzüberwindung möglich: Initiieren Sie ein Agendasetting. |
Über den Autor: Norbert Dube ist Account Director im Servicecenter Brand & Communication im Sektor Consumer & Retail bei der TNS Infratest GmbH in Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Werbewirkungsforschung, Werbetracking und Markenforschung. Kontakt: norbert.dube@tns-infratest.com