Die Zeiten, in denen ein hohes Gehalt und ein schicker Firmenwagen ausreichten, um die besten Köpfe anzulocken, sind vorbei. Heute legen Bewerber*innen deutlich mehr Wert auf Aspekte, die über materielle Vorteile hinausgehen. Flexibilität steht dabei ganz oben auf der Liste. Arbeitsmodelle, die Homeoffice ermöglichen und eine freie Zeiteinteilung erlauben, sind für viele inzwischen ein Muss.
Doch mitunter treibt die Entwicklung bunte Blüten. So gingen kürzlich die „Null-Bock-Tage“ viral. Ein Berliner Start-up hatte publik gemacht, dass seine Mitarbeitenden Anspruch auf sogenannte Null-Bock-Tage haben – soll heißen: Wer keine Lust zum Arbeiten hat, bleibt zu Hause. Die Produktivität wäre an solchen Tagen ohnehin zu niedrig. Sieht so die schöne neue Arbeitswelt aus?
Aus Sicht von Stefan Scheller, HR-Manager und Influencer auf Persoblogger.de, hat dies wenig mit New Work zu tun. Themen, die in den Bereich Feelgood, Wellbeing, Arbeitserleichterung, Zeitreduktion oder Leistungsminderung fallen, werden gern als „New Work“ abgestempelt. Laut Scheller wird der Begriff dabei aber inhaltlich extrem verkürzt und falsch aufgeladen. „New Work ist in erster Linie ein Konzept, um die Arbeit besser zu machen, nicht ein Konzept, das das Wohlfühlen der Mitarbeitenden über das Interesse des Arbeitgebers nach Arbeitsergebnissen und Leistung stellt. Insofern ist New Work weiterhin ‚Work‘ und nicht gleichzusetzen mit ‚No Work‘ oder ‚Weniger Work‘“, so der HR-Experte.
Flexibilität ist wichtig, als Dogma ist sie kontraproduktiv
Auch Ursula Vranken, Gründerin und Managing Director des IPA – Institut für Personalentwicklung & Arbeitsorganisation, sieht diese Art der „Flexibilität“ kritisch. „Null Bock ist kein Konzept“, sagt die C-Level-Beraterin und verweist auf einen Fall aus ihrer Beratungspraxis, als sich ein Frankfurter Software-Entwickler weigerte, vor 11:30 Uhr seinen Kunden zu treffen, der extra aus München angereist war. Die Idee des Spätaufstehers: Um die Zeit bis zum Treffen zu überbrücken, könne der Kunde doch eine Stadtbesichtigung machen. Der Projektleiter war machtlos, weil er den Mitarbeiter nicht einbestellen konnte, und das eigene Team frustriert, da es um ihn herumplanen musste. „Flexibilität darf nicht zum Dogma werden“, warnt die Expertin.
Die meisten Firmen sind bereits sehr flexibel und räumen ihren Mitarbeiter*innen viele Freiheiten ein, beispielsweise Gleitzeitarbeit, die Möglichkeit, sich drei Tage ohne Arztbesuch krankschreiben zu lassen, oder spontan Gleitzeittage aus dem Arbeitszeitkonto zu übernehmen. „Wir brauchen diese Flexibilisierung der Arbeitszeiten“, sagt Vranken und verweist beispielhaft auf die Herausforderung der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen.
Die Expertin geht davon aus, dass Unternehmen künftig sogar noch stärker gezwungen sein werden, über Flexibilisierungsangebote nachzudenken, um für Bewerber*innen attraktiv zu bleiben. „Hier muss auch der Gesetzgeber mitdenken“, sagt Vranken. Beispielsweise würde eine Verlängerung der zulässigen Arbeitszeit pro Tag den Firmen mehr Spielraum für flexible Arbeitszeitmodelle geben. So könne man noch besser auf die individuellen Arbeitszeit-Wünsche der Mitarbeitenden eingehen.
Mitarbeitende wollen sich weiterentwickeln
Flexibilität ist Angestellten wichtig. Gleichzeitig rückt zunehmend die Sinnstiftung einer Tätigkeit in den Fokus. Arbeitnehmer*innen suchen nach einem Job, der nicht nur ihre Fähigkeiten fordert und sich mit ihrem Lebensentwurf vereinbaren lässt, sondern auch gesellschaftlichen Mehrwert schafft. Unternehmen, die klare Werte vertreten und diese sichtbar leben – sei es durch Nachhaltigkeitsinitiativen oder soziales Engagement – sprechen diese Zielgruppe besonders an.
Einmal im Wunschunternehmen oder in der Lieblingsagentur angekommen, ist für die Mitarbeiter*innen die Job-Reise aber noch lange nicht zu Ende. „Heutige Bewerber wissen, dass es seitens der Unternehmen keine lebenslange Loyalität gibt. Entsprechend wollen sie die Zeit auch dazu nutzen, sich weiterzuentwickeln“, so Vranken. Weiterbildung und Mentoring werden von Bewerber*innen – aber auch von der bestehenden Belegschaft – daher nicht als Boni, sondern als grundlegende Angebote erwartet. Ebenso gehört eine moderne Arbeitsumgebung zur Basis: digitale Tools, ergonomische Möbel, ansprechende Büros und eine technische Ausstattung für Remote Work sind längst keine Extras mehr, sondern Standards – insbesondere in Marketingorganisationen und Agenturen, die Trends naturgemäß sehr früh aufgreifen, müssen sie dazugehören.
Selbstbestimmtes Arbeiten ist ein zentraler Wunsch
Doch mitunter prallen die Ansprüche an die neue Arbeitswelt auf traditionelle Strukturen und Denkweisen. Für viele Unternehmen bedeuten solche Veränderungen einen erheblichen Umbruch. Insbesondere in Organisationen mit festen Hierarchien und etablierten Prozessen ist der Wandel hin zu mehr Flexibilität und Agilität keine leichte Aufgabe. Die immer schnelleren Veränderungen der Arbeitswelt bringen es zudem mit sich, dass Verantwortlichkeiten besser verteilt werden müssen.
„Nicht nur die Gen Z, auch ältere Generationen legen heute großen Wert auf selbstbestimmtes Arbeiten“, erklärt Juliana Danner, HR-Beraterin für Neues Arbeiten und Employer Branding. Davon profitieren beide Seiten: Mitarbeitende übernehmen Verantwortung, während Führungskräfte entlastet werden. „Idealerweise arbeiten Teams so flexibel und eigenständig wie Selbstständige – nur innerhalb eines Unternehmens“, so Danner. Entscheidend sei dabei nicht, wann Aufgaben erledigt werden, sondern dass das Ergebnis stimmt. Wichtig ist, den Mitarbeitenden Vertrauen zu schenken und sie bei Bedarf zu unterstützen, zum Beispiel durch Schulungen für selbstorganisiertes Arbeiten.
Individuelle Benefits statt Gießkannen-Boni
Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen, Weiterentwicklungsmöglichkeiten und dem Wunsch nach selbstbestimmten Arbeiten erwarten Arbeitnehmer*innen heute, dass sich die Karrieremodelle an ihre Lebensphasen jederzeit anpassen lassen – von flexiblen Teilzeitlösungen für junge Eltern bis hin zu gleitenden Übergängen in den Ruhestand. Wer jung ist, möchte unter Umständen schnell Karriere machen, manch anderer legt großen Wert auf Freizeit und mitunter sind auch Bonuszahlungen ein Benefit, das Mitarbeitende zu Höchstleistungen motiviert. „Individuell angepasste Benefits sind essenziell für modernes Arbeiten“, erklärt Danner. Nur so lassen sich die vielfältigen Erwartungen und Lebensmodelle der Mitarbeitenden berücksichtigen. In der Praxis bewähren sich flexible und vielfältige Maßnahmen, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden in der heutigen Arbeitswelt gerecht werden.
Wertschätzende Führung ist wichtig
Der Wandel hin zu New Work ist somit keine leichte Aufgabe. Doch dabei geht es nie darum, alle Aspekte von New Work zu implementieren, sondern jene auswählen, die zur jeweiligen Unternehmenskultur, Branche, Unternehmensgröße und auch den Mitarbeitenden passen. Eine schrittweise Einführung mit regelmäßigen Feedback-Schleifen hilft, die richtige Balance zu finden. Wichtig ist, dass die eingeführten Maßnahmen nicht nur gut gemeint, sondern auch in die Praxis umsetzbar sind. Führungskräfte müssen den Wandel aktiv vorantreiben, wertebasiert führen und nicht zuletzt jede Neueinstellung auf diese Werte prüfen. Das lohnt sich, denn Unternehmen, die Erwartungen der Arbeitnehmenden verstehen und ernst nehmen, profitieren von zufriedeneren und engagierteren Mitarbeiter*innen.
„Mitarbeiter wollen wertgeschätzt werden und möchten sich nicht ausgenutzt oder dauerhaft gestresst fühlen“, betont Scheller. Keine oder geringe Karriereaussichten, zeitlicher Druck oder Überforderung, ungesunde Arbeitsumgebungen, die Arbeitsleistung behindernde Prozesse oder eine nicht wertschätzende Führung: Das und vieles mehr könne solchen Stress auslösen. „Erwartet wird, dass genau das nicht passiert“, sagt Scheller.