„Cross-Channel-Integration“, „Seamless Shopping“ oder „Unified Commerce“: Ständig tauchen im Handel neue Begriffe auf, die den Wandel bringen sollen. Einzelhändler stecken im kanalzentrierten Denken und den damit verbundenen Organisationsstrukturen fest. Die Idee des Omnichannel-Einzelhandels zwingt den Kunden physisch wie digital dazu, an der Organisationsstruktur ausgerichtete Einkaufswege zu beschreiten. So sollen Ergebnisse gemessen und quantifiziert werden. Das E-Commerce-Team protokolliert die wichtigsten Online-Leistungsindikatoren. Das Store-Retail-Team die des stationären Handels. Jede Gruppe wird am Erfolg ihres Kanals gemessen.
Führt der Einzelhändler beide KPIs zusammen, erhält er etwas wie den Kundenwert auf Lebenszeit, so Verfechter des sogenannten „Harmonic Retail“. Nach diesem Modell muss sich die Rolle des stationären Geschäfts weiterentwickeln, um in der Kundenbeziehung eine unterstützende und nicht die Hauptrolle zu spielen. Es wird zum Ort der Dienstleistung, wenn der Kunde sie benötigt. Der Trend setzt darauf, dass der stationäre Handel Marken unterstützt. Damit wandelt Harmonic Retail das derzeitig dominierende Einzelhandelsmodell um, das im Geschäft beginnt und mit E-Commerce weitergeführt wird. Das neue Modell basiert auf E-Commerce als ersten Kontaktpunkt. Alle anderen Marken-Touchpoints unterstützen den Kunden, unabhängig davon, wie und wo er seine Kaufentscheidung trifft. Der stationäre Handel, mobile Apps, E-Mail, soziale Medien und Printwerbung sollen ein maximal harmonisches Marken- und Einkaufserlebnis schaffen.
Kunden suchen weiter nach menschlicher Verbindung
Der Ansatz erfordert ein neues Design für stationäre Geschäfte. Diese sind trotz des E-Commerce-Wachstums – wenn auch nicht mehr als Ausgangspunkt der Kundenerfahrung – noch der relevanteste Teil für Umsätze im Einzelhandel. Zudem kurbeln sie das Onlinegeschäft an. Wenn ein Laden eröffnet wird, steigt der Online-Umsatz in der Umgebung um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent. Zudem suchen Konsumenten, die von digitalen Geschichten umgeben sind, immer noch nach menschlicher Verbindung. Der soziale Aspekt bleibt etwas Einzigartiges im Einkaufserlebnis des Kunden. Effektives Store-Design ist dabei ein wesentlicher Baustein für eine enge Kundenbeziehung. Design berührt jeden Aspekt des Kauferlebnisses. Es erzählt die Marken- und Produktgeschichte, bindet und unterhält Kunden.
Als Vorzeigebeispiel für die Harmonisierung des Handels gilt Target. Gemeinsam mit der Design-Firma Harbor Retail hat der US-amerikanische Discounter kontinuierlich in die Design- und Markenstory „billig und schick“ investiert. Diese bildet das Bedürfnis der Kunden nach einem erschwinglichen Preis genauso ab wie ihren Wunsch, modisch zu bleiben. Target will mit seinem Shop-Design die vermeintlichen Gegensätze Komfort und Schnelligkeit auf der einen Seite und die Möglichkeit zum Bummeln und inspirieren lassen auf der anderen Seite vereinen.
Target begleitet Kunden durch alle Kanäle hindurch
Die Herausforderung besteht darin, dass dieses im Sinne des Harmonic Retail für den Kunden als schlüssiges Erlebnis umgesetzt wird. Dafür haben die Amerikaner besonders auf zwei Dinge geachtet: Sie haben zunächst alle Alternativen, auf die Verbraucher Zugriff haben, in den Blick genommen. Warum verweilen Kunden genau in diesen Geschäften oder klicken online auf ein Produkt? Um beispielsweise Internet-Kunden anzusprechen, hat Target dann darauf geachtet, seine Regale mit Internet-First-Marken zu füllen. Als zweites stellt Target den Kontext über den Inhalt. Zu diesem Zweck tritt der Händler immer neu an den Kunden heran, um seine Sichtbarkeit zu erhöhen. Dazu gehören ein neues, urbanes Ladenkonzept, neue Verkaufsformate, das Liefern von Waren nach Hause oder an bestimmte öffentliche Orte sowie Kooperationen.
Target erkennt die Unterschiede und Vorteile der einzelnen Kanäle und setzt darauf, den Kunden durch alle Kanäle hindurch zu begleiten. So zählen beispielsweise schwangere Frauen zu den Hauptkunden in den Babyabteilungen der stationären Läden. Nach der Geburt kaufen die Kunden allerdings online ein. Die Kauferfahrungen sind unterschiedlich, die Produkte mitunter auch. Entscheidend muss sein, dass der Kunde weiß, dass es sich um Target handelt. Zudem liegt ein klarer Fokus auf dem Alleinstellungsmerkmal des stationären Handels: Geschulte Mitarbeiter, die unmittelbar und sachkundig beraten. Wenn es auf der einen Seite Selbst-Check-Out-Terminals gibt, an denen Kunden möglichst schnell zahlen können, werden herkömmliche Kassen zu Serviceschaltern. Bei Target sollen Kunden dort online bestellte Produkte abholen, Waren ausprobieren können, Dinge zurückgeben, Fragen stellen und sich beraten lassen. Die Harmonie all dieser Elemente soll zu einer wahrhaften Customer Journey führen, die Kunden dazu inspirieren kann, die Markengeschichte mit anderen zu teilen. Dies ist der Kern und Ziel des Harmonic Retail.