Wie sich die professionelle Marktforschung zwischen Big Data und Do-it-yourself-Umfragen positioniert

Dank digitaler Technik und globaler Vernetzung gibt es heute so viele Daten wie nie. Zwischen Big Data und Do-it-yourself-Erhebungen einerseits und dem Anspruch an Qualität, Repräsentativität und Aussagekraft von Studien andererseits muss die professionelle Marktforschung ihren Platz behaupten.
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Von Roland Karle

Die Wunden des Krisenjahrs 2009 sind verheilt. Damals musste die wachstumsverwöhnte Marktforschungsbranche einen Umsatzrückgang hinnehmen. Das Minus von (0,6 Prozent) fällt deutlich höher aus (–3,1 Prozent), bleiben durch Akquisitionen bedingte Steigerungen außen vor. In den folgenden Jahren meldeten die 25 weltweit größten Anbieter, auf die sich die Zahlen beziehen, wieder Zuwächse von 6,0 (2010) und 5,7 Prozent (2011). Kumuliert ergibt sich ein Umsatz von 18,7 Milliarden US-Dollar für 2011. Dabei erwirtschaftete im Schnitt jedes Marktforschungsunternehmen 55 Prozent seiner Erlöse im Ausland. Tendenziell gilt: Je größer der Gesamtumsatz, desto höher auch der Auslandsanteil. Auch auf den mit Abstand größten deutschen Marktforscher, die Nürnberger GfK Gruppe, trifft das zu. Nahezu drei Viertel seines Umsatzes stammen aus Geschäften außerhalb des Stammlandes. Zwar ist die GfK bereits in über 100 Ländern präsent, der seit knapp einem Jahr amtierende Vorstandschef Matthias Hartmann gibt sich damit aber nicht zufrieden: „In einigen Regionen sind wir noch nicht so stark, wie wir sein könnten.“ Also will die Firma globaler werden, international mehr Kunden und größere Budgets gewinnen. Konkret: Die GfK soll laut Hartmann mittelfristig jedes Jahr um neun Prozent wachsen.

So viele Infofrmationen wie noch nie

Damit läge sie deutlich über der Prognose des internationalen Marktforschungsverbands ESOMAR, der von einem weltweiten Umsatz von jährlich rund drei Prozent ausgeht. Die Marktforschung kann durchaus zu den Gewinnern des wirtschaftlichen Wandels werden: Der Umbruch in den Medien, die fortschreitende Digitalisierung von Kommunikation und Konsum, das rasche Innovationstempo in reifen Märkten und das Wachstum großer Volkswirtschaften wie der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) könnten das Geschäft der Marktforscher befeuern. Hinzu kommt, dass so viele Informationen wie noch nie angeschwemmt werden – mit den Datenfluten müssen Unternehmen zurechtkommen, dazu
brauchen sie professionelle Hilfe. „Marktforscher sind und bleiben prädestiniert dafür, existierende Datenquellen zu kennen, Qualität, Relevanz und
Aussagekraft von Daten für ihre Kunden zu bewerten“, sagt TNS-Infratest-Geschäftsführer Hartmut Scheffler.

Onlinemarktforschung als Milliardengeschäft

Die Digitalisierung ermöglicht Messungen in Echtzeit, Marktforschung wird schneller und günstiger. Abgesehen davon, dass beispielsweise für das Erforschen von Motiven und Einstellungen gerade nicht zu zeitnah gemessen werden darf, birgt der Reiz des raschen Resultats manches Risiko. Vor allem, wenn man sich auf Do-it-yourself-Maßnahmen einlässt. Dann beeinträchtigen nur allzu leicht handwerkliche Fehler, Datenschutzverletzungen, fehlerhafte Stichproben, nicht valide Fragen und unzureichende Auswertungen das Ergebnis. „Aber nur richtige Daten sind auch wichtige Daten“, betont Scheffler.
Onlinemarktforschung ist derweil zu einem Milliardengeschäft geworden. Weltweit wurde 2011 damit ein Umsatz von 5,3 Milliarden US-Dollar und gegenüber dem Vorjahr ein Zuwachs von 17 Prozent erzielt. Die Erlöse der neuen Instrumente der Onlineforschung, zu denen Social Media und World of Mouth, proprietäre Panels und Trafficmessung gehören, haben sogar um ein Drittel und erneut deutlich stärker zugelegt als die der traditionellen Onlineforschung. Hierzu werden im Digitalen eingesetzte konventionelle Tests aus Konzept-, Produkt- und Werbeforschung sowie Usability-Tests gezählt. Für dieses Jahr erwartet ESOMAR insgesamt ein Plus von acht Prozent, bei den neuen Instrumenten eine Zunahme um 20 Prozent.

Potenzial von Social Media in der Konsumentenforschung noch nicht ausgeschöpft

Das digitale Abbild von Verbrauchern und Märkten zu entwerfen, ist so verlockend wie fahrlässig. „Äußerungen und Artikel einer datentrunkenen
Hypegemeinde lassen befürchten, dass nur bewertet wird, was sich auch messen lässt“, kritisiert Scheff ler. „Es ist gefährlich, wenn Marktforschung, Marketing und Markenführung von Halbwissen gesteuert werden.“
Vor Euphorie wird also gewarnt – das betrifft auch Social Media. Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom nutzen 47 Prozent von 723 befragten Unternehmen entsprechende Kanäle wie Facebook, Twitter, Unternehmens- oder Mitarbeiter-Blogs, weitere 15 Prozent planen es. Knapp ein Drittel beabsichtigt, das Social Web auch für Marktforschung und -beobachtung einzusetzen. Michael Hofsäss findet, dass Unternehmen
zunehmend die digitalen Sozialnetzwerke richtig betrachten, einordnen und strategisch einsetzen. Das Potenzial für die Konsumentenforschung werde jedoch noch nicht ausgeschöpft, sagt der Research Partner von Universal McCann. „Vor allem die Datenqualität ist hier ein Problem.“ Zwischen dem´technisch Machbaren und dem konkret Genutzten liegen oft Welten. Das zeige sich auch bei QR-Codes und Augmented Reality, die inzwischen bei vielen visuellen klassischen Werbemitteln integriert werden und die theoretisch etwa 20 Prozent der Konsumenten mit ihrem Smartphone nutzen könnten. „Die Maßnahmen halten den in sie gesetzten Erwartungen oft nicht stand. Werbungtreibende sind dann von den verschwindend geringen Responseraten ernüchtert“, berichtet Hofsäss. Hingegen werde von Marketingverantwortlichen die Wirkung von Onlinekampagnen für Branding-Ziele bisweilen massiv unterschätzt.

Für die Marktforschung seien die webbasierten Möglichkeiten eine Ergänzung und Bereicherung, betont Scheffler. Er bedauert allerdings, dass die verschiedenen Verfahren der alten und der neuen Welt noch zu oft nebeneinander statt integriert angewendet werden. „Da wünschte ich mir auch von Auftraggeberseite mehr Mut zu ,Trial and Error‘ – und mehr Druck auf die Branche zur intelligenten Verknüpfung.“