44 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, ein selbstfahrendes Auto zu kaufen. Das trifft sich gut, denn Deutschland ist weltweit führend, glaubt man den Markt- und Industriebedingungen für autonomes Fahren – und Statista. Der Trend hin zum selbstfahrenden Fahrzeug ist aber nicht nur auf Deutschland beschränkt. Die Stadt London bietet sich offiziell als Testfeld für die automatisierten Vehikel an. Es gibt Anzeichen, dass Apple und die Muttergesellschaft von Google, Alphabet, dabei sind, Immobilien für die Produktion ihrer geplanten selbstfahrenden Autos zu kaufen. Inzwischen testet Uber diese Fahrzeuge schon. Die meisten Menschen sind überzeugt, dass die automatisierten PKWs zuallererst die Autoindustrie umkrempeln werden. Falsch gedacht!
Wer sein Auto nicht mehr selbst steuern muss, hat mehr Zeit für Medienkonsum – und Werbung
Obwohl es wahrscheinlich noch 20 Jahre oder mehr dauert, bevor selbstfahrende Autos zum Alltag auf den Straßen gehören, sollten wir uns bewusst machen, dass insbesondere Google nicht nur zum Spaß viele Ressourcen, Zeit und Milliarden an Vermögen in die Entwicklung selbstfahrender Autos investiert. Google macht dies, weil es ein Werbeunternehmen ist. Und ein Unternehmen, das Menschen von der aktiven Fahrt befreit, ermöglicht den ehemaligen Fahrern während dieser Zeit Zugang zu mehr Werbung.
Die durchschnittliche Pendeldauer beträgt in Deutschland etwa 45 Minuten pro Tag. 8,5 Millionen Beschäftigte sind Tag für Tag länger als eine Stunde lang zwischen ihrem Wohnort und dem Arbeitsplatz unterwegs. Diese Zeit sparen zu können, bedeutet einen deutlichen Schub für Google – und für den Rest der mobilen Ad-Industrie und Marketingbranche.
Das letzte Keuchen des Radios
Es ist allgemein bekannt, dass Streaming-Anwendungen wie Spotify, Pandora oder Apple Musik die Radiobranche hart getroffen haben. Nach aktuellen Schätzungen werden 60 Prozent der im Jahr 2018 ausgelieferten Autos mit solchen Diensten verbunden sein. Die Verbreitung von selbstfahrenden Autos könnte also des „Radios Todesgeläut“ sein. Stellen Sie sich Folgendes vor: Man ist in der Lage, nicht nur zu hören, was man will, sondern auch zu sehen, was immer man will – und das während der Fahrt zur Arbeit oder auf einer Reise. „Komaglotzen“ auf der Straße, wahrscheinlich sogar über integrierte im Auto angeschlossene Geräte anstatt über mobile Geräte, soll zeitnah eine Option für alle Insassen eines Autos sein – nicht länger nur für die Kinder auf dem Rücksitz. Damit würde das Radio noch wesentlich mehr Hörer und Fans verlieren, als dass es ohnehin schon getan hat. Video killed the radio star….
Reklametafeln werden smart oder sterben aus
Sobald selbstfahrende Autos die Regel werden und die Menschen nicht mehr auf den Straßenverkehr achten, können und müssen sich die Werbetafeln weiterentwickeln. Und zwar nicht nur hinsichtlich „Push“, der Verbreitung einer Botschaft, sondern speziell in puncto „Pull“: der Sammlung von Daten, die auf sinnvolle und kreative Weise genutzt werden können. Schon jetzt gibt es erste Pilotprojekte. Ein Beispiel: In Australien erkennen interaktive Plakate von Lexus die Fahrer ähnlicher Luxusmodelle und senden direkt gezielte Nachrichten an sie. Als Datensammler besitzen Plakatwände ein großes Potenzial. Unternehmen im Bereich Außenwerbung beginnen schon umzuschwenken. Die amerikanische Firma Clear Channel experimentiert aktuell mit der Datensammlung bei Fahrern, die ihre Werbetafeln passieren. Heute werden deren Daten für gezieltere Plakatkampagnen erfasst und ausgewertet. So können viel genauere Aussagen über Marketingbudgets und deren Effektivität getroffen werden, weil sich die Zahlen der Kontakte unmittelbarer zu Käufen und Markenbewusstsein in Relation setzen lassen. Im Laufe der Zeit könnten diese Daten noch andere Verwendung finden. Wie auch immer, fest steht, Werbetafeln müssen smart werden oder sterben aus.
Mobile Apps werden populärer sein denn je
Es ist ein Massenphänomen: Wenn Menschen ein bisschen freie Zeit haben oder warten müssen, greifen sie zu ihren mobilen Geräten und spielen. Sicher, einige Leute kontrollieren pflichtbewusst ihre E-Mails oder prüfen den Kalender für den nächsten Arbeitstag, aber meistens puzzeln sie Candy-Crush oder kämpfen mit verfeindeten Clans. Und natürlich: Mehr Zeit für Spiele oder grundsätzlich mehr Zeit für Apps bedeutet mehr Möglichkeiten für Interaktion und Werbung. Dass dies automatisch mehr Geld und Aufmerksamkeit für mobile Publisher und Entwickler mit sich bringt, liegt auf der Hand. Hinzu kommt noch: Der mobile Umsatz steigt ohnehin dank WiFi-verbundener Vehikel sowie On-Demand-ride-Anwendungen wie Uber (vor allem während der Rush-Hour im Verkehr). Daraus lässt sich schließen, dass denjenigen ein wirtschaftliches El Dorado erwartet, der das Potenzial der derzeit hinter dem Steuer eines Autos zu findenden Konsumenten „freischalten“ kann.
Obwohl also die größten und offensichtlichen Effekte der selbstfahrenden Autos mehr Bequemlichkeit und potenziell sicherere Straßen sind, wirkt sich ihre künftige Vorrangstellung auch gravierend auf andere Lebensbereiche aus. Im Marketing werden sie die Aufmerksamkeit der Konsumenten den traditionellen Formaten entreißen, dabei mobiles App-Marketing und artverwandte Geschäftsmodelle immens fördern. In zehn Jahren (oder weniger) werden wir vielleicht den Beginn selbstfahrender Autos als den Anfang vom Ende klassischer Außenwerbung und den Sargnagel des Radios bewerten – dafür aber als zusätzlichen Boost für mobile Apps.
Über den Autor: Adam Foroughi ist Mitbegründer und CEO von AppLovin. Die Marketing-Plattform aus Palo Alto in den Vereinigten Staaten bietet Automatisierung und Analyseinstrumente für Marken, die neue Konsumenten mit Apps erreichen möchten.