Von Herbert Endres
Die Coronavirus-Krise konfrontiert Manager und Unternehmer mit einer großen Unsicherheit. Sie stellt nicht nur sämtliche Geschäftsziele in Frage, sondern geht an die Substanz vieler Unternehmen. Der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess fasst diese Unsicherheit in einem Statement zusammen: „Die Corona-Pandemie stellt uns vor ungekannte operative und finanzielle Herausforderungen.“
Predictive Market Analytics geben Unternehmen die Möglichkeit, fundierte Prognosen zukünftiger Marktentwicklungen zur Entscheidungsunterstützung zu erstellen. Doch welchen Beitrag können diese vorausschauenden Analysen in der Coronavirus-Krise leisten?
Technologien auch von epidemiologischen Modellierern eingesetzt
Unter Predictive Market Analytics versteht man einen Methodenwerkzeugkasten, der auf Basis eines Datensatzes Zusammenhänge untersucht, um darauf aufbauend Muster zu erkennen, anhand derer Unternehmen Marktentwicklungen vorherzusehen können. Verschiedenste Analysemethoden werden schon seit längerem in Unternehmen eingesetzt, beispielsweise zur Bestimmung von Kreditausfallrisiken im Bankenbereich, für Absatzprognosen im Handel oder Schätzungen für das erwartete Passagieraufkommen bei Fluggesellschaften.
Allerdings haben sich durch das erhöhte Datenaufkommen (Big Data) und die verbesserte computergestützte Verarbeitung von Daten sowie durch künstliche Intelligenz die Anwendungsmöglichkeiten von Predictive Market Analytics stark erweitert und somit auch deren Einsatzhäufigkeit erhöht. Diese Technologien werden auch von epidemiologischen Modellierern für die Prognosen zur Ausbreitung des Coronavirus verwendet.
Zulieferer und Lebensmittelkonzerne setzen die Analysen ein
Um für Unternehmen relevante Prognosen zur Entscheidungsunterstützung zu erstellen, kann dank des technologischen Fortschritts mittlerweile auch verstärkt auf das maschinelle Lernen als ein Werkzeug der Predictive Market Analytics zurückgegriffen werden. Dabei werden Computersysteme befähigt, Wissen eigenständig aufzunehmen und zu ergänzen, um ein vorhandenes Problem besser zu lösen. Predictive Market Analytics ermöglichen es Unternehmen heutzutage, verstärkt proaktiv und zukunftsgerichtet zu agieren, was insbesondere in einem stark volatilen Umfeld in Zeiten der Coronavirus-Krise überlebenswichtig erscheint.
Predictive Market Analytics helfen Unternehmen dabei, sich sehr schnell auf neue Situationen einzustellen und erhöhen damit deren Flexibilität. So verhalf der gezielte Einsatz dieser Planungsinstrumente einem Automobilzulieferer dazu, kurzfristig Szenarien über die zukünftige Auslastung der Produktionsstätten durchzuführen und damit die Finanzkrise erfolgreich zu überstehen. Mittels computergestützter Szenarioanalysen konnte hierbei binnen weniger Tage die Auslastung geprüft, die Kapazität angepasst sowie die künftig wahrscheinlich unrentablen Fabriken rechtzeitig geschlossen werden.
Amazon geht mit gutem Beispiel voran, indem es Predictive Market Analytics in seine Planungsabläufe integriert.“
Ähnliche Erfahrungen machte ein großer Lebensmittelkonzern, der durch die Kombination eines integrierten „Sales and Operations Planning“ Prozesses und Supply Market Intelligence die Möglichkeit hatte, gezielte Maßnahmen in Bezug auf mögliche Szenarien vorzunehmen und somit potentielle Ergebniseinbußen zu kontrollieren.
Immer mehr im Kommen ist die Nutzung von Sentimentanalysen (Sentiment Detection), die durch eine automatische qualitative Auswertung von Texten Stimmungen und Einstellungen zu bestimmten Produkten, Firmen oder ähnlichem erkennen und somit eventuelle Risiken in Form von Umsatzrückgängen oder Abwanderungen größerer Kundenkreise frühzeitig entdecken können. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Nutzung von Predictive Market Analytics als Prognoseinstrument für kalkulierbare Marktentwicklungen den Unternehmen dazu verhilft, sich an die jeweiligen Bedingungen besser und schneller anzupassen.
Datenbasis ist entscheidend für den Erfolg
Doch Predictive Market Analytics können nur so gut sein, wie es die Datenbasis und die daraus gewonnenen Muster, die einer kausalen Interpretation bedürfen, zulassen. Prognosen, die mit Hilfe von Predictive Market Analytics erstellt wurden, sind somit nur aussagekräftig, wenn eine Konstanz in der zukünftigen Weiterentwicklung der Datengrundlage, also der Zusammensetzung der Daten und Ereignisse gegeben ist. Kommt es jedoch zu einem späteren Strukturbruch, das heißt treten Ereignisse und damit Datenausprägungen auf, die keine Weiterentwicklung des vorherigen Datenmusters sind, so stimmen die Vorhersagen aus dem ursprünglichen Datensatz nicht mehr. Eine erneute Parameterschätzung hilft dann nur auf Basis eines fortgeschriebenen Datensatzes, der die neusten, nicht-konsistenten Entwicklungen enthält.
Da kein Predictive Market Analytics Tool den Strukturbruch der Coronavirus-Krise vorhersehen konnte, müssen diese Tools jetzt eine neue Parameterschätzung vornehmen, welche die neuesten Entwicklungen und Vorhersagen zur Ausbreitung des Coronavirus enthalten.
Um das volle Potential von Predictive Market Analytics zu nutzen, sollten Unternehmen diese Analyseverfahren in ihre Prozesse und Organisationsabläufe aufnehmen. Amazon geht dabei mit gutem Beispiel voran, indem es Predictive Market Analytics in seine Planungsabläufe integriert. Nachdem Millionen von Menschen aufgrund des Coronavirus zu Hause bleiben und auf Online-Lieferungen zurückgreifen, hat der US-Konzern innerhalb kürzester Zeit reagiert und angekündigt 100.000 neue Mitarbeiter einzustellen.