Dass die Politik nicht in der Lage ist, weder die dissozialen Gruppen oder auch nur ignorante Boni-Banker zur Räson zu bringen, stärkt auch nicht gerade das Vertrauen der Bürger in den Staat als eine Orientierung gebende und Rahmen setzende Instanz in der modernen Welt der verbreiteten Unübersichtlichkeit und des fortschreitenden Werteverlusts.
Die Realität in Unternehmen zeigt: Neue Strategien in immer kürzeren Abständen, schnelle Wechsel der Führungsgarde, Fusionen von Firmen mit ihren unterschiedlichen Kulturen werden zum andauernden Stresstest für Mitarbeiter. Was ihnen zunehmend fehlt, ist Transparenz, Berechenbarkeit und eine vertrauensvolle Kommunikation mit der direkt vorgesetzten Führungskraft. Da nimmt es nicht wunder, dass die jüngste Gallupstudie zu dem Ergebnis kommt, dass 66 Prozent der Mitarbeiter nur eine geringe Bindung ihrem Unternehmen gegenüber verspüren und deshalb „Dienst nach Vorschrift“ machen. Dabei hat die gelebte Kultur im Unternehmen einen erheblichen Einfluss auf den finanziellen Erfolg, wie eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Psychonomics 2007) nachgewiesen hat. Die Tatsache, dass das Potenzial freiwillig erbrachter Leistung bei zwei Dritteln der Belegschaften brach liegt, kostet die Unternehmen jährlich Milliarden.
Die Realität im Vertrieb zeigt: Im Hyperwettbewerb versuchen die Produzenten mithilfe vielfältiger Kundenbindungsprogramme der Hybridisierung, Abwanderung und Untreue des Kunden entgegenzuwirken. So adressiert die Kundenkarte etwa den kühlen Kalkulierer, der seine Karte vor allem des klaren Preisvorteils wegen einsetzt (zum Beispiel Bahncard). Rabattmarken zielen auf den leidenschaftlichen Sammler und Bonusprogramme (zum Beispiel Miles and More) und bieten persönliche Vorteile. Sie werden für die Treue des Kunden gewährt, vor allem in Form eines sozial wahrnehmbaren Prestiges wie etwa ein Upgrade in die Business Class und, wenn man es denn einstmals schafft, die Aufnahme in den erlauchten Kreis der statusbewussten Senatoren.
Den komplexen Anforderungen echter Bindung werden diese Programme nach dem Strickmuster pawlowscher Konditionierung allerdings nicht gerecht; dabei lechzen nicht nur Kunden nach ehrlicher Kommunikation, anständigem und fairem Verhalten und nach vertrauenswürdigem Umgang. Das gilt auch für die Mitarbeiter, wie eine repräsentative Umfrage von Emnid deutlich macht, bei der 55 Prozent der Befragten mit dem höchsten Wert angaben, das Arbeitsklima sei der wichtigste Faktor dafür, dass sie sich in ihrer Arbeit wohl fühlen.
Mitarbeiter und Kunden sind es zunehmend leid, instrumentalisiert zu werden. Im einen Fall als personalkostenintensives Mittel zum alleinigen Zweck der Profitmaximierung, im anderen als egoistische Hedonisten, die man mit immer raffinierteren Reizen zum Kauf von Produkten bewegt, welche sie nicht brauchen und sie auch nicht glücklich machen. Je zweckrationaler Führung und Vertrieb ihren Nutzen kalkulieren und je effizienter sie seine Umsetzung organisieren, umso ungesünder wird das Betriebs- und Marktklima, weil dadurch unsere sozial-emotionalen Ressourcen geplündert und die davon abhängigen sittlich-moralischen Reserven verschleudert werden.
Maximale Profitmaximierung zerstört die Qualität der Beziehungen zu Mitarbeitern ebenso wie zu Kunden. Diese Lektion sollten die Akteure spätestens seit der Finanzmarkt- und der darauf folgenden Wirtschaftskrise gelernt haben. Doch weit gefehlt! Mag inzwischen der „ehrbare Kaufmann“ auch noch so sehr beschworen werden, Massen-, Zielgruppen- und Nischenmarketing kennt keine Gesichter. Die Zielvorgabe lautet, das maximale Abschöpfungspotenzial des Kunden zu realisieren. In den Unternehmen geht es um das effiziente Controlling der teuren Ressource „Humankapital“. Das dadurch bei den Mitarbeitern erzeugte Gefühl, ein Rädchen in der Maschinerie zu sein, bevormundet und ferngesteuert zu werden, löst alles andere als Engagement, Verantwortungsbereitschaft und Freude an der Arbeit aus.
Doch genau hier liegt der Dreh- und Angelpunkt für eine konstruktive Wende zu Lust an Leistung in Produktion, Service und Verkauf. Um sie herbeizuführen, müssen Führungskräfte die Bedingungen für Lust an Leistung am Arbeitsplatz schaffen. Und Verkäufer müssen sich Rechenschaft darüber ablegen, wie sie das gemeinsame Handeln mit ihren Kunden gestalten, denn an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei: Gute Führung und erstklassiger Verkauf gründen in erster Linie auf einem zuverlässigen und persönlichen Beziehungsmanagement. Dieses Sich-in-Beziehung-Setzen zu Mitarbeitern und Kunden ist zwar anstrengend, es befriedigt aber ein tiefliegendes Bedürfnis gerade in Zeiten der verbreiteten Unsicherheit und steigenden Misstrauens zu den Institutionen. Unternehmen, denen es gelingt, persönliche Bindungen zwischen den Mitarbeitern und zu ihren Kunden aufzubauen und weiterzuentwickeln, werden diese Investition in das Sozialkapital durch kontinuierliches Wachstum vergolten bekommen.
Zu denken geben sollte in diesem Zusammenhang eine aktuelle Studie an der University of Southern California. Kunden beobachten nämlich den Umgang der Mitarbeiter untereinander in Banken, Geschäften und Restaurants sehr genau. Selbst wenn sie kompetent beraten und bedient werden, jedoch bemerken, dass die Mitarbeiter des Unternehmens gegenseitig ein wenig rücksichtsvolles oder sogar ungehobeltes Verhalten an den Tag legen, so fällt ihre Bewertung des gesamten Unternehmens schlecht aus. Die Konsequenz lautet: Erfolgreicher Vertrieb beginnt nicht beim Kunden, sondern beim Mitarbeiter. Neben seiner fachlichen braucht er unbedingt auch soziale Kompetenz im Beziehungsmanagement, zunächst gegenüber Kollegen und Mitarbeitern. Der Kunde entwickelt weiteres Zutrauen, wenn der Verkäufer fachkundig ist und darüber hinaus die Tugenden des Teamworks wie Zuverlässigkeit und Wahrhaftigkeit an den Tag legt. Damit ein solches Arbeits- und Beratungsklima der offenen Kommunikation und eine Kultur des gemeinsamen Handelns entstehen kann, müssen Führungskräfte in erster Linie Beziehungsmanager sein. Das ist der Grund dafür, dass erfolgreiches Verkaufen zuerst und vor allem von guter Führung abhängt.
Für die Realisierung sind die Erkenntnisse der Bindungsforschung von größter Bedeutung. Leider ist das natürliche soziale Verhaltensprogramm Bindung ein weithin unbekanntes Motiv. Die Kenntnis der Zusammenhänge und der Funktion dieses Ur-Motivs ist nicht nur für die Mitarbeiterführung und für CRM-Programme relevant. Wenn man sie konsequent umsetzt, führt dies weit darüber hinausgehend zu einem natürlichen Ausgleich zwischen zweckrationaler Gewinnerzielung und moralischer Wertorientierung, die in den persönlichen geschäftlichen Beziehungen etabliert wird.
Wie das soziale Verhaltensprogramm Bindung funktioniert und warum es die Grundvoraussetzung für Vertrauen und erfolgreiches gemeinsames Handeln ist, können Sie in dem Band „Die Bindungsformel“ nachlesen. Dort finden Sie auch konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis der Mitarbeiterführung.
Über den Autor: Dr. Klaus Dehner ist seit 1997 Geschäftsführer der Beratergesellschaft „Prof. von Cube & Kollegen GmbH, Biologik der Führung und Fortbildung“. Er befasst sich mit biologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens. Mit dem Ziel der Optimierung von Unternehmensprozessen trainiert er mit Führungskräften und Projektgruppen die Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Darüber hinaus ist Dehner Autor des im Gabler Verlag erschienenen Buchs „Die Bindungsformel – Wie Sie die Naturgesetze des gemeinsamen Handelns erfolgreich anwenden“.