1. Nachhaltigkeit als Werbebotschaft
Greenwashing ist als Methode mittlerweile so verschrien wie der Pop-Up-Banner. Trotzdem ist die Versuchung groß, der Zielgruppe nach dem Mund zu reden. Insofern erfreut sich der Verweis auf die Markenwerte großer Beliebtheit in der Werbung, wie man an den Beispielen „Safety First“ (Volvo), „Wir lieben Lebensmittel“ (Edeka), „Versichern heißt verstehen“ (Ergo) und „Vertrauen seit 1695“ (Bank of Scotland) erkennen kann.
Werbeverantwortliche wissen meist um das Bedürfnis der Zielgruppen nach verantwortungsvollem Wirtschaften, aber weil sie keinen Durchgriff auf die Produktentwicklung, die Produktionsprozesse, die Logistik haben, machen sie den Fehler, dass sie Wunsch statt Wirklichkeit besingen. Der Glaubwürdigkeit sind blumige Versprechen aber eher abträglich. Eine erfolgreiche Kommunikation der Nachhaltigkeit ist nachhaltige Kommunikation: eine langfristige, substanzielle, interaktive Auseinandersetzung mit den Anspruchsgruppen und ihren Forderungen in der ernsthaften, glaubwürdigen Absicht, diese Ansprüche zu erfüllen.
Check 1: Haben wir einen echten Dialog mit den Anspruchsgruppen? Kennen wir ihre Forderungen? Haben wir sie priorisiert und wissen wir, welche wir wie erfüllen werden?
2. Nachhaltigkeit als LOHAS-Bedürfnis
Fast 40 Jahre Hippies und Ökos haben im Marketing die Vorstellung gefestigt, dass Konsumentenbewusstsein jenseits von Preis und Qualität das Merkmal einer Nischenzielgruppe ist. Das Besondere der Anhänger des Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) aber ist, dass sie gar keine Zielgruppe sind, sondern Vorreiter für ein Konsumentenbedürfnis, welches zunehmend Mainstream wird. Bereits im Jahr 2008 haben wir dieses sozialpsychologische Phänomen in einer ersten repräsentativen Studie für Deutschland mit unserem LOHAS Monitor quantifiziert und qualifiziert. Auch wenn sich die Studien der GfK, von Nielsen und unsere eigene in der Definition unterscheiden, so kann man festhalten, dass alle seriösen Untersuchungen die LOHAS als denjenigen Teil der Konsumenten definieren, der bereit ist, für nachhaltigen Konsum extra zu zahlen.
Mit der zunehmenden Selbstverständlichkeit von nachhaltigen Produkten nimmt aber genau die Bereitschaft, mehr zu zahlen, ab: Die Nachhaltigkeitsinnovation von heute ist der Marktstandard von morgen: Rußpartikelfilter, abbaufähige Waschmittel, FSC-zertifiziertes Papier, etc. Man muss kein LOHAS sein, um diese Produkte nachzufragen. So wichtig es für Unternehmen heute ist, anhand der LOHAS das Wertemuster der Massen frühzeitig zu erkennen, bleibt es doch dabei: Die wirklich erfolgreichen Meilensteine der Nachhaltigkeit werden für den Massenmarkt und nicht für die Nische entwickelt. Beispiel: Tide Coldwater (wäscht mit kaltem sowie mit warmen Wasser) ist deshalb eine echte Nachhaltigkeitsinnovation, die für jedermann eine attraktive Alternative darstellt. Terra Activ von Henkel hingegen ist – abgesehen von kritischen Stimmen bezüglich der Inhaltstoffe – schon aus Gründen der Preisstellung ein ausgesprochenes LOHAS- und damit Nischenprodukt.
Check 2: Nutzen wir die Chance zu massenmarktfähigen Innovationen im Sinne der Nachhaltigkeit? Welche Produktverbesserungen werden morgen Standard sein – und können wir diese nicht schon heute zur Marktreife bringen und uns darüber massenwirksam im Markt differenzieren?
3. Nachhaltigkeit als CSR-Abteilung
Wenn Nachhaltigkeit insofern als strategische Antwort auf die Notwendigkeit zur Markendifferenzierung verstanden wird, ist es logisch, dass dieser Bereich nicht einer mit Spin-Doctors besetzten Corporate-Social-Responsibility(CSR)-Truppe überlassen werden kann. Bei Unternehmen wie der Post oder Bayer, bei denen der Anspruch der Nachhaltigkeit jeden Winkel des unternehmerischen Tuns durchzieht, hat die CSR richtigerweise die Rolle, die Aktivitäten zu koordinieren und zu dokumentieren. Anderswo ist „die CSR“ tatsächlich weniger das Zeugnis als vielmehr der Ersatz solcher Bemühungen, weil es leider die einzige Abteilung ist, die sich mit unternehmerischer Verantwortung auseinandersetzt. Auf der Suche nach Vertrauen ist nichts so gefährlich wie leichtfertige Versprechen. Und ohne strategische Verankerung in der Kultur und in den Prozessen hat „CSR“ gute Chancen „Greenwashing“ als Schimpfwort abzulösen.
Check 3: Was tut unsere CSR-Abteilung: Dokumentiert und begleitet sie unsere Initiativen oder ersetzt und hypt sie diese? Kommunizieren wir Ergebnisse und belegen Erfolge, oder besingen wir Visionen und prahlen mit Glückstreffern?
4. Nachhaltigkeit als Mission Statement
Nachhaltigkeit ist wie Apfelkuchen und Mutterliebe: Niemand kann ernsthaft dagegen argumentieren. Trotzdem leben wir nicht in einer Welt der Nachhaltigkeit, denn Nachhaltigkeit beschreibt die geglückte Balance eines Interessenkonfliktes. Die Entscheidung für oder gegen Nachhaltigkeit ist immer das Ergebnis einer Abwägung – zwischen langfristigem und kurzfristigem Nutzen, zwischen mir selbst und der Gemeinschaft, zwischen Gewinn und Vermögen, etc. Die unternehmerische Vision von „Nachhaltigkeit“ ist deshalb inhaltsleer, solange nicht Kompromisse gemacht und aufgezeigt werden.
Check 4: Hat unser Commitment zur Nachhaltigkeit konkrete Konsequenzen entlang der Wertschöpfungskette? Können wir unsere Erfolge darstellen, ohne das Wort „Nachhaltigkeit“ zu benutzen?
5. Nachhaltigkeit als Modeerscheinung
Es wäre schade, wenn Sie bis hier gelesen haben und nun entmutigt sind: Der Wertewandel ist real und die „Nachfrage nach Nachhaltigkeit“ stellt neue Ansprüche an Marketer. First Mover wie Toyota haben hier enorme Chancen, Spätzünder wie General Motors ein enormes Risiko. Auch wenn Honda jetzt einen praktisch gleichwertigen Vollhybrid baut, nur Toyota konnte sich durch 15 Jahre Vorsprung mit dem Prius als nachhaltige Automarke positionieren. Und glaubt GM wirklich, dass der in USA gefeierte Chevy Volt eine Chance hat, unser Bild von einem Dinosaurier-Unternehmen zu revidieren?
Die Werte, für die ein Unternehmen steht, stellen deshalb den größten Wertschöpfungsfaktor dar: In einer Welt kürzerer Innovationszyklen ist es schwer, sich über das Produkt (das „WAS“) zu differenzieren. Der Produktionsprozess, die Kultur und die Werte für die eine Marke steht (das „WIE“) hingegen bietet relevante Unterschiede: Gerade in Branchen mit hohem Wettbewerbsdruck durch homogenes Produktangebot machen die der Marke zugrundeliegenden Wertvorstellungen den maßgeblichen Unterschied: dm vs. Schlecker, Triodos vs. Deutsche Bank, Otto vs. Neckermann, Frosch vs. Meister Proper. Dies sind alles Beispiele für Marken, deren Unterschied weniger im Produkt, als vielmehr in ihrer unternehmerischen Verantwortung liegt.
Auf Marketingverantwortliche warten deshalb zwei Aufgaben: Einerseits müssen sie – als Anwalt der Zielgruppen – deren Bedürfnisse erkennen, und in ihren Unternehmen einen Prozess anstoßen, der die Konsequenzen des Wertewandels für die eigene Marke strategisch aufnimmt. Andererseits müssen sie – wenn der Nachhaltigkeitsanspruch Substanz gewonnen hat – diese Substanz mit dem Ziel einer wertebasierten Differenzierung kommunizieren.
Check 5: Haben wir eine klare, widerspruchsfreie Wertekultur in unserem Unternehmen? Bestimmen diese Werte nachvollziehbar das tägliche Handeln im Unternehmen? Wie können wir uns über diese Werte von der Konkurrenz abheben?
Über den Autor: Martin Albrecht ist Geschäftsführer der Touchpoint GmbH und leitet die 2006 mit Crossmedia-Gründer Markus Biermann ins Leben gerufene Beratung für wertebasierte Markenstrategien und unternehmerische Verantwortung mit Sitz in Düsseldorf.