Ziel der Analysen des Projektes war die Fragestellung:
Gibt es für deutsche Unternehmen neue Impulse von amerikanischen Einzelhändlern, die erfolgreich Kundenkarten einsetzen oder andere Formen der Kundenbindung durchführen?
Zwei in den USA anerkannte Best-Practice-Unternehmen wurden dafür genauer unter die Lupe genommen: Textfilialist Nordstrom und Drogeriefilialist Rite Aid.
Nordstrom bietet drei verschiedene Kundenkarten
Nordstrom ist ein amerikanisches Kaufhaus der gehobenen Klasse. Da das Unternehmen eine eigene Bank besitzt, hat es die Möglichkeit, seinen Kunden drei verschiedene Arten von Kundenkarten anzubieten:
- Nordstrom Credit Card (mit Zahlungsfunktion):
Mit dieser Karte kann man in den Nordstrom-Häusern bezahlen und erhält darüber hinaus Einladungen zu Events im Haus und spezielle Mailing-Angebote. - Nordstrom Visa Card (Kreditkarten- und Zahlungsfunktion):
Neben der Kreditkarten- und Zahlungsfunktion erhalten die Besitzer die gleichen Vorteile, wie die Besitzer der Nordstrom Credit Card. - Nordstrom Bank Visa Check Card (Debit-Karte):
Diese Karte hat vergleichbaren Nutzen wie die ec-Karte.
Alle Karten sind kombiniert mit dem Programm „Reward Points“, einer Funktion zum Punkte sammeln.
Bei der ersten Nutzung der Nordstrom Credit-Card gibt es noch 500 Punkte extra.
Jeder Dollar Umsatz mit den oben genannten Karten gibt einen Punkt. Bei Erreichen der 2 000-Punkte-Marke stellt Nordstrom einen Gutschein über 20 US-Dollar aus. Das entspricht also
einem Prozent vom Umsatz. Darüber hinaus gibt es je nach Karte noch Kredit- und Zahlungsvorteile (Anzahlung, günstigere Kreditzinsen etc.).
Neben den monetären Vorteilen werden die Besitzer der Karten zu speziellen Events eingeladen und erhalten den Katalog nach Hause geliefert.
Außerdem besitzt das Unternehmen ein selbst entwickeltes Programm zur Bonussteuerung und Abwicklung der Kartenfunktionalitäten, das so genannte NPS (Nordstrom Personal Service). Dieses Programm läuft über die Kassensysteme und erfasst sämtliche Kundendaten. Die Informationen können jederzeit von den Verkäufern und Managern abgerufen werden. Allerdings sind die Daten nur unternehmensintern und nicht von externen Personen einsehbar.
Analyse: Kundenkarten erhöhen Effizienz des Marketings
Wir fanden heraus, dass bei den drei unterschiedlichen Nordstrom-Cards eine höchstmögliche Transparenz des gesamten Umsatzes erzielt werden kann. Je nach Wunsch kann der Kunde sich für „seine“ Karte entscheiden. Eine hohe Umsatzabdeckung durch Kundenkartenumsätze führt wiederum zu einer hohen Transparenz der Abverkäufe und des Kundenverhaltens.
Das ermöglicht wiederum eine überdurchschnittliche Effizienz der Marketingmaßnahmen im Vergleich zu anderen Unternehmen mit weniger hoher Abdeckungsrate des Umsatzes.
Klassische Kampagnen werden nur dann eingesetzt, wenn es sich um Neueinführungs- oder Imagekampagnen handelt, das heißt deutlich seltener als in vergleichbaren Filialisten.
Zum anderen sichert für Nordstrom die Eigenständigkeit des NPS-Bonussteuerungs-Programms die USP (Unique Selling Proposition) des Unternehmens ab. Anpassungen an das eigene Geschäftsmodell sind jederzeit mit einem klaren Zeitvorsprung gegenüber der Konkurrenz möglich. So kann Nordstrom den „Me-Too-Effekt“ vermeiden, der bei allen Standardsoftwareprogrammen wie von Oracle, SAP oder anderen droht.
Unverständlich ist, warum Nordstrom nicht noch eine Karte ohne Zahlungsfunktion anbietet.
Primärkunden aus dem Premiumsegment nämlich haben meistens schon die American-Express-Card (AmEx) oder Diners-Club-Card. Dieser Personenkreis wird in der Regel keine weitere Kreditkarte beantragen und einsetzen, da ihnen sonst Bonusmeilen oder andere Punkte verloren gehen.
Im Internet-Angebot findet eine Differenzierung nach Kunden und Interessenten statt. Hier kann sich der registrierte Benutzer eine Erinnerung für Geburtstage anlegen. Man erhält nach Wahl verschiedene Themen per E-Mail-Newsletter und kann seine Bestellhistorie anschauen. Daneben hat jeder registrierte Kunde die Möglichkeit ein Adressbuch Online anzulegen und zu verwalten.
Europa hinkt bei Bonuskarten hinterher
In Deutschland geht Payback inzwischen mit der Payback-Visa-Card auch diesen Weg. Vielleicht zu spät, da der Markt für Kreditkarten inzwischen stark ausgeschöpft worden ist. Das bedeutet für viele Firmen in Zukunft eher Kooperationen mit großen Kreditkartenunternehmen anzustreben und in Form von Co-Branding die bekannte Kreditkarte mit einem eigenen Lable zu versehen.
In Europa finden sich bisher nur wenige Unternehmen, die verschiedene Varianten von Kundenkarten in Kombination mit einem Bonusprogramm anbieten und somit den Effekt der eingesparten klassischen Werbung nutzen.
Rite Aid: Sonderpreise für Kundenkartenbesitzer
Rite Aid ist eine der größten Drogeriemarkt-Ketten in den USA. Vergleichbar mit Schlecker oder DM-Drogerie Markt. Neben den typischen Drogeriemarktartikeln bietet Rite Aid auch Produkte an, die in Deutschland nur in Apotheken erhältlich sind.
1999 gründete Rite Aid eine Partnerschaft mit der General Nutrition Companies Inc. (GNC), dem größten Händler für Vitamine, Mineralien und pflanzliche Produkte. Es handelt sich dabei um ein „Store-in-Store“- Konzept, das heißt es befindet sich ein GNC-Store in einem Rite Aid Store.
Ausserdem haben die beiden Unternehmen zusammen eine neue Marke für Vitamine und Mineralien, PharmAssure, auf den Markt gebracht, die in allen Rite Aid- und GNC-Niederlassungen verkauft wird.
Rite Aid führte ein Reward-Pogramm mit der „Rite Aid Discount Card“ ein.
Die Karte dient nur als Nachweis für die Teilnahme am Bonusprogramm und hat keinerlei Kredit- oder Zahlungsfunktion.
Die sechs Vorteile der Karte:
- Kostenlose Mitgliedschaft.
- Nur im Shop gekennzeichnete Spezialpreise für Kundenkartenbesitzer. (Diese werden nicht per Mailing, E-Mail o. ä. kommuniziert).
- Spezielle individuelle Mailings für Käufer mit hoher Frequenz.
- 10 Prozent auf Vitamine an jedem Dienstag.
- 10 Prozent auf alle Rite-Aid-Brand-Produkte (gilt immer).
- Beim Entwickeln von mehr als drei Filmen erhält der Kunde ein höherwertiges
Papier (galt vorläufig bis 31.12.2002).
Die klassische Werbung verteilt wöchentlich einen Prospekt (Weekly Special), der leicht verändert auch Online verfügbar ist. Das interessante Feature dabei ist: Während des „browsens“ im Online-Weekly-Special kann man sich seine Einkaufsliste zusammenstellen und erleichtert sich so seinen Einkauf.
Alle Bonusprogramm-Teilnehmer erhalten individuelle und vor allem Frequenz fördernde Werbeanstöße.
Kooperation mit Internetapotheke
Des Weiteren hat Rite Aid durch eine Partnerschaft mit der „Internetapotheke“ Drugstore.com im Juni 1999 seinen Internetauftritt erweitert. Drugstore.com bietet den Kunden Gesundheits-, Hygiene-, Kosmetik-, Wellness- und Pharmazieprodukte an. Diese Partnerschaft ermöglicht es dem Rite Aid-Kunden, Rezepte online anzufordern und noch am selben Tag in einem Rite Aid-Laden abzuholen oder nach Hause liefern zu lassen.
Rite Aid analysiert sehr genau alle über die Kundenkarte registrierten Käufe bzw. Kunden. Dabei werden regionale Besonderheiten und Sortimentsbedürfnisse berücksichtigt.
Darüber hinaus ist Rite Aid mit Ihren Lieferanten über Electronic Data Interface (EDI) vernetzt. Die Kunden- und Abverkaufsdaten sowie die Vernetzung zu den Lieferanten über EDI bietet Rite Aid eine hervorragende Grundlage für ein differenziertes Category Management (CM). Das CM sorgt dafür, dass die einzelnen Filialen das Sortiment bieten, das speziell auf die im Umfeld lebende Zielgruppe ausgerichtet ist.
Diese individuelle Ausstattung der einzelnen Filialen wäre aber ohne die direkte Anbindung der Lieferanten an Rite Aid per EDI nicht steuerbar. Aus den vorhandenen Systemen (Kundenanalyse und Produktanalyse) wird der Lieferant genau informiert, welche Produkte in welcher Menge an welche Filiale geliefert werden müssen.
Analyse: Kundeninformationen fördern Umsatz
Das Bonusprogramm ist grundsätzlich Frequenz fördernd ausgerichtet, damit genau richtig für eine Drogeriekette. Die preisliche Differenzierung von Sortimentsteilen (mit Kundenkarte wird das Produkt billiger) ist darüber hinaus sehr wichtig, um den Nachfragesog der Kundenkarte aufrecht zu halten. Dies steigert somit laufend die Teilnehmerzahl und folgerichtig auch die Transparenz des Umsatzes.
Rite Aid generiert aus seiner Datenbank ein zusätzliches Umsatzplus, da die Kunden noch mit individuellen, personalisierten Cross-Selling-Angeboten über Mailings informiert werden. Dies fördert natürlich auch die Bindung und die Kundenzufriedenheit.
Durch die Kombination von Offline- und Online-Angeboten im „Weekly Special“ findet ein erster Multi-Channel- bzw. Cross-Media-Ansatz statt, der Synergieeffekte für beide Medien erzeugt. Dieser Ansatz ist noch ausbaufähig, in dem er für die Reward-Teilnehmer entsprechend mit weiteren oder differenzierten Vorteilen ausgestattet wird.
Vergleichbar dazu könnte in Deutschland auch der Vorsprung von der Douglas AG im Parfümeriebereich gewertet werden. Die Mailings bei Rite Aid sind in der Regel mit der Abholung von Mini-Produkten verbunden, das heißt es existiert eine Responsemöglichkeit für das Fachgeschäft. Der Kunde kann in diesem Moment beraten werden, so dass Cross-Selling möglich ist. Auch das Kaufverhalten wird weiter analysiert und die Kombination von Online-Newsletter sowie Bestellmöglichkeit schafft echtes Erfolgspotential. Douglas geht den gleichen Weg und kann im Einzelhandel sicherlich als Vorreiter betrachtet werden.
Gelernte Lektionen:
Führt man die Erfahrungen von Nordstrom und Rite Aid zusammen, ergeben sich folgende wichtige Erkenntnisse:
- Mehrere Kundenkarten gleichzeitig einsetzen (siehe Nordstrom) bringt:
- Starke Verbesserungen des Umsatzes (bis zu ca. 80 Prozent).
- Eine Differenzierung der Marketingmaßnahmen nach Karten und Kartenbesitzern.
- Begehrlichkeiten für Nichtkartenbesitzer schaffen (Rite Aid), steigert die Zahl der Karten und somit auch die Transparenz.
- Einführung von Bonus-Kundenkarten für Premiumkunden.
- Vor allem Kunden im Premium-Segment verzichten nicht auf ihre eigene AmEx-, Visa- oder Diners-Card, da sie dafür Meilen oder ähnliches erhalten.
- Deshalb braucht es Programme, die auch kartenunabhängig sind.
- Kombinieren von On- und Offline-Marketing.
- Multi-Channel-Marketing. Die Kombination spart bis zu 25 Prozent vom bisherigen Etat und bringt bis zu 10 Prozent Mehrumsatz.
- Mehrere andere Untersuchungen haben gezeigt: Je mehr Kanäle von einem Kunden (Mailing, Telefon, Online etc.) genutzt werden, umso besser wird der Kunde bedient.
- Entwicklung individueller Software, falls möglich.
- Unternehmen erhalten einen Wissens- und Zeitvorsprung vor der Konkurrenz.
- Es ist möglicherweise mittelfristig nicht teurer als Standardsoftware.
- Analyse der Kundendaten
a) für die Steuerung der Marketing-Maßnahmen und
b) für die Optimierung der Sortimentspolitik.- Dies verbessert schnell die Gesamt-Rentabilität um 1 bis 2 Prozent.
(Auf Deckungsbeitragsebene 1 sind es schnell 10 Prozent und mehr.) - Verknüpfung der Kundendaten mit den Vorlieferanten für Supply-Chain-Management (SCM) und das Category Management (CM), führt zur Reduzierung des Lagerbestands und zur Erhöhung der Umschlagshäufigkeit. Ergebnis ist die Optimierung der Sortiments- und der
Lieferantenbeziehungen.
- Dies verbessert schnell die Gesamt-Rentabilität um 1 bis 2 Prozent.
Nordstrom und Rite Aid können somit für die Mehrzahl der hiesigen Filialisten eine Reihe von Anstößen geben, aber es gibt Unternehmen wie Douglas und DM-Drogerie Markt, die sich nicht hinter den US-amerikanischen Vorzeigeunternehmen verstecken müssen.
Autoren: Meike Keller, Maren Schmidt, Georg Blum, Prof. Dr. Waldemar A. Pförtsch, Hochschule Pforzheim, eingestellt am 20. Januar 2003
Mehr zum Projekt „eDiscovery“ entnehmen Sie der Homepage http://wwwcms.fh-pforzheim.de/projekte/ediscovery .
Fragen können gestellt werden an Blum@CommunDia.de.