Ob an der Einkaufsmeile oder im Internet: Eine attraktive und nutzerfreundliche Gestaltung des Shops ist von großer Bedeutung für den Kunden und daher bei den meisten Anbietern insbesondere zur Shop-Eröffnung im Fokus. Doch anders als in der Offline-Welt endet der Einkaufsprozess online nicht, wenn der Kunde den „Ja, ich will kaufen“-Button drückt. Im Gegenteil, denn erst dann steht der Händler vor der Herausforderung: Wie kommt die Ware zum Kunden nach Hause?
Haben Sie schon einmal bei Amazon bestellt? Sehr wahrscheinlich, aber warum eigentlich? Weder ist der Shop besonders spektakulär, noch fällt Amazon durch aggressive Werbung auf oder setzt häufige Kaufanreize über Affiliate-Partner und Gutscheinplattformen. Sicherlich führen das umfassende Sortiment und die attraktive Preisgestaltung zur häufigen Nutzung von Amazon. Eines der wichtigsten Argumente für Amazon liegt jedoch woanders: Einkauf und Zustellung funktionieren meist reibungslos. Tagsüber bestellt und am nächsten Werktag geliefert — so einfach ist das. Aber ist das wirklich so einfach?
Die gute Nachricht zuerst: Es gibt neben Amazon eine Vielzahl von Onlinehändlern, die einen erstklassigen logistischen Service bieten. Doch bei genauer Betrachtung wird schnell klar, dass es keine Standardabwicklung gibt, die für alle Anbieter passt. So unterschiedlich Unternehmensstruktur und angebotene Waren sind, so individuell müssen auch die Lösungen für Logistik und Kundenservice sein — das sogenannte Fulfillment.
Das Fulfillment umfasst auch die Kommissionierung und Warenlieferung zum Kunden und stellt für Anbieter einen erheblichen Kostenblock dar: Bei Berücksichtigung von Retouren liegen die Gesamtkosten pro Lieferung selten unter 5 und oftmals über 10 Euro. Allein deshalb muss die Ausgestaltung logistischer Prozesse zentraler Bestandteil jeder Unternehmensstrategie für den Onlinehandel sein.
Die logistischen Entscheidungen hängen wesentlich von dem angebotenen Onlinesortiment ab. Eine detaillierte Analyse dieses Sortiments und die Beantwortung einiger zentraler Fragen ist der notwendige erste Schritt für ein erfolgreiches Fulfillment im E-Commerce: Gibt es ein heterogenes oder homogenes Produktportfolio? Ist der Angebotsumfang konstant, kontinuierlich steigend oder saisonal schwankend? Wie gestaltet sich die Nachbestellbarkeit von Produkten oder Notwendigkeit langfristiger Lagerhaltung? Wie sind die produktspezifischen Anforderungen an die Lagerhaltung? Wie ist die Art des Warenangebots, nur verfügbare Waren, Warenbestellung nach Auftragseingang, Waren von externen Partnern oder aus zusätzlichen Lagern? Inwieweit lassen sich Waren in einem Kundenauftrag zusammenführen?
Verwalten, Verpacken, Versenden
Diese Parameter haben großen Einfluss auf die grundsätzliche Lagerstrategie und Lagerplanung, was die benötigte Fläche und Lagerstruktur betrifft. Soll mit einem durchgängig verfügbaren Hauptlager gearbeitet werden oder mit separatem Nachschub- und Kommissionierlager? Gibt es einen Lagerstandort für die Auslieferung oder mehrere? Auch die grundsätzliche Entscheidung für eine interne Lösung oder einen externen Partner ist abhängig von Fragen zum Sortiment und zu bestehenden Strukturen.
Bei AWG Mode z. B. wurde zum Start des neuen Online Shops im Herbst 2012 ein externer Dienstleister beauftragt. „Unsere eigene Logistik soll die Versorgung unserer über 250 Filialen sicherstellen. Aufgrund der besonderen Anforderungen der Endkundenlogistik haben wir dafür einen externen Fulfillmentpartner beauftragt. Datenseitig erfolgt dabei eine enge Anbindung an unsere bestehende Systemlandschaft“, begründet Albrecht Maier, Geschäftsführer von AWG, diese Entscheidung. Bei AWG können Online-Aufträge auch in die Filiale geliefert oder dort retourniert werden. Diese Multichannel-Verknüpfung ist für AWG ein strategisch wichtiger Aspekt — und ein besonderer Service für AWG-Kunden.
Sind die strategischen Weichen für die Logistik gestellt, geht es um die konkrete Umsetzung — oder kurz: um das Verwalten, Verpacken und Versenden der Ware. Eine effiziente Prozessgestaltung ist im Fulfillment ohne IT-Unterstützung nicht denkbar. Die sorgfältige Auswahl und Implementierung einer passenden Software-Lösung ist von großer Bedeutung. Denn nur mit dem Einsatz von Papier, Bleistift und Excel sind Bestandsdifferenzen und Auslieferschwierigkeiten vorprogrammiert. Fehler in der Abwicklung ziehen sich schnell durch die gesamte Prozesskette und führen zu negativen Kauferlebnissen beim Kunden.
Auch das Verpacken der bestellten Ware wirft einige wichtige Fragen auf. Wie lässt sich sicherstellen, dass die Mitarbeiter alle bestellten Artikel in der richtigen Anzahl ins Paket legen? Und wie kann man genau das dem Endkunden gegenüber dokumentieren? Nicht zuletzt ist auch die Frage nach der optimalen Kartonage von großer Bedeutung — das betrifft Haltbarkeit, Anschaffungskosten, Retournierbarkeit und Praktikabilität im Lager. Denn schließlich ist die Bearbeitungszeit pro Auftrag ein wesentlicher Bestandteil der Logistikkosten.
Die richtige Verpackung
Unter Marketing-Aspekten ist die Frage nach der richtigen Verpackung ebenfalls interessant: Wer bereits damit seine Markenwelt zum Kunden transportieren will, der wird kaum mit einer Standardkartonage und einem handelsüblichen schwarz-weißen Lieferschein auskommen. So wendet der Massenversender Zalando erhebliche Marketingausgaben dafür auf, das mit dem Logo versehene Paket zum Teil des Einkaufserlebnisses zu machen. Ein anderer Anbieter mag hingegen aus Sicherheitsgründen besonderen Wert auf die Neutralität der Verpackung legen.
Je mehr Pakete versendet werden, desto wichtiger ist die Auswahl des richtigen Transportführers. Neben dem für die Kunden wichtigen Servicefaktor Zustelldauer spielen noch andere Aspekte eine Rolle: Welcher Aufwand für das Verpacken und Etikettieren ergibt sich aus den Versandvorschriften? Zu welcher Uhrzeit kommt der Paketdienstleister letztmalig zur Abholung zum Lager? Denn daraus ergibt sich für den Anbieter der tägliche Auftragsannahmeschluss. Übrigens ein wichtiger Grund, warum Onlinehändler mit großem Sendungsvolumen wie Tchibo oder Amazon ihre Logistikstandorte in der Nähe von Verteilzentren wichtiger Paketdienstleister angesiedelt haben.
Das größte Sendungsvolumen entfällt in Deutschland derzeit auf die DHL Deutsche Post AG. Doch auch andere Anbieter wie Hermes, UPS oder GLS bieten je nach Unternehmensbedarf attraktive Konditionen. Eine eigenständige Zustellung der Waren ist für Unternehmen hingegen selten sinnvoll und nur im Ausnahmefall regional begrenzter Verkaufsstrukturen eine Handlungsoption. Das bedeutet, dass die persönliche Paketübergabe an den Endkunden für den Online-händler letztlich kaum beeinflussbar ist. Das aber erwartet der Kunde auch nicht — sondern nur, dass die Ware unversehrt und in der erwarteten Zeit eintrifft. Ganz einfach.
Ganz einfach? Das ist es für die Anbieter im Onlinehandel sicher nicht. Aber das Investment in reibungslose Logistikprozesse lohnt sich. Können Sie sich erinnern, schon einmal genervt und ungeduldig auf eine Onlinebestellung gewartet zu haben, die doch längst hätte eintreffen müssen? Oder aber an die freudige Überraschung, dass das so dringend benötigte Geburtstagsgeschenk tatsächlich am nächsten Tag da war? Fulfillment im E-Commerce ist ein wichtiger Faktor für die Kundenzufriedenheit. Natürlich gewinnt man mit einem schnell ausgelieferten Paket keine neuen Kunden hinzu. Aber man baut etwas Wertvolles auf: Vertrauen. Menschen, die vertrauen, kommen und kaufen wieder. Und das sind bekanntlich die besten Kunden.
von Oliver Lucas, Quelle: Handelsjournal