High-Protein-Pasta mit Grillenmehl, Smoothies für Hunde oder alkoholhaltiges Sprudelwasser mit Geschmack – wer das Sortiment von Go2Market anschaut, merkt schnell, dass das Start-up nur auf den ersten Blick als gewöhnlicher Supermarkt daherkommt. „Tatsächlich handelt es sich um einen Real-Life-Marktforschungssupermarkt, in dem Konsumgüterhersteller ihre Produkte unter realen Bedingungen auf die Probe stellen können“, erklärt Go2Market-Gründer Thomas Perdolt.
Das können zum Beispiel Waren sein, die noch gar nicht am Markt erhältlich sind, gerade gelauncht werden oder bisher nur im Ausland Erfolge feiern. „Unter realen Bedingungen“ bedeutet: Die Kunden des Testsupermarkts wählen Produkte aus dem Sortiment aus, von denen sie sich angesprochen fühlen, nehmen diese mit nach Hause und testen sie in ihrem gewohnten Umfeld.
„Jedes Jahr kommen in Deutschland mehr als 100.000 neue Produkte in den Handel, davon bleiben aber nur fünf bis zehn Prozent längerfristig gelistet“, sagt Perdolt und begründet den von ihm beschriebenen Zustand unter anderem damit, dass Hersteller zu wenig über ihre Zielgruppe wüssten.
Günstiger als klassische Marktforschung
Das Problem bestehe unter anderem darin, dass in der herkömmlichen Marktforschung immer die soziale Erwünschtheit mit hineinspiele. „Obwohl zum Beispiel viele Menschen angeben, sie seien bereit, mehr für Bioprodukte zu bezahlen, zeigt sich erst in dem Moment, in dem sie vor einer Kaufentscheidung stehen, dass die Akzeptanz tatsächlich weniger hoch ist“, so Perdolts Beobachtung. Von seinem Ansatz erhofft er sich mehr Treffsicherheit und weniger Flops in den deutschen Supermarktregalen.
Den ersten Go2Market hat Perdolt im Oktober 2020 in Wien eröffnet. Seit Juni gibt es eine zweite Filiale in Köln. Auf einer Verkaufsfläche von 400 Quadratmetern versammelt das Geschäft rund 350 Produktinnovationen von 120 Herstellern. Für ein bis drei Monate sind die Produkte im Markt erhältlich. „Getestet wird im Grunde alles – von der Verpackungsgröße über die Geschmacksrichtung bis hin zum Preis“, erklärt Perdolt.
Barilla, Danone und Knorr haben bereits Produktneuheiten im Go2Market-Regal angeboten. Neben den großen Marken sind auch Start-ups im Testsupermarkt gelistet. Für sie sei Go2Market eine kostengünstigere Alternative zur klassischen Marktforschung, sagt Deutschland-Chef Jörg Taubitz.
Exklusive Mitgliedschaft im Abo-Modell
Das Angebot von Go2Market wechselt monatlich und richtet sich an maximal 3000 registrierte Mitglieder. „Die Auswahl erfolgt anhand von soziodemografischen Merkmalen und entspricht dem Querschnitt der deutschen Bevölkerung ab 18 Jahren“, erklärt Taubitz. Aktuell stehen in Deutschland rund 4000 Interessierte auf der Warteliste. Bei der Online-Registrierung müssen sie unter anderem zu ihrem Bildungsgrad, ihrem Familienstand und ihrem Haushaltseinkommen Auskunft geben.
Diejenigen, die als Mitglieder infrage kommen, dürfen zwischen drei möglichen Modellen wählen: Eine Jahresmitgliedschaft kostet monatlich 12,90 Euro, ein halbes Jahr 14,90 Euro und drei Monate gibt es für 16,90 Euro im Monat. „Im Gegenzug erhalten die Mitglieder ein monatliches Einkaufsguthaben von 55 Euro, das sie auf beliebig viele Besuche verteilen können“, erläutert Taubitz. Welche Produkte sie für ihr Budget bekommen, wissen sie vorher nicht. Nur, dass jeder Artikel lediglich einmal mitgenommen werden kann, und zwar ausschließlich in der jeweils angegebenen Menge.
Auf ihrem Weg durch den Testsupermarkt begleiten die Go2Market-Kunden insgesamt sechs 360-Grad-Kameras. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse – zum Beispiel über die Verweildauer vor Produkten – werden ausnahmslos anonymisiert an die Hersteller weitergegeben. Es gehe lediglich um die Analyse von Zielgruppen, betont Perdolt.
Wer im Go2Market einkaufen will, muss ein Smartphone dabeihaben. Damit scannen die Kunden Produkte, die sie kaufen möchten und verrechnen sie am Ende des Einkaufs mit ihrem Guthaben. „Anfangs hat uns jeder gesagt, dass Self-Scanning nicht funktioniert, weil vor allem ältere Zielgruppen dazu technisch nicht versiert genug seien“, erinnert sich Perdolt. Den kritischen Stimmen entgegnet er heute: „Unser ältestes Mitglied in Wien ist 94 Jahre alt. Wenn man sich einmal die Zeit nimmt und ihnen zeigt, wie es geht, stellen solche Prozesse auch für ältere Menschen kein Problem dar.“
Einkauf mit allen Sinnen
Auch an anderer Stelle setzt Go2Market auf technische Features, die in herkömmlichen Supermärkten bislang nur vereinzelt zum Einsatz kommen. „Wir bieten unseren Kunden ein Einkaufserlebnis, das alle Sinne anspricht“, unterstreicht Perdolt. So soll zum Beispiel ein eigens für Go2Market kreierter Duft dazu beitragen, dass sich die Kunden im Testsupermarkt wohlfühlen. Zudem geht an einigen Regalen die Beleuchtung erst an, wenn ein Kunde davorsteht. Ein Roboter gibt auf Wunsch nähere Auskunft zu den Produkten.
Technik bestimmt auch die Musikrichtung, die gespielt wird: Sie passt sich mittels Künstlicher Intelligenz der Zielgruppe an, die sich im Laden befindet. Ebenso orientiert sich die Lautstärke an der Personenzahl auf der Fläche. Sogenannte „Soundduschen“ setzen zudem bestimmte Produkte mithilfe von Geräuschen in Szene. „Wenn am Regal mit Fruchtfliegenfallen plötzlich ein Summen zu vernehmen ist, löst das etwas beim Kunden aus“, sagt Taubitz. „Ob es sich dabei um einen Kaufimpuls handelt, muss sich erst noch zeigen. Denn auch solche Dinge testen wir bei uns im Markt.“
Zwischen zwei und sechs Tagen dauert es, bis die Go2Market-Mitglieder zu ihrem Einkauf befragt werden. „Wir bitten sie, die Produkte, für die sie sich entschieden haben, hinsichtlich Geschmack, Qualität, Verpackung und Preis zu bewerten. Außerdem fragen wir, ob sie das Produkt noch einmal kaufen würden“, erklärt Perdolt. Die Mitglieder sind nicht verpflichtet, an Umfragen teilzunehmen, aber: Jede Teilnahme vergüten die Betreiber mit einem zusätzlichen Einkaufsguthaben.
Länderübergreifende Tests
Wie hoch der Bonus ausfällt, hängt vom Umfang der Umfrage ab. Derzeit liegt er zwischen 25 Cent und fünf Euro pro Produktbewertung. Laut Perdolt werden etwa 80 Prozent der Fragebögen beantwortet und den Herstellern zur Auswertung bereitgestellt. „Seit der Eröffnung in Wien haben wir binnen acht Monaten mehr als 1,1 Millionen Kunden-Feedbacks erhalten“, sagt Perdolt. Jörg Taubitz fügt hinzu: „Im Juli oder spätestens August dürften es schon 1,5 Millionen sein.“
Obwohl die Eröffnung in Köln erst einen Monat zurückliegt, ist ein dritter Go2Market-Standort bereits in Planung. „Wo der sein wird, können wir noch nicht sagen“, so Perdolt. „Wir werden die Industrie befragen, welche potenziellen Standorte für sie wichtig sind und uns danach richten.“ Stand jetzt, könne es sich um eine Filiale in einem weiteren europäischen Land handeln, ergänzt er.
Das passt zu dem langfristigen Ziel, das er sich mit Go2Market gesetzt hat: „Bis 2024 wollen wir zehn Standorte in Europa unterhalten und so der internationalen Industrie die Möglichkeit bieten, länderübergreifende Tests durchzuführen.“
Der Artikel erschien zuerst im handelsjournal, das ebenfalls in der Handelsblatt Media Group produziert wird.