Fast verhalten moderiert Friedemann Karig den Superstar an. „Auch wir in Deutschland wissen inzwischen, was Darts ist“, rechtfertigt er die Platzierung der im Programm als solche angekündigten „Nischen-Sportart“ Darts auf der Big Picture Stage des OMR-Festivals. Was Karig verpasst hat: Rund um die Hamburger Messehallen ersetzt dieser Tage jeder Betreiber eines Billard-Salons seine großen Tische durch kleine runde Scheiben an der Wand.
Der Deutsche Max „The Maximiser“ Hopp gilt als eines der weltgrößten Talente und rangiert aktuell auf Platz 28 der PDC-Weltrangliste (Profi-Vereinigung). Michael Unterbuchner aus München nimmt gar Platz vier der derzeitigen WDF-Rangliste (Offizieller Weltverband) ein. Bei den Weltmeisterschaften im Dezember 2018 schied Hopp in der dritten Runde gegen den späteren Weltmeister Michael van Gerwen aus.
Darts boomt. Und so kann es nicht überraschen, dass sich Phil „The Power“ Taylor der vermutlich größten Schlange von Autogrammjägern gegenübersah, die es in den letzten Jahren auf der OMR gegeben hat. Noch weit in den Folgevortrag hinein schrieb der Engländer bis die Kugelschreiber rauchten und ließ sich nicht nur bereitwillig sondern mit sichtlich viel Vergnügen fotografieren. Hinter der Mensch-gewordenen Grumpy Cat, die Taylor während seiner aktiven Zeit immer verkörperte, steckt ein warmherziges und fröhliches Gemüt.
Training statt Alkohol
„Wie hast Du angefangen?“, fragt Karig. „Darts war meine Möglichkeit, einfach Geld zu verdienen. In anderen Jobs hätte ich 100 Euro die Woche verdient, hier ging es schnell in Richtung 10.000 Euro. Ich liebe auch Fußball und Boxen, aber Darts war das einzige, was ich gut konnte.“ Der Knackpunkt seiner Karriere war 1990, als er erstmals Weltmeister wurde. Dann kamen die Sponsoren von alleine, vor allem Brauereien.
Der Moderator freut sich über den zugespielten Ball und packte die Plattitüde aus: „… und jede Menge Freibier“. Taylor kontert: „So viel wie du willst, aber ich musste ja meistens noch heimfahren“.
Ich liebe auch Fußball und Boxen, aber Darts war das einzige, was ich gut konnte.“
Karig lässt nicht locker: „Aber dann will Dir doch jeder einen ausgeben.“ Taylor zuckt mit den Achseln und dann kommt der Satz, der die Seele des Engländers nach außen kehrt: „Das Merkwürdigste überhaupt ist, dass Dir niemand etwas gibt, wenn Du es brauchst. Aber wenn Du Millionär bist, bekommst Du alles geschenkt.“ Und Taylor sagt das nicht stolz und selbstherrlich, sondern mit einem verwunderten Kopfschütteln.
Vom Thekensport zum Publikumsmagnet
Taylor beschreibt, dass sich der Darts-Sport in dem Moment massiv veränderte, als Sky die Fernsehrechte erwarb. Peter George, der damalige Walk-on-Man (verantwortlich für die Bühneninszenierung) von Sky, wollte etwas aufbauen, das dem Wrestling ähnelte. Er wollte Darts schnell machen und für jedermann verständlich. Und er wollte vor allem Identifikationsfiguren schaffen, so wie Phil Taylor. Und ihm verdankt Taylor auch seinen Spitznamen: „Unter dem Tisch, an dem wir saßen, lag zufällig die CD ‚The Power‘ von Snap. Er schaute drauf und sagte: Ich habe Deinen Spitznamen.“
Die Geschichte kennt in der Darts-Szene inzwischen jeder. Was man aber eventuell nicht weiß, ist, dass die Top-Spieler trainiert wurden, sich fernsehreif zu inszenieren. „Es gibt zwei Dinge, die wichtig sind: wie Du auf die Bühne kommst und wie Du wieder abgehst“, erinnert sich Taylor. Beim Einmarsch durchqueren die Darts-Spieler die Publikumsreihen und lassen sich feiern. Dabei läuft die Signature-Musik, die Menge tobt. „Am Anfang fühlte sich das merkwürdig an, weil alle Dich abklatschen wollen. Ich bin ja sehr klein, also klatschten die mir immer auf den Kopf. Aber wenn Du das 60 Mal gemacht hast, stört es Dich nicht mehr.“
Was Taylor immer wieder überrascht hat, war die Kreativität, mit der sich das Publikum kostümiert. Darts ist ein Community-Game, nicht unähnlich der E-Sports-Bewegung heute. „Das verrückteste, was ich je gesehen habe, war, wie Scooby Doo Supermann verdroschen hat. Das war doch nicht richtig. Supermann am Boden liegend und Scooby Doo oben drauf.“
Authentisch aber hochprofessionell
Bis heute spürt man Taylor an, dass er die meiste Zeit seiner Profi-Karriere genossen hat. Zu verrückt war es ihm nie. „Der Moment, als ich das erste Mal ans Aufhören dachte, war, als ich sah, dass auf meinem Bankkonto 10 Millionen Pfund waren. Ich spiele immer noch gerne, aber das Reisen wird zu viel. Ich bin fast 60.“
In seiner aktiven Zeit trainierte Taylor drei Stunden täglich und im Gegensatz zu seinen Kollegen, die einfach nur ans Brett gingen und spielten, übte Taylor in den Details, simulierte Spielsituationen und fokussierte auf Ausweichstrategien, wenn die Tripple-Twenty partout nicht gelingen will. „Ich kenne kaum einen erfolgreichen Top-Sportler – auch aus anderen Disziplinen – der nicht akribisch und hart arbeitet. Talent haben sie alle, aber den Unterschied macht die Arbeit.“
Bei Turnieren wirkte Taylor stets wie das Enfant terrible. Man traute ihm zu, die Gegner durch Beleidungen aktiv zu verunsichern, sie in der Konzentration zu stören. Taylor selbst weist das von sich: „Wenn ich gegen einen starken Gegner antreten musste, habe ich mich beim Warmmachen einfach daneben gestellt und gespielt. Wenn Du dann drei 180er nacheinander wirfst, verunsichert das den anderen genug.“
In diesen Tagen ist Phil Taylor dabei, eine kleine Vermarktungsfirma aufzubauen. Zuerst wollte er nur sich selbst vermarkten, jetzt nimmt er alte Weggefährten aus dem Sport mit auf die Reise. Ex-Fußballstar Paul Gascoigne geht mit ihm auf Tour. Anfang des Jahres war mit seinem erbittertsten Gegner aus Profitagen, Raymond „Barney“ van Barnefeld, auch schon hierzulande auf Tour. Deutschland scheint für die ehemaligen britischen Sportstars ein gutes Pflaster. Offensichtlich liebt das deutsche Publikum vor allem die kantigen Typen.