Schon bevor uns Corona kalt erwischt hat, war die Automobilbranche in einem radikalen Neuerfindungsprozess in Richtung nachhaltiger Mobilität und Digitalisierung. Trotz der immer wieder ausgerufenen digitalen Revolutionen hielt der Online-Vertrieb in der Automobilbranche aber bei weitem nicht in dem Maß Einzug wie in anderen Branchen. Moderne Autos bergen nicht nur ein hohes Kaufrisiko, sondern sind auch erklärungsbedürftiger als je zuvor. Von daher informieren sich die Interessenten zwar intensiv im Netz, treten aber dann doch mehrheitlich den Gang in die Offline-Welt der Händler und Verkäufer an. So wissen wir aus verschiedenen Studien, dass Neuwagen-Anschaffungen zu zirka 80 Prozent diesem „Online-Offline-Ablauf“ folgen.
Soweit zum Stand der Dinge vor Corona. Um sich jetzt konstruktiv auf die Zeit nach dieser unvorhersehbaren Krise vorzubereiten, sollten sich Führungskräfte bei Automarken, Zulieferern, Händlern, Werkstätten und Autobanken mit der Frage beschäftigen, welche dauerhaften Veränderungen von der weltweiten Virus-Epidemie und ihren Folgen für die Anschaffung und Nutzung von Autos ausgehen.
Kunden erwartet präzisere Antworten als sie online erhalten
Eine langfristige Veränderung wird wohl darin liegen, dass Corona zu einer signifikanten Beschleunigung der Digitalisierung des Automobilvertriebs führen wird. Dies ist das Kernergebnis einer Ende März durchgeführten puls Studie bei insgesamt 1050 Personen, die eine Autoanschaffung planen. So zeigt sich, dass Online-Kontaktpunkte wie Autoportale, Hersteller- und Händler-Websites, Bewertungen anderer Kunden im Internet und soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Instagram signifikant an Bedeutung gewinnen, während Händler und die persönliche Verkaufsberatung unter Wertschöpfungs- und Erlebnisdruck geraten. Obwohl Telefon- oder Videoberatung hier Abhilfe schaffen können, sollten sich Händler und Verkäufer darüber im Klaren sein, dass sie auf Kunden treffen, die sich über die genannten Online-Kontaktpunkte besser denn je zu ihrem Wunschauto informiert haben und Antworten auf genau die Fragen erwarten, die ihnen das Internet nicht beantworten kann oder konnte.
Bemerkenswert ist, dass im Zuge der digitalen Beschleunigung der Autoanschaffung mit dem Verkäufer ein bis dato etablierter Kontaktpunkt unter Druck gerät: Während für überschaubare 13 Prozent der Interessenten der Verkäufer wichtiger wird, geben 16 Prozent an, dass persönliche Verkaufsberatung an Bedeutung verliert. Verkäufer werden dadurch stärker denn je am Mehrwert gemessen, den sie den Kunden bieten, die häufig besser als die Verkäufer selbst informiert sind. Weil insbesondere Bewertungsportale im Zuge der coronabedingten häuslichen „Zwangsisolation“ intensiver genutzt werden, treten Kunden wohl mit immer spezifischeren Fragen in die Autohäuser und zu Verkäufern heran. Automarken und ihre Händler müssen und sollten ihre (potenziellen) Kunden vor diesem Hintergrund besser denn je bei ihrem individuellen Informationsstand oder besser noch bei ihren individuellen Mobilitäts- und Autobedarfen abholen.
Probefahrt bleibt für die Mehrzahl unverzichtbar
Nützlich und zielführend ist dabei eine strukturierte digitale oder persönliche Bedarfsanalyse mit den richtigen Fragen. Wenn sich Kunden bei DEM Händler oder DEM Verkäufer tatsächlich verstanden fühlen, wo sie ein Verkaufsgespräch oder eine Probefahrt hatten, werden sie dort auch mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen. Von daher bewegen sich Autokäufer mehr denn je zwischen der digitalen und analogen Welt: So können sich zwei von drei Autokäufern vorstellen, ihr Fahrzeug von der Informationssuche bis zum Kaufabschluss online zu kaufen. Andererseits geben 57 Prozent an, dass eine Probefahrt für sie nach wie vor unerlässlich ist. Obwohl Probefahrten und die Abholung beim Händler wichtig bleiben, kann sich immerhin jeder Vierte die Lieferung seines Autos nach Hause vorstellen.
In diesem Online-Shift der Kontaktpunkte wird es für Automarken und die angeschlossenen Händler um ein entscheidendes Thema gehen: Die Verteidigung der Kundenschnittstelle. Wenn es nicht gelingt, Kontaktpunkte wie Verkaufsberatung oder Probefahrten zu maßgeschneiderten Erlebnissen zu machen und Wertschöpfung beim Kunden zu schaffen, werden Preis- und E-Commerce Portale wie Carwow, Vehiculum oder Amazon leichtes Spiel haben und Automarken und Händler zu Lieferanten ohne direkten Kundenkontakt „degradieren“. Andererseits haben lernbereite Autohändler – und nur diese – den Wettbewerbsvorteil, Online-Anbahnung und aktive Einladungen zum „Riechen, Fühlen, Schmecken“ ihres Wunschfahrzeugs im Autohaus mit aktiver Beratung und Erlebnisprobefahrt aus einer Hand einzuladen.
Zusammenarbeit zwischen Automarken und Händlern entscheidend
Die von Corona ausgehende digitale Beschleunigung der Autoanschaffung wird von daher einen Abschmelzungsprozess im Automobilhandel weiter treiben, bei dem nicht unbedingt die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen schlagen. Entscheidend wird dabei auch die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Automarken und ihren Händlernetzen sein. Schließlich erwarten die immer anspruchsvolleren und durch die genannten Online-Kontaktpunkte immer besser informierten Interessenten, dass am POS das gehalten wird, was die Marke verspricht. Nur im vertrauensvollen Verbund mit Händlern als „Local Heros“ vor Ort wird es gelingen, Online-Leads aus der Anonymität des Internets herauszuholen und als Kunden zu gewinnen. Auf der anderen Seite werden die im Zuge des Konzentrationsprozesses immer kapitalkräftigeren Händlergruppen Online-Pure-Vertrieb für die Kunden forcieren, die dies möchten.
Abschließend noch zwei Empfehlungen: Prüfen und tracken Sie, welche Online- und Offline-Kontaktpunkte zu überzeugten Kunden führen, die Ihr Unternehmen als Fans weiterempfehlen. Hilfreich dafür ist ein Cross-Channel-Tracking, das ausweist, welche Kontaktpunkte kaufrelevant sind, welche Trends es in der Relevanz der Kontaktpunkte gibt, zwischen welchen Kontaktpunkten Sie Kunden verlieren und was Sie tun können, um lost Deals einzudämmen.