„Wir scheißen auf dein Zeugnis“ – so versucht es der Gerüstbaubetrieb Bönninger auf Plakaten und in sozialen Netzwerken mit dem Nachwuchs. Dazu ein Kackhaufen-Emoji mit Zwinkersmiley, fertig ist die Stellenanzeige für junge Leute. Im Job-Bereich auf der Homepage der Firma geht es ähnlich weiter: „Hol dir bei uns das Mojo des Handwerkers. Was wir erwarten, sind Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und dass du höhentauglich bist. Dein Zeugnis geht uns am Selbigen vorbei. Morgensonne kostenlos als steuerfreie Sozialleistung“, heißt es da.
Ob sich der Personalengpass so beheben lässt, sei dahingestellt. Fest steht aber: Der Fachkräftemangel ist ein Problem – nicht nur auf dem Bau, sondern fast überall. Auch die Werbebranche trifft es hart: Mehr als die Hälfte der GWA-Mitgliedsagenturen hat Pitches und Neugeschäftsanfragen mangels Personals schon abgelehnt, ein Drittel verzeichnete deswegen Umsatzausfälle von bis zu einer Million Euro. Nachwuchs muss her, und zwar schnell. Doch wie begeistern Agenturen die jungen Fachkräfte für sich, und vor allem: was tun sie, damit diese auch bleiben? Wir haben nachgefragt – und stellen fünf richtungweisende Konzepte vor.
Scholz & Friends: Das schnellste Praktikum der Welt
48 Stunden, 16 Studierende und ein echter Kunde, der eine Kommunikationsstrategie braucht: Einmal im Jahr öffnet die Scholz & Friends Strategy Group die Türen zum „schnellsten Praktikum der Welt“. So können die Teilnehmer*innen das Berufsbild von Kommunikations- und Markenstrateg*innen anhand einer echten Marketing-Herausforderung entdecken. Und weil das so gut ankommt, erzählt Nele Schnieder, denke man über ein ähnliches Format auch für die Kreation nach. Wichtig, sagt die Partnerin und Managing Director People & Culture, sei die persönliche Ansprache: „Viele Talente haben die Kommunikationsbranche nicht als Berufsfeld auf dem Zettel und sind häufig positiv überrascht, was für spannende und sinnstiftende Berufsfelder es bei uns gibt.“
Townhalls, „Listening Sessions“, in denen breite Themenspektren besprochen werden oder ein „Reverse Mentoring“-Programm, bei dem Juniors zu Mentor*innen für das Management-Level werden, bieten Raum für den Austausch. Nachwuchs ist hier auch eng mit dem Thema Diversität verknüpft: „Bestimmte Gruppen sind bei uns – wie in der gesamten Branche – noch unterrepräsentiert“, erklärt Schnieder. Deswegen soll Diversity weiter gefördert werden, damit niedrigschwellige Zugänge für junge Talente aus allen Bereichen der Gesellschaft geschaffen werden. Doch eine sinnvolle Tätigkeit und ein inklusives Umfeld ist nicht alles, damit der Nachwuchs auch langfristig treu ist. „Letztendlich sind es gute Führungskräfte, die involviert sind, Raum geben und die persönliche Entwicklung ihrer Team-Mitglieder unterstützen“, sagt Schnieder.
Ressourcenmangel: Gemeinsame Sache
Auf der Website von Ressourcenmangel gibt es keinen „Job“- oder „Karriere“-Bereich, zumindest keinen, der so heißt. „Mitmachen“ nennt sich das hier, und das ist bei der Agentur Programm: Die Youngsters werden von Beginn an bei echten und anspruchsvollen Projekten eingesetzt und in alle Prozesse und Entscheidungen einbezogen. Zusätzlich erarbeiten alle Auszubildenden gemeinsam ein eigenes jährliches Projekt, das sie vor der Geschäftsführung pitchen und anschließend umsetzen. Ein breites Angebot an Ausbildungsfeldern und -berufen in kreativen, kundenbezogenen oder administrativen Arbeitsbereichen soll den Nachwuchs schon früh binden. „Wir lernen gerne Menschen kennen“, sagt Leonie Neumann, People & Organization Managerin. Deswegen spielen Messen und Netzwerkveranstaltungen für junge Talente sowie eine Präsenz an Hochschulen, wo Ressourcenmangel Gastvorträge hält, eine wichtige Rolle.
„Das alles lebt vom Engagement vieler Kolleg*innen aller Fachrichtungen, die an der Ausbildung des Nachwuchses beteiligt sind, als Ausbilder*in ebenso wie im Tagesgeschäft“, sagt Geschäftsführer Benjamin Minack. Dazu kommt eine Social-Media-Kampagne, mit der junge Leute einen Einblick in den Arbeitsalltag bekommen, Ausflüge zum ADC-Festival, dem Effie-Kongress, der OMR oder der Dmexco. „Es ist uns wichtig, dass die Nachwuchskräfte sich untereinander kennenlernen“, sagt Minack. „Wir unterstützen den Austausch, wo wir nur können – von digitalen Angeboten bis hin zu Netzwerktreffen an einem unserer Standorte.“ Dass sich der Nachwuchs nach all den Bemühungen irgendwann doch von der Konkurrenz abwerben lässt, ist nichts, wovor man hier Angst hat – im Gegenteil. Das gilt als „schönes Kompliment“, findet Minack. Und fügt hinzu: „Unser erster Auszubildender ist übrigens immer noch bei uns.“
Grabarz & Partner: Keine vorgefertigten Pfade
Bei G&P gibt es keine Pläne aus der Schublade oder vorgefertigte Entwicklungspfade. „Wir haben keine Silos, wir haben Rollen, die zwischen Strategie und Kreation liegen. Oder zwischen Beratung und Technologie“, sagt Daniel Dolezyk, Geschäftsführer Finance & People von Grabarz & Partner. Ein Schooling-Programm mit Curriculum, das gezielt und individuell weiterbildet und für einen Wissensaustausch untereinander sorgt, aber auch ein Mentor*innen-Programm, helfen dabei. Für einen direkten Austausch mit dem Nachwuchs gibt es Aktionen im Hochschulmarketing und Kooperationen mit Schulen wie der Hamburg School of Ideas. Hier ist man überzeugt: Die jungen Leute wünschen sich heute nicht nur Purpose und Verantwortung. Sondern ganz traditionelle Werte wie Sicherheit, ein festes Gehalt – und im Kontrast dazu Zeit, sich persönlich zu verwirklichen. Und zwar abseits des Jobs.
„Das stellt uns vor neue Herausforderungen“, findet Dolezyk. „Denn in dieser Zeit gibt alles, was Stabilität und finanzielle Perspektive bietet, ein gutes Gefühl. Aber das waren noch nie die Punkte, wo die Agenturwelt punkten konnte.“ Diesen Spagat zu meistern, steht ganz oben auf der Agenda. Große Bedenken vor der abwerbenden Konkurrenz hat man hier keine. Ziel sei es ja nicht, dass die Mitarbeitenden ein Leben lang hierbleiben. „Wir glauben, dass wir Mitarbeitende auch ziehen lassen müssen, damit sie sich gegebenenfalls woanders weiterentwickeln können. Was wir aber mit Sicherheit wissen, ist, dass wir uns freuen, wenn sie dann wiederkommen. Und zwar nicht nur zum Alumni-Treffen“, sagt Dolezyk. Und dieser Plan scheint aufzugehen: Der Geschäftsführer Kreation war hier mal Junior-Texter und der Geschäftsführer Finance & People Auszubildender.
Publicis Group: Ein eigener Buddy
Nähe ist bei Publicis ein Faktor, der junge Menschen überzeugen soll. Das Onboarding beginnt schon mit dem Tag der Unterschrift, und auch danach wird hier Wert auf Begleitung gelegt: So erhalten Trainees hier ein ganzes Jahr lang individuelle Förderung und sogar einen eigenen „Buddy“, der oder die sie an die Hand nimmt, danach gibt es in der Regel einen unbefristeten Anschlussvertrag. „Junge Menschen wollen einen Sinn in dem sehen, was sie machen“, sagt Bettina Prange, Chief Talent Officer Publicis Groupe DACH. „Der Arbeitgeber muss Themen wie Sustainability und Diversity nicht nur vorschaukeln, sondern in seinen Werten verankert haben. Beide dieser Themen sind bei uns ganz oben aufgehängt.“ Dazu gibt es ein „We-care-we-thrive“ Programm und eine „Mental-Health-Week” für das Wohlbefinden, und dieses Thema findet sich sogar im internen Weiterbildungsangebot wieder.
Ein eigenes Learning & Development-Team kooperiert mit externen Partnern, Akademien und Hochschulen. Damit der Nachwuchs hier auch bleibt, wird die individuelle Karriereentwicklung anhand eines Karriereplans aufgezeigt, lokal und global. Denn auch mit dem Fokus auf die weltweite Vernetzung möchte man Mitarbeitende hier an sich binden: Mit dem Work-your-world Programm kann jede*r bis zu sechs Wochen im Jahr von jedem Land aus arbeiten, in dem die Gruppe vertreten ist. Und das sind mehr als 100.
Netzeffekt: Offen für alle
Elf Ex-Trainees arbeiten bei Netzeffekt in Festanstellung, auf jedem Level. Ein eigenes Traineeprogramm, Möglichkeiten für Azubis und ein duales Studium und klare Ausbildungspläne sollen hier für Nachwuchs-Talente sorgen. „Wir setzen den Nachwuchs wirklich ein und sehen sie als echte Mitarbeiter*innen“, sagt Managing Director Werner Kubitscheck. Zudem haben es – gerade junge – Bewerber*innen hier zunehmend leicht: Quereinsteiger*innen sind herzlich willkommen, Unterlagen werden zunächst keine angefordert.
„Stattdessen sprechen wir möglichst früh mit den Leuten und zeigen ihnen, wer wir sind und wie wir ticken. Erst wenn es von beiden Seiten passt, geht es an die Formalia, die dann aber echt nur noch Formsache sind und keine Hürde mehr darstellen“, so Kubitscheck. Jeder Mitarbeitende, der einen neuen Mitarbeitenden anwirbt, bekommt 3000 Euro nach der Probezeit, und für alle gibt es individuelle Laufbahnpläne. Der Nachwuchs legt im Job heute, sagt Kubitscheck, großen Wert auf Authentizität: „Die Zeit der Blendungen und des Schönredens ist vorbei, sie wollen ein ehrliches Umfeld auf Augenhöhe.“