Stellen Sie sich vor, ich schenke Ihnen morgen einen großen Korb voller Köstlichkeiten. Welche Gefühle mischen sich in die erste Überraschung und Freude? Und würden Sie dieses Geschenk vielleicht sogar ablehnen und mir Hintergedanken unterstellen?
Geben und Nehmen sind heute keine leichte Übung. Ich schenke sehr gern, dennoch fällt mir das Annehmen von Geschenken schwer. Oft erfüllt mich ein unangemessen großes Geschenk auch mit Beklommenheit. Die Balance scheint mir dann gestört und ich frage mich, was ich materiell oder emotional zurückgeben muss, um die Balance zwischen mir und dem Schenkenden wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Wie du mir, so ich dir
Dahinter steht der Reziprozitätsbias. Er beschreibt den Impuls, die positiven oder negativen Handlungen anderer uns gegenüber zu spiegeln. Also Gefälligkeiten zu erwidern, Schulden zurückzuzahlen und andere ebenso zu behandeln wie sie uns. Ein entscheidender evolutionärer Vorteil für den Menschen, denn erst so konnte Kooperation entstehen, die uns viele neue Möglichkeiten brachte.
In Deutschland wird dies gemeinhin gern subsumiert unter „Wie du mir, so ich dir“ – ein Narrativ, das den Kern der Gegenseitigkeit aus verhaltensforscherischer Sicht aber deutlich weniger trifft als „What goes around comes around“.
Selbstwirksamkeit und Zusammenhalt
Warum? Weil die Norm der Gegenseitigkeit sich nicht auf unsere Beziehung zu einem einzelnen Menschen bezieht. Versuche haben gezeigt: Wir sind intrinsisch sozial motiviert und wollen nicht in erster Linie für unsere Hilfe gelobt und geliebt werden, sondern vielmehr, dass Bedürftigen geholfen wird. Zu helfen, fördert unser Gefühl von Selbstwirksamkeit und unser Zutrauen in den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Gerade in Zeitenwenden, wie wir sie gerade erleben, ein entscheidender Faktor. Denn wir haben eine Menge Aufgaben vor uns, die wir nur gemeinsam bewältigen können.
Es ist auch bewiesen, dass diese intrinsische Motivation äußerst empfindlich reagiert auf die finanzielle Incentivierung oder andere extrinsische Motivatoren. Die letzten 40 Jahre haben unsere Fähigkeit zur Gegenseitigkeit korrumpiert.
Was also tun? Für den Anfang empfehle ich entsprechend dem Narrativ „What goes around comes around“: Geben Sie das Beste von sich, auch dann, wenn Sie sich nicht sicher sind, was Sie davon haben. Andere werden Sie spiegeln. Anton Tschechow sagt dazu: „Der Mensch wird sich dann bessern, wenn Sie ihm zeigen, wie er wirklich ist.“