Lange war der Audiomarkt fest in der Hand der klassischen Radioanbieter. Erst im Zuge der Digitalisierung und des Smartphone-Booms sind die Teil-Gattungen Podcast, Musikstreaming und Hörbücher groß geworden und haben eine On-Demand-Kultur des Hörens etabliert. Doch diese Umwälzung des Angebots und der Nutzung hat den Audiokosmos auch stark zersplittert. Innerhalb weniger Jahre explodierte die Zahl der deutschsprachigen Podcasts bei Spotify von wenigen Tausend auf über 70.000.
Auch das Radioangebot wächst. Erfasste die Media Analyse vor zehn Jahren erst 381 Sender im weitesten Hörer*innenkreis, waren es im Frühjahr 2022 schon 464, gut ein Fünftel mehr. Und laut der Studie „ARD/ZDF Massenkommunikation Trends 2021“ hat sich der Anteil derer, die mindestens einmal pro Woche Podcasts oder Radiosendungen auf Abruf hören, von 13 Prozent im Jahr 2018 auf 28 Prozent 2021 mehr als verdoppelt, die Musiknutzung über Spotify und Co kletterte von 24 Prozent im Jahr 2019 auf 37 Prozent, während die Radionutzung innerhalb von vier Jahren von 88 auf 80 Prozent fiel.
Diese Entwicklung hat Folgen für die Werbetreibenden. „Wie in der gesamten Medienlandschaft, ist auch die Fragmentierung der Audionutzung ein grundsätzliches Problem bei der Evaluierung der Kampagnen-Performance“, analysiert Jörg Brandt, Managing Partner OMG Investment Radio bei der Omnicom Media Group. Auch Katharina Zeschke, Leiterin Business Development beim Audiovermarkter RMS, räumt ein, dass es für Werbekunden und Agenturen komplexer geworden ist, Mediastrategien für Audio zu gestalten.
Genauere Zielgruppenansprache wird möglich
Gleichzeitig bietet der Trend zum mehrkanaligen Audio aber auch Chancen, wenn Kund*innen es verstehen, die Stärken von nicht-linearen und linearen Audiokanälen synergetisch zu nutzen. Das Live-Radio empfiehlt sich für Aktivierung und Abverkauf, Streams und Podcasts bieten für Zeschke dagegen mit Blick auf ihre Zielgruppen, Nutzungszeiten, thematische Umfelder und Targeting-Möglichkeiten „große Mehrwerte, die im Werbemarkt viel Anklang finden“. Zum Beispiel bei Christian Hahn.
Der Vice President Marketing Communications Strategy & Media bei der Deutschen Telekom findet das breitere Einsatzspektrum für Audio begrüßenswert: „Wenn man sich der Stärken und Schwächen bewusst ist, die jedes Umfeld bietet, dann ist die Auswahl nicht schwieriger, sondern vielfältiger geworden.“ Optimierungsbedarf sieht Hahn aber bei der Aussteuerung und Ausweisung der Reichweiten in den verschiedenen Audiokanälen, die nicht unabhängig und übergreifend, sondern nur in Silos möglich sei.
Auch Wolfgang Bauersachs, General Manager Audio/Page Consulting bei der Mediaplus Group, sieht das gestiegene Angebot eher als Chance, den richtigen Mix für Audiokampagnen zu finden, weil Werbekunden nun jede Zielgruppe mit dem passenden Umfeld ansprechen können. War das Radio bisher als klassisches Massenmedium mit breiter Zielgruppe vor allem auf den Abverkauf orientiert, so kommen nun spezielle Umfelder der vielen Online-Audio-Angebote hinzu, mit denen genauere Zielgruppenansprachen möglich. Auch die Vielfalt der Endgeräte und Verbreitungswege hat ihr Gutes, weil sie die konvergente Audioplanung erleichtert, so der Omnicom-Experte Brandt.
Radio bleibt König der Audiowelt
Dabei spielt Radio für ihn meist die erste Geige, weil es die höchste Nettoreichweite liefert, während sich Podcasts „hervorragend zur qualitativen Ansprache einzelner Zielgruppen oder Themencluster eignen“, so Brandt. Das Übergewicht von Radio in vielen Audiokampagnen rührt auch daher, dass es fest im Alltag vieler Menschen verankert ist, wie seine Tagesreichweite von 76 Prozent zeigt. Da kommen Streamingdienste (16 Prozent) und Podcasts (vier Prozent) nicht mit. Brandt berücksichtigt in der Audioplanung aber auch das abweichende Nutzungsverhalten der unter 30-Jährigen, bei denen 38 Prozent ihrer täglichen Audionutzung auf Musikstreaming entfallen. Für Brandt gilt daher: „Je jünger die Zielgruppe, desto höher der Streaminganteil.“
Auch die Telekom gewichtet die Audiokanäle je nach Kampagnenzielsetzung unterschiedlich. Wenn die Werbebotschaften komplexer sind, dann empfiehlt sich im Besonderen der Einsatz von Podcasts, weil das Medium aufmerksamkeitsstark ist und aktive Nutzer*innen hat, die bewusst zuhören, erklärt Hahn. Für einfachere Botschaften eignen sich dagegen auch Radio und Musikstreaming, die eher nebenbei genutzt werden. In Radio und Musikstreaming können aber auch komplexere Botschaften funktionieren, so Hahn. „Dabei bedarf es jedoch herausragender Kreation, die sehr spezifisch auf das Medium zugeschnitten ist und komplexe Botschaften einfach vermittelt.“ Generell ist es für die Telekom aber wichtig, im Audioumfeld schnell, wirkungsvoll und nachweisbar Reichweite in ihren eher breit sortierten Zielgruppen aufzubauen, so Hahn.
Automatisierung erleichtert die Buchung
Der Boom der digitalen Audioformate führt indes dazu, dass sich die Werbeerlöse zu ihren Gunsten verschieben. So bleibt das Radio mit geschätzten 707 Millionen Euro für 2022 zwar die Nummer eins im Audio-Kosmos, doch Online Audio soll nach Prognose des BVDW in diesem Jahr schon 110 Millionen Euro mit Werbung erlösen, von denen 39 Millionen auf Podcasts entfallen könnten. Somit würden die Online-Audio-Umsätze gegenüber 2018 um 74 Prozent steigen, während das Radio zehn Prozent verliert. Zwei Gründe für das positive Momentum: Online Audio folgt der Buchungslogik der Web-Welt, in der Kunden wie Agenturen immer größere Etats investieren, und es bietet Werbetechnologien wie Programmatic Advertising und Ad Insertion, die dieser Logik folgen.
„Mit der zunehmend automatisierten Audiowerbung können Agenturen und Werbetreibende ein genau identifizierbares Publikum auswählen, wobei dieselben Zielkriterien wie bei herkömmlichen Online-Kampagnen verwendet werden“, hebt Agenturmann Bauersachs hervor. In jungen Zielgruppen funktionieren non-lineare Angebote inzwischen sogar „stand-online, so dass auch immer mehr Kampagnen nur in Online Audio umgesetzt werden“, beobachtet er. Und weil es für jede Situation ein passendes Endgerät gibt, können Werbekunden die Hörer*innen mit dem richtigen Targeting individuell ansprechen.
Der Audiovermarkter RMS will den Trend zur individuelleren Hörer*innenansprache für sich nutzen. „Wir erleben eine stetig wachsende Nachfrage von Werbetreibenden nach Konzepten, die die große Reichweite von Live-Radio mit den interaktiven und zielgenauen Online-Audio-Angeboten kombinieren“, berichtet RMS-Expertin Zeschke. Diesem Wunsch will sie mit einem Angebot wie der „RMS Audio Total“ nachkommen, die 173 Radiostationen und über 2000 Online-Audio-Streams umfasst. Darüber hinaus hat RMS auch gut 500 Podcasts im Angebot, für die der Vermarkter Werbung AdServer-basiert über das so genannte Dynamic Ad Insertion ausspielt. Dabei können Werbekunden auch die Kreation mit Hilfe von Dynamic Podcast Ads in Echtzeit an das Podcast-Umfeld und die Hörer*innen anpassen.
Podcasts brauchen Standards und programmatische Ausspielung
Programmatic Advertising ist auch für den Podcast-Vermarkter Zebra-Audio.net ein wichtiger Wachstumstreiber, steckt aber noch in den Kinderschuhen, betont Luisa Abraham. Geht es nach der Head of Sales, muss das junge Medium nun Standards für Werbung und Nutzung etablieren. „Nur so können wir Transparenz schaffen und sicherstellen, dass Werbung im Podcast messbar ist“, sagt sie.
Die ersten Schritte hat die Branche mit dem Start der MA Podcast und einem Whitepaper des BVDW zur Ad-Standardisierung von Online Audio bereits getan. Auch beim Thema Wirkungsnachweis geht es allmählich voran. Zebra-Audio.net hat im Herbst 2021 mit Opel und dem Podcast „Beste Freundinnen“ eine Studie vorgelegt, die zeigte, dass Podcast-Werbung die Brand Awareness bei den Hörer*innen des Formats steigern und einen positiven Imagetransfer für die Marke Opel erzielen konnte.